Eine wahre Engels(?)-Geschichte - eine zweite ...

Bild von ego
Bibliothek

VORWORT: Es gibt Erlebnisse und Geschichten, welche das Leben so eigenartig schrieb, dass man sie am besten für sich behält. Zumindest aber ist es angezeigt, bei der Auswahl derer, denen man diese anzuvertrauen gedenkt, höchst überlegt vorzugehen. Bestenfalls gilt man als Phantast, Schwindler oder Übertreibender, schlimmstenfalls wird man milde belächelt … ein Mensch kann vieles ertragen, aber keinen Spott. Diese Vorsicht ist auch der Grund, warum ich folgendes wahre Erlebnis erst heute, nach über neun Jahren, zu Papier bringe, wobei ich mich bemühen werde, die Ereignisse so exakt wie möglich zu erzählen. Lediglich Namen werde ich aus verständlichen Gründen ändern.

Gut eine Woche vor Weihnachten war seinerzeit völlig überraschend die Ehefrau eines Berliner Bekannten verstorben und jener Freitag, an welchem die Geschichte beginnt, war der Tag ihrer Bestattung. Ich beschäftigte mich gerade - in Gedanken ziemlich abwesend - mit meinem Frühstück, welches mir überhaupt nicht mundete. Die traurigen Umstände hatten derart von mir Besitz ergriffen, dass ich gleichsam „dabei“ war, ohne real dabei zu sein. Wortkarg starrte ich Löcher in die Luft, bis mir mein Magen bedeutete, es sei wohl besser, das Frühstücken ganz bleiben zu lassen. „Was wird der arme Mann jetzt alles durchstehen müssen?“, sagte ich zu meiner Frau und verbittert, mit bissigem Spotte, fügte ich hinzu: „Aber jetzt ist ja bald Weihnachten, da haben die da oben – wenn es sie überhaupt gibt – Hochsaison. Da kümmern sie sich anscheinend noch weniger um uns. Aber man darf den Herrschaften nicht böse sein … die haben doch keinen Dunst von Ahnung, was Menschsein überhaupt heißt. Dabei wäre es manchmal – gerade in Situationen wie heute – so dringend, dass man Unterstützung bekäme! Wo ist denn einer von diesen vielgepriesenen Engeln?! Aber was ich rede und denke, ist so unnütz wie ein Kropf, es ist ohnedies alles egal.“

Gerade, als ich mir meine feucht gewordenen Augen in Ermangelung eines Taschentuches mit einem Stück Küchenrollenpapier trocknete, läutete das Telefon. Ich war jetzt eigentlich nicht gesellschaftsfähig, ich wollte mit niemandem reden. An der angezeigten Rufnummer erkannte ich, dass mein Freund Frank der Anrufer war und so nahm ich, lediglich aus Rücksicht, nach einigem Zögern den Hörer ab.
„Du Alfred, ich brauche deine Hilfe“, begann mein Freund das Gespräch, „weißt du für mich einen guten Arzt, der sich mit Herzproblemen auskennt? Mein Hausarzt ist nämlich leider in Urlaub.“ „Frank, da kann ich dir nicht dienlich sein,“ antwortete ich, „in chirurgischen Bereichen könnte ich dir schon besser raten, aber sag' mir doch bitte, was mit dir überhaupt los ist.“ Mein Freund war nämlich eine eher robuste Natur. Er versuchte, gesund zu leben und die Ärzte zu meiden. Jetzt aber schilderte er mir vielerlei Beschwerden, verbunden mit Gefühlen der Angst und mit Schwierigkeiten beim Atmen. Der einzige Rat, den ich ihm geben konnte , war der, das wenige Kilometer entfernte Krankenhaus aufzusuchen und sich unverzüglich ein EKG anfertigen zu lassen. „Daran dachte ich ja auch“, meinte Frank, „nur gibt es da ein Problem. Ich habe mit meiner Krankenkasse irgend so einen besonderen Vertrag, da kann ich nicht ohne weiteres, jedenfalls nicht ohne Hausarztabsegnung, fremde Hilfe in Anspruch nehmen.“ „Würdest du ins Krankenhaus fahren, wenn es möglich wäre?“, fragte ich vorsichtig an. „Freilich“, gab er zur Antwort, „ich würde die Untersuchung gegebenenfalls sogar selbst bezahlen, weil es mir wirklich gerade ziemlich schlecht geht.“ Ich versuchte, ihn zu beruhigen, bat ihn in der Nähe des Telefons zu bleiben und auf alle Fälle die Leitung frei zu behalten. Ich werde mich sofort wieder bei ihm melden, versprach ich.

Ich wählte die Nummer des Krankenhauses und bat die Dame in der Vermittlung, mich mit der dortigen Kardiologie-Abteilung zu verbinden. Nachdem man meiner Bitte nachgekommen war, begann ich mein Gespräch damit, den Fall meines Freundes kurz zu schildern. Ich bat inständig darum, dass man ihm schnellstmöglich die nämliche Hilfe angedeihen lassen möge wie mir vor einiger Zeit, bei meinem stressbedingten Blutdruckproblem. Die freundliche Sekretärin am anderen Ende der Leitung fragte nach dem Namen meines Freundes und ergänzte: „Richten Sie ihm bitte aus, er solle gleich kommen und sich bei mir melden, wir erwarten ihn.“
Ich rief Frank an, teilte ihm kurz alles Wesentliche mit, ihn ersuchend, er möge mich anrufen, wenn er wieder daheim sei.

Am gleichen Tage wartete ich vergeblich auf eine Nachricht, an den darauf folgenden ebenso. „So sind die Leute, wenn es ihnen wieder gut geht, brauchen sie einen nicht mehr. Da ist man nicht einmal mehr einen Anruf wert!“, dachte ich mir die erste Zeit - zugegebenermaßen leicht enttäuscht. Aber bald schon nisteten sich in meinem Denken Zweifel ein … vielleicht kann sich Frank nicht melden, aus welchen Gründen auch immer? Diesen trüben Gedanken setzte ich dagegen, dass der Kalender bereits den 23. Dezember zeigte. Da haben die meisten noch vieles zu erledigen, deshalb riefe er mich nicht an, versuchte ich, mir einzureden.

Nachmittags, am 24. Dezember schmückte ich den Weihnachtsbaum – ohne so recht bei der Sache zu sein. Sorgenvolle Befürchtungen hatten sich mit lästiger Beharrlichkeit meines Denkens bemächtigt. Als deren Druck letztendlich zunehmend unerträglicher geworden war, ging ich zum Telefon, zögerte noch ein wenig und wählte die Rufnummer meines Freundes. Die Zeitspanne, bis am anderen Ende der Hörer abgenommen wurde, schien endlos zu sein. Dann meldete sich Franks Frau. „Ich wollte euch eigentlich nur schöne Feiertage wünschen und … na ja … fragen, ob wieder alles in Ordnung ist“, stammelte ich deutlich verlegen und mit einer mich befremdenden Unbeholfenheit.

„Wollen Sie wirklich wissen, wie es Frank geht?“, wurde ich gefragt. Entschuldigend erklärte ich: „ Ja, aber gewiss nicht aus Neugier oder gar Sensationslust … er hatte mir doch versprochen, sich bei mir zu melden.“
Schließlich erfuhr ich, dass er sich zwar noch im Krankenhause, aber glücklicherweise auf dem Wege der Besserung befinde. Mein Freund hätte nämlich ziemlich genau zu der Zeit, zu der er mich telefonisch um Hilfe gebeten hatte, einen Herzinfarkt erlitten, das habe man in der Klinik feststellen können.

