Vor dem Himmlischen Heerscharengericht (Ein absurdes Schauspiel in 3 Akten) - Page 2

Bild von Alf Glocker
Bibliothek

Seiten

Szene

Aurora erwacht hinter dem Horizont und färbt die Wolken von unten gülden. Unten auf der Erde beginnen die Vöglein, die „Er“ dennoch ernährt, zu zwitschern an und die Sonne beginnt zu lachen – so laut, daß allen ganz warm ums Herz wird. Allen, außer dem bereits so gut wie Verurteilten in seiner dunklen Gewissenzelle, die auch dann noch dunkel bleibt, als sich die übrige Welt schon überschwänglich darüber freut, wieder geweckt worden zu sein.

Der Gerichtsdiener kommt vorbei und bringt einen Teller, dessen Rand die Aufschrift „Eine milde Gabe“ trägt, mit Essen herein. „Verdient hast du es dir nicht“, murmelt er in sein Spitzbärtchen, aber davon hattest du ja noch nie eine Ahnung, du Drecksau“!

Scheinbar unbeeindruckt, schaufelt der Delinquent in Spe die wