Schlussstrich - Parallelgedicht zu "Herbsttag" (R.M.Rilke)

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Geh! Es ist Zeit. Deine Geduld war groß.
Pack deine Sachen ein, nimm deinen Jungen
und lass dies Leben voller Leiden los.

Wirf seine letzte Rose in den Müll hinein.
Gib ihm nicht weit‘re Möglichkeiten, euch zu plagen.
Du solltest ihn aus deinem wunden Herzen jagen,
er hat es nicht verdient, noch dort zu sein.

Wenn du jetzt zögerst, schaffst du’s niemals mehr.
Wenn du jetzt Angst zeigst, wird er’s weiter treiben,
wird schlagen, schreien, Besserungsschwüre schreiben
und wird nach altbekanntem Hin und Her
dich überreden, doch bei ihm zu bleiben.

Und hier "Herbsttag" von Rainer Maria Rilke:

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Interne Verweise

Kommentare

03. Okt 2016

Parallelen, die sich berühren -
So zu echter Kunst gar führen ...

LG Axel

08. Nov 2016

Ein Gedicht, welches berührt - unangenehm zwar, da es sinngemäß ähnlich Erlebtes aus der Versenkung holt - ... ein Text, welcher dadurch auch heilsame Wirkung zeigen kann, der durch Ehrlichkeit besticht ... der eben, nicht zuletzt durch sein exaktes Versmaß, ein starkes Gedicht ausmacht!

Herzliche Grüße vom Alfred