Nun hatte ich verständlicherweise nichts Eiligeres zu tun, als Frank anzurufen – es war ja der Hl. Abend. In der Vermittlung bedauerte man, mich nicht verbinden zu können. Der Patient läge noch auf der Intensivstation, hieß es. Dorthin könne man mich schon vermitteln, ich könne ihm dann aber nur Grüße ausrichten lassen. Ich wurde verbunden und äußerte einer Schwester gegenüber gerade mein Anliegen, als diese mich unterbrach und freudig sagte: „Ach, du bist es ja, der Alfred, gleich hab' ich dich an der Stimme erkannt.“ Es war Brigitte, die Tochter eines Kollegenehepaares, die mir folgenden Vorschlag unterbreitete: „Ich gebe dir jetzt meine Handynummer. Du rufst mich an und ich halte deinem Freunde das Telefon hin. Dann kannst du – aber bitte nur ganz kurz! - mit ihm reden.“ Gesagt, getan! Als mich Frank hörte, schien er meine guten Wünsche für ihn gar nicht zu beachten, denn er fiel mir ins Wort: „Du, weißt schon, dass du bei mir was gut hast?! Du hast mir höchstwahrscheinlich das Leben gerettet!“

Ich schmückte den Baum fertig, dachte daran, wie ich mich vor ein paar Tagen während des Frühstücks verzweifelt geäußert, mit dem Schicksale gehadert, gespottet und geschimpft hatte … wie schlecht ich auf gewisse himmlische, geflügelte Herrschaften – wenn es sie überhaupt geben sollte -
zu sprechen gewesen war und stellte dabei sachlich fest, dass FÜR MICH wieder einmal kein „Engel“ da gewesen war – oder vielleicht doch?

Jedenfalls hatte ich - allen Unwägbarkeiten zum Trotze – das sichere Wissen, dass MEINE Bescherung schon vor der eigentlichen im Kreise der Familie stattgefunden hatte.

NACHWORT: Es können sich Zufälle so ineinander verflechten, dass wir geneigt sein mögen, darin etwas Sinnvolles zu erkennen, ebenso wie das Auge des geschulten Beobachters am Sternenhimmel Sternbilder zu erkennen vermag, deren Einzelgestirne größtenteils – schon rein entfernungsmäßig – miteinander überhaupt nichts zu tun haben. Zufälle entstehen lediglich „zufällig“, aber andererseits, was ist, wenn Zufälle sich auffallend häufen? Wir müssen uns jedenfalls ständig die Frage stellen, ob wir möglicherweise anfällig dafür sein könnten, den Wunsch zum Vater unserer Gedanken werden zu lassen , ob es also – wie in Franz Schuberts Winterreise – nicht ein trügerisches Irrlicht sein mag, welchem es beliebt, uns zu narren:

„Bin gewohnt das Irregehen,
's führt ja jeder Weg zum Ziel;
Uns're Freuden, uns're Wehen,
Alles eines Irrlichts Spiel!“

Am 19. Juli 2016 fertiggestellt und in Dankbarkeit all jenen gewidmet, welche meiner ersten Engels(?)-Geschichte ihre werte Aufmerksamkeit geschenkt haben und mich dennoch weiterhin für glaubwürdig halten und für voll nehmen!

Interne Verweise

Kommentare

19. Jul 2016

Das Leben schreibt Geschichten. Gern!
Sie alle haben ihren Kern ...

LG Axel

21. Jul 2016

Du hattest dich an anderer Stelle "beschwert", dass dir selber nie Engel begegnen. Schau in den Spiegel. Und trage die "Last" deiner Schwingen mit himmlischer Leichtigkeit.
(Ich verdück gerade ein Tränchen.)

21. Jul 2016

(Sogar) ich hab's kapiert ... Auftrag(?) wird angenommen (wenn es denn sein muss) :-)
Liebe Grüße und DANKE
Alfred

23. Jul 2016

Es gibt keine Zufälle. Aber es gibt Dinge, die uns zufallen. Uns und keinem Anderen.
Eine sehr schöne Geschichte.

Liebe Grüße, Susanna

23. Jul 2016

Eine interessante Interpretation - sogar für einen notorischen Zweifler.
Danke und liebe Grüße
Alfred