Loverboy; Fortsetzung vom 06. Januar 2017

Bild von Annelie Kelch
Bibliothek

„Weshalb glauben Sie das, Herr Georg?“, fragte meine Mutter aufgeregt.
„Ich habe gleich gewusst, dass es keine gute Idee ist, nach München zu fahren, Cordula. Wenn du wenigstens auf Pavel gehört hättest und gleich, nachdem ihr die Zettel mit Sallys Foto verteilt hattet, nach Hause zurückgekehrt wärst.“
Sie warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Dann hätte ich Georg, er heißt übrigens 'Salomon' mit Nachnamen, Mama, nicht kennengelernt und wir wüssten jetzt noch viel weniger über Sallys Schicksal als vorher“, gab ich zu bedenken.

„Es ist nämlich so, gnädige Frau, dass wir den honorigen Herrn von Segeberg aufgescheucht haben. Er fühlt sich jetzt nicht mehr sicher in seiner Haut. Das könnte sich selbstverständlich auch positiv auswirken. Wer dermaßen viel zu verbergen hat wie diese Kanaille und im Fokus polizeilicher Ermittlungen steht, begeht nicht selten Fehler“, erklärte Georg. „Von Segeberg dürfte momentan schreckhafter sein als ein Huhn, das keine Eier mehr legen darf.“

„Ja, hast du denn der Polizei nicht mitgeteilt, dass sein Sohn dich erschießen wollte, Georg?“, fragte ich aufgeregt, „das war doch schließlich ein Mordversuch.“

„Hast du eine Ahnung, was ich den Krimialen alles erzählt habe, Cordula. Aber von Segebergs Bürschlein hat sich ein Alibi gekauft. Wenn man über so viel Geld verfügt wie Justus von Segebrecht, kann man sich alles kaufen – Alibis, einen guten Leumund, indem man mal eben hunderttausend Euro für ein Waisenhaus oder für eine neue Sporthalle spendet, bildschöne Frauen, minderjährige hübsche Mädchen, alles! - Irgend so ein pubertärer Jüngling, der an der Ludwig-Maximilians-Universität studiert, hat bei der Polizei ausgesagt, dass Andreas von Segebrecht während der fraglichen Zeit bei ihm zu Hause gewesen sei und mit ihm gebüffelt habe. Gegen diese Aussage hatte ich nicht die geringste Chance.“

„Aber du hast diesen Andreas doch beschreiben können, Georg“, warf ich ein.

„Pah, Cordula, das hätte jeder in München können. Deren Fotos springen einem doch ständig aus irgendwelchen Gazetten ins Auge; jeder weiß, wie von Segeberg und dessen Kinder ausschauen. Von Segeberg hat überdies noch zwei Töchter. Die Älteste war so vernünftig, schon früh die Kurve zu kratzen. Sie ist gleich nach dem Studium nach Norwegen ausgewandert. Die andere, Marlen, lebt irgendwo in Schwabing - bei ständig wechselnden Liebhabern, ein äußerst promiskuitives Ding.“

„Und von Segebergs Frau?“, fragte ich.

„... ist vor zwei Jahren verstorben“, sagte Georg. „An gebrochenem Herzen. Der Kerl hat sie doch ständig betrogen. - Ja, ja, auch Geld macht nicht unbedingt glücklich. Sie hat sich alles kaufen können, was ihr Herz begehrte und trotzdem ist es zerbrochen, ihr kleines Herzchen. Depressiv soll sie auch gewesen sein, die schöne Ludmilla von Segeberg."

„Vielleicht gerade deshalb, Georg, weil sie sich nie etwas hat erkämpfen müssen. Wahrscheinlich hatte sie auch keine Hobbys, keine wahre Leidenschaft, für die sie trotz aller Widrigkeiten mit diesem Kerl gerne gelebt hätte.“

„Aber sie hatte doch ihre drei Kinder“, warf meine Mutter ein.

„Die sind nach dem Vater geraten“, sagte Georg mit verächtlicher Stimme. „Bis auf Susanne, die sich als Lehrerin in Oslo ihre Brötchen verdient. Andreas und Marlen liegen auf der faulen Haut; Papa bezahlt ja alles.“
Georg sah auf seine Uhr.

„Hach, schon so spät, Leute“, rief er. „Der gute Percy wollte auf mich warten. - Percy ist mein Taxifahrer, Frau Volkmann. Cordula kennt ihn auch. Ein netter Bursche, findest du nicht, Cordula?“, fragte Georg.
„Oh ja, sehr nett, dieser Percy. Du hättest ihn ruhig mitbringen können.“
Mein Mutter warf mir einen Blick zu, als ob ich nicht mehr zu retten sei, aber Georg sagte: „Ach, Göttchen, das ist ja so lieb von dir, Schätzchen; aber manche Taxidrivers können ihren Mund nicht halten. Und wir reden hier ja schließlich über sehr private Dinge. Ich kenne Percy noch nicht lange genug, als dass ich ihm all diese Geschehnisse anvertrauen würde. - Wo geht es hier eigentlich für kleine Transen, Cordula? Ich möchte mich vor der Fahrt noch ein wenig zurechtzupfen“, sagte Georg und erhob sich vom Tisch.

„Im Flur die letzte Tür auf der linken Seite, Herr Salomon“, sagte meine Mutter und begann, das Geschirr abzuräumen. Ich sah Georg nach, der durch unser Wohnzimmer stakste. Die Absätze seiner schwarzen Pumps waren mindestens acht Zentimeter hoch. Er trug einen roten Kaschmirpullover zu einem weißen Minirock, der ein Stück weit über den Kniekehlen endete, und ich stellte mit Vergnügen fest, dass seine auffallend schlanken Beine, an denen er schwarze Netzstrümpfe trug, schöner geformt waren als bei so mancher Frau.

„Wie sehe ich heute aus, Cordula?“, fragte Georg, als er wieder vor mir stand.
„Prachtvoll, wie immer, Georg“, sagte ich, nachdem ich ihn eingehend gemustert hatte. Er schien sich von den Strapazen, die unser Kidnapping verursacht hatten, bestens erholt zu haben. Der Krankenhausaufenthalt im Klinikum rechts der Isar war ihm augenscheinlich hervorragend bekommen.
Es klingelte an der Haustür.
„Hach“, sagte Georg. „Das ist gewiss Percy. Jetzt ist er doch noch ungeduldig geworden, der Gute.“
Es war tatsächlich Percy, der vor unserer Haustüre stand. Er strahlte mich an, als seien wir alte Bekannte.
„Mama, das war Percy, der geklingelt hat. Der Taxifahrer, der Georg und mich zum 'Wolf im Schafspelz' gefahren hat - so nennt man eine der sündigsten Meilen in München“, rief ich in die Küche hinein.
„Hach, du kennst dich ja schon prima aus in München“, lachte Georg. „Wenn Sally wieder bei dir zu Hause ist, Cordula, müsst ihr mich alle drei mal besuchen; ich zeige euch dann die anständigen sehenswerten Ecken unserer Stadt, den Englischen Garten, Schloss Nymphenburg, die Frauenkirche, in deren Eingangshalle der Teufel höchstpersönlich seinen Fußabdruck hinterlassen hat, das Hochbräuhaus und noch vieles mehr. Das schafft man gar nicht alles an einem Tag.“
Georg befreite sein Leopardenfellmäntelchen vom Bügel und hängte es sich über die Schultern.

„Du sagst es, Georg!“, bestätigte Percy, der in unseren Flur getreten war.
Er gab mir und meiner Mutter, die aus der Küche geeilt kam, die Hand.

„Sie werden beschattet, meine Damen“, sagte Percy wie aus heiterem Himmel. „Und die beiden Männer, die in dem dunkelblauen BMW sitzen, der zwei Häuser weiter am Bordstein parkt, gefallen mir überhaupt nicht.“
„Wie kommen Sie darauf, dass die uns meinen?“, fragte meine Mutter erschrocken.
„Alle zwanzig Minuten steigt einer von denen aus dem Vehikel, läuft den Bürgersteig entlang bis vor euer Haus, zündet sich in aller Ruhe eine Zigarette an, und beobachtet eure Fenster. Nach wenigen Minuten marschiert er den gleichen Weg wieder zurück und nimmt erneut im Wagen Platz. Die lösen sich ab.“
„Das gibt es doch nicht. Was machen wir denn da?“, fragte Georg nervös. „Hoffentlich meinen die nicht mich. Hast du den Wagen schon gesehen, als wir hier ankamen, Percy? Ist uns jemand aus München gefolgt?“
„Nicht dass ich wüsste. Ich habe nichts dergleichen feststellen können", sagte Georgs Taxichauffeur.

„Ich rufe das Polizeipräsidium an. Wie hieß nochmal der Beamte, mit dem du neulich gesprochen hast, Cordula?“, mischte sich meine Mutter mit entschlossener Miene ins Gespräch.
„Das war Herr Langmer“, sagte ich, „aber lass m i c h bitte mit ihm telefonieren.“

„Könnt ihr beide noch solange mit uns warten, bis die Polizei eintrifft?“, fragte ich Percy.
„Eigentlich habe ich morgen in aller Früh eine Fuhre nach Westerland und wollte mich rechtzeitig aufs Ohr legen. Deshalb habe ich ja auch bei euch geklingelt, um Georg zum Aufbruch zu mahnen, aber falls ich den Damen mit meiner Anwesenheit dienen kann ...“
„Fein, Percy, mir kannst du nämlich auch mit deiner Anwesenheit dienen“, sagte Georg. „Ich würde nämlich zu gerne erfahren, wer hier wen überwacht.“
Die beiden Männer folgten meiner Mutter ins Wohnzimmer. Sie ließ die Rollos runter und knipste das Licht an. Draußen war es schon fast dunkel.

Ich war froh, dass ich überhaupt mit Herrn Langmer sprechen durfte. Er wurde aus einer Zeugenvernehmung geholt. Ich schilderte ihm die Situation, und er versprach, sich umgehend bei uns einzufinden. Wir sollten die Männer auf gar keinen Fall ansprechen und uns ganz normal verhalten - als hätten wir von der geheimnisvollen Observation nicht das Geringste mitbekommen.

Georg, meine Mutter und ich nahmen wieder am den Esstisch Platz, mit einem weiteren Gast in unserer Mitte, den meine Mutter umsorgen durfte. Percy hatte allerdings beim Italiener um die Ecke bereits eine Riesenpizza verspeist, wie er uns wissen ließ, war jedoch einem Glas Orangensaft nicht abgeneigt.

„Frisch gepresst, Herr Percy“, sagte meine Mutter – und Georg griente leutselig.
Percy gab ein paar Anekdoten aus seinem Taxifahrer-Leben zum Besten, und wir mussten ein paar Mal so herzlich lachen, dass ich mir mal wieder schäbig vorkam, weil ich Sally ein paar Minuten lang vergessen hatte.

Kurz darauf bahnte sich ein neues Drama an:
Georg fragte gerade: „Hab ich euch eigentlich schon erzählt, dass ich vor zwei Jahren das Rotkäppchen auf der Bühne gespielt habe? Selbstverständlich handelte es sich um eine Persiflage; wie könnte es auch angehen, dass Rotkäppchen fast zwei Meter groß ist? Das Stück war eine einzige Lachnummer. Ihr hättet es sehen müssen! In der Buddel, die ich zur Großmutter tragen sollte, war nämlich kein Wasser, sondern süffiger Wein. Ich …" Georg sprang plötzlich vom Stuhl auf. "Leute, da fiel doch eben ein Schuss! Habt ihr das nicht gehört?“ Er war kreidebleich geworden.

Meine Mutter erhob sich ebenfalls vom Tisch und eilte ans Fenster.

„Nicht ans Fenster!“, rief ich, „lasst uns nach oben gehen. Dort sind wir sicher.“

Wir rannten die Treppe hinauf, drängten uns in das kleine Schlafzimmer meiner Mutter und duckten uns hinter ihr Bett.

Unten fiel ein weiterer Schuss, lauter, für jeden vernehmbar, krachte in oder durch eine unserer Fensterscheiben im Erdgeschoss. Ein lautes Klirren folgte, das ebenso gut von der Scheibe im Wohnzimmerschrank rühren konnte. Wir hatten jedoch nicht mitbekommen, dass die Haustür aufgebrochen wurde. Oder war Oda aus dem Urlaub zurückgekehrt und in die Schusslinie geraten? Wollte sie sich in unser Haus retten? - Nein, die Überlegung war zu weit hergeholt.

Möglicherweise war Herr Langmer zwischenzeitlich eingetroffen und hatte die beiden Männer zur Rede stellen wollen. Einer der beiden könnte eine Pistole gezogen und auf ihn geschossen haben – und gleich darauf auf unsere Fensterscheiben, um uns aus dem Haus zu locken, mich, Cordula Volkmann, die Mutter von Sally, die sich vermutlich nach wie vor in von Segebergs Gewalt befand – und Georg, der Freunde hatte, die bestätigen konnten, wofür die Polizei keine Beweise hatte. Falls von Segebergs Leute herausfänden, dass 'Roman', Georgs Freund, der Sally in München gesehen haben wollte, bereit war, gegen von Segeberg auszusagen, befände auch er sich in größter Gefahr.

Noch bevor ich meine Gedanken weiterverfolgen konnte, wurde heftig an unserer Haustür gebullert. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Es konnte Herr Langmer oder ein anderer Polizist sein, der dort um sein Leben kämpfte, es konnte sich allerdings auch um einen jener Schergen handeln, die von Segebrecht hofierten oder von ihm zu derartigen Verbrechen gezwungen wurden, weil er sie, aus welchen Gründen auch immer, in der Hand hatte.

Fortsetzung am Dienstag, den 17. Januar 2017

Interne Verweise

Kommentare

13. Jan 2017

Krause findet ja Georg gut -
Wohl, weil er gerne saufen tut:
Nur leider sei der "viel zu kleen!
Zwee Meta bloß! Det is nich scheen!"

LG Axel

13. Jan 2017

Das kleine letzte Wort, Berthalein, dieses 'scheen',
erinnerte mich grad eben an schejn - bei mir bist du schejn,
und daran, dass ich mich schäm:
Jiddisch wollt ich doch mal lernen,
wann, das steht noch 'in den Sternen'.

Mazel tov
Annelie