Alle Achtung!

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Man schrieb den 2. Juni 1947. Damals befand sich die himmlische Körperzuteilungsbehörde noch auf Wolke BC407a.

Vor der Amtsstube des Körperzuteilungsbeamten - Zimmer 23, Buchstaben A ... F – schwebte eine kleine, schwach leuchtende Seele nervös hin und her. Plötzlich ertönte aus dem Ganglautsprecher mit krächzender Stimme: „Antragsstellerin Seele Alfred!“
Das Seelchen versuchte, tapfer zu sein, klopfte an der majestätisch wirkenden, weiß gleißenden Türe der Amtsstube an, öffnete diese zaghaft und schwebte zitternd ein. Hinter einem riesigen mahagonifarbenen Schreibtische, beladen mit mehreren Telefonen, thronte auf erhabenem Podeste der himmlische Beamte.
„Bitte, nimm Platz!“, duzte er die Seele, um eine entspanntere, vertrautere Atmosphäre zu schaffen. Er hatte den Antrag auf Körperzuteilung vor sich liegen, überflog diesen kurz und brummte dabei vor sich hin: „Aha ... Beginn des Erdendaseins bereits am 9. März 1948 ... das wird ganz schön knapp.“ Der Beamte legte das Formular beiseite und wandte sich an die Antragsstellerin: „Seele Alfred, welche irdische Gestalt würdest du gerne annehmen?“
„Ach, ich, na ja ... “, stotterte das Seelchen, „ich wäre gerne ein Kater, vielleicht so ein roter Perserkater mit großen, goldfarbenen Augen und langen Schnurrhaaren, dazu aber mit einer nicht zu kurzen Nase wegen der damit verbundenen Atemprobleme ... na ja und dann hätte ich gerne noch so kleine Haarbüschelchen an den Ohren und ...“
„Wir wollen hier nicht ins Fabulieren kommen!“, unterbrach der Körperzuteilungsbeauftragte und, um sich mehr Autorität zu verschaffen , sprach er ab jetzt im pluralis majestatis: „Wir wünschen, dass sie, die Seele, sich kurz fassen möge. Übrigens können wir ihr ihren Wunsch nicht erfüllen – Katzen gibt es schon zu viele auf der Erde, Katzenkörper sind somit bis auf weiteres gemäß Richtlinie 547a, S.226, §14 ff. von der Beseelung ausgeschlossen. Außerdem haben wir mit ihr etwas Größeres vor: sie kann, so würden wir ihr nahelegen, in der irdischen Hülle eines Esels ihr Domizil finden!“
Die Seele Alfred litt darunter, dass der Beamte sie in der erniedrigenden dritten Person angesprochen hatte. Dennoch wagte sie es, zu widersprechen: „Bitte, kein Esel, eure Excellenz, alles andere, nur das nicht!“
Der Beamte begann, allmählich etwas ungehalten werdend, an seinen Lippen herumzunagen. „Wir können ihr dann – angesichts der Zeitknappheit – augenblicklich nur anbieten, auf der Erde als Fußabstreifer zu leben ... “
„Aber ... “, wagte die Seele dem Sachbearbeiter ins Wort zu fallen, was diesen ziemlich erboste, sodass er mit erhobener Stimme fortfuhr: „Lasse sie mich ausreden ! Wahrscheinlich hängt sie dem verbreiteten Irrglauben an, dass Dinge nicht beseelt sein könnten, weshalb sie ein Dasein als Fußabstreifer wohl als minderwertig erachtet. Aber möge sie bedenken: es gibt beispielsweise viele Lebewesen, insbesondere der Spezies ´Mensch´, welche mit ihren ureigensten Problemen schlecht fertig werden können (oder wollen). Es ist geradezu eine höchst soziale, quasi geheiligte Aufgabe, ihnen als besagter Fußabstreifer dienen zu dürfen. Diese armen, bedauernswerten Kreaturen sind eben zu schwach, sich den Wahrheiten, welche sie wohl insgeheim zu erkennen vermögen, zu stellen, deshalb modifizieren sie diese, bis sie zur Selbst-Lüge entartet sind. Diese bemitleidenswerten Geschöpfe brauchen zur scheinbaren Lösung ihrer Probleme eben Fußabstreifer ... “

Die Erklärung wurde durch das gleichzeitige Läuten dreier Telefone jäh unterbrochen. Der Beamte hob alle drei Hörer gleichzeitig ab ... lauschte, redete ... nahm sich dabei das Antragsformular der Seele wieder vor, griff nach seiner Feder und fragte leise, zwischendurch, wie beiläufig: „Was jetzt – Esel oder Fußabstreifer?“
„Besser Fußabstreifer ... nicht“, stammelte das Seelchen.
Von den Telefonaten abgelenkt, muss der Vertreter der Körperzuteilungsbehörde das „nicht“ wohl überhört haben. Er nickte der Seele zu, das Formular flüsternd ergänzend: „Fußabstreifer zur Probe – bis auf weiteres.“

Seit nunmehr gut 66 Jahren wartet die Seele Alfred geduldigst auf ihre Beförderung. Es gereicht zu ihrem Nachteile, dass sie ihr Amt als Fußabstreifer für andere so zur vollsten Zufriedenheit ihres himmlischen Auftraggebers ausgeübt hat, dass jener auf sie eben nicht mehr verzichten kann. Sie ist – in ihrer scheinbaren Bedeutungslosigkeit – ein Teil des göttlichen Schöpfungsplanes geworden – Respekt!!

1. Entwurf: Herbst 2011, letzte Bearbeitung: 15.11.2014