Kuchiki no tou

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Die Geisha bog ihren Körper grazil nach vorne, stützte sich langsam auf ihre Hände und ließ sich fallen um dann im Rhythmus der Musik wieder aufzustehen. Ein leises Raunen ging durch das Publikum, welches hauptsächlich aus Männern bestand. Ein paar Geishas servierten Getränke oder Speisen; besondere Aufmerksamkeit wurde den Samurai, welche von einer kleinen Ecke aus das Geschehen beobachteten, zu teil. Die Gruppe der Krieger stammte aus Saga und gehörten dem Nabeshima-Clan an. Ihr Fürst, Tsunashige Nabeshima, hatte nach den vielen Ereignissen des letzten Jahres gestattet, dass seine Gefolgsleute sich ein bisschen entspannen durften.
Die Geisha verließ die Bühne und lief durch das Publikum an den Samurai vorbei. Ihre schwarzen seidenen Haare schimmerten im schwachen Licht des Mondes, der durch das kleine Fenster schien. Ein junger Samurai, Kaji Akata, betrachtete die junge Frau interessiert. Schließlich stand er auf um ihr stolzen Hauptes zu folgen. Atsushi Nakazawa, der Hauptmann des Clans, umfasste Kajis Hand und hielt sie mit einem starken Druck fest. Der Hauptmann zwang seinem Samurai zum Augenkontakt. Wenn Kaji einen freien und starken vom Kriegsmut sowie vom Liebe zum Fürsten geprägten Geist hatte, musste er seine Augenlider nicht hinabsenken. Kaji hielt dem Blick problemlos stand, was in der Edo-Zeit eine Seltenheit war. Atsushi neigte wohlwollend den Kopf, während er Kajis Hand losließ.

Die Geisha spürte, dass ein Samurai ihr folgte, sodass ihr Herz ein Wenig in der Brust begann zu flattern, denn von einem so stolzen und edlen Krieger solche Aufmerksamkeit zu bekommen, wünschte sich jede Geisha. Kaji fühlte sich schon von der jungen Frau angezogen als sie noch auf der Bühne stand. Sie hatte etwas, was ihn magnetisch anzog. Es war nicht der Körper der Geisha, eher ihr inneres Wesen, welches sie durch ihren grazilen Tanz teilweise offenbart hatte, ob sie es nun wollte oder nicht. Die Geisha öffnete die große Flügeltür und trat in den prächtigen Garten. Kerzen und Fackeln deuteten den Weg an und tanzten wie schummrige Nachtlichter der Geister in der Dunkelheit. Die Schatten der Pflanzen wogen auf dem sandigen Boden hin und her. Unter Kajis Füßen knirschte der Sand, aber längst nicht so laut wie bei der Geisha, die einen Teich ansteuerte. Dort ließ sie sich im Gras nieder. Sich der Wirkung auf den Samurai bewusst, versteckte die junge Geisha sich hinter ihrem Fächer und lenkte ihre ganze Mystik auf ihre braunen Augen. Kaji rückte sein Daishô zurecht, dann schritt er zu der Geisha.
„Darf ich mich zu dir setzen?“, fragte er im höflichen Ton.
„Ja, sehr gerne“, erwiderte die Geisha und rückte ein wenig zur Seite.
Kaji ließ sich leise seufzend nieder, schnippte einen Stein in den Teich und lächelte die Geisha sanft an.
„Wie ist dein Name?“, fragte er schon nicht mehr in einem Ton, der sich Fremden gegenüber geziemte.
„Hinako Yabashibi“, antwortete Hinako nach einer weile, weil sie von dem freundschaftlichen Ton des Samurais sehr überrascht war, doch gleich darauf fasste sie sich wieder. „Wie darf ich dich denn nennen?“
Hinako senkte den Fächer und neigte ihren Kopf leicht nach links, was ihr eine kindliche Neugier schenkte. Kaji lächelte leicht. Er schätzte sein Gegenüber auf ein Alter von vielleicht 24 Jahren.
„Kaji Akata. Ich gehöre dem Nabeshima-Clan an.“
Etwas blubberte in dem Teich. Hinakos Blick folgte dem des Samurais und erhaschte eine Rückenflosse von einem Glückskarpfen. Die Geisha plätscherte mit ihrem Fingern im Wasser, sodass drei Karpfen kurz auftauchten, während einer sogar hochsprang um mit einem leisen Platschen wieder im Wasser zu landen. Kaji begriff langsam, was ihn an Hinako so faszinierte. Sie war ein Mensch, der sich mit der Natur im Einklang bewegte. Ihre junge Schönheit war auch relevant, aber stand nicht so im Vordergrund wie ihr Wesen, was Kaji noch mehr ergründen wollte.
„Erzähl mir etwas über deine Herkunft“, forderte Kaji sehr freundlich.
Hinako seufzte leise.
„Es gibt nicht sehr viel zu erzählen. Ich wurde in einem Fischerdorf an der Westküste geboren. Mein Vater fuhr immer mit mir auf das Meer hinaus...ich wurde praktisch auf dem Wasser groß. Meine vier anderen Geschwister mussten meiner Mutter im Haushalt helfen.“ Hinako pulte an ihren schlanken Fingern und lächelte kindlich. „Vater erklärte mir die verschiedenen Fischarten und manchmal fuhren wir auch nachts hinaus, damit er mir die Bedeutung der Sterne erklären konnte. Eines Tages wurde ich krank. Die raue Seeluft hatte meine Lunge angegriffen. Vater fuhr alleine auf das Meer und kehrte nie wieder zurück.“ Hinakos Blick war verschleiert. Sie schaute in eine andere Welt, wo sie ihren Vater suchte, aber nie finden würde. „Meine Mutter konnte mich noch nie leiden. Eigentlich sollte ich ein Junge werden und Mutter gab mir die Schuld, dass ich lebte. Ohne Vater hatten wir kein geregeltes Einkommen mehr, sodass sie mich an ein Geishahaus verkaufte. Ich war gerade mal acht Jahre alt und nun sitze ich hier schon seid 16 Jahren fest.“ Hinako lachte leise auf, während ihre Augen feucht glänzten. Kaji musste unwillkürlich an das weite Meer denken. Er wusste, dass Hinako auf den Tag wartete, an dem sie zu ihren Vater in das Wasser durfte. Hinako räusperte sich. „Die Zeit vergeht schnell.“
„Ja, das ist wahr, aber was ist die Zeit schon? Wir können uns nicht dagegen stellen, sondern wir müssen uns mitbewegen, uns anpassen. Es heißt jedoch nicht, dass wir die alten Rituale vergessen dürfen.“
Hinako könnte Kaji noch lange beim Reden zuhören. Er hatte eine sehr angenehme Stimme, die sie wie ein seidener Schleier einhüllte.
„Ich möchte etwas über dich wissen.“
Kaji lehnte sich am Kinn reibend ein bisschen zurück. Damit schindete er nicht nur Zeit, sondern fand auch eine Gelegenheit Hinako diskret zu mustern: Die sanften Abendbrise spielte mit ihrem offenen Haar, das weiß geschminkte Gesicht ließ die Lippen rot schimmern. Der schwarz-grüne Kimono betonte die schlanke Figur Hinakos. Der Fächer mit dem Drachenmotiv ruhte auf ihrem Schoß. Kaji spürte, dass er in einen Strudel der Gefühle gezogen wurde, aber er tat nichts dagegen.
„Ich wurde 1678 als viertes Kind von sechs geboren. Mein Vater, ebenfalls Samurai im Nabeshima-Clan, sorgte schon zwei Jahre nach meiner Geburt dafür, dass ich Samurai wurde.“
„Warst du der einzige Sohn?“
„Ja.“ Kaji hüstelte leise. „Mit fünf Jahren saß ich regelmäßig allein im dunklen Wald. Anfangs hatte

©Giulia Strek/ 2009

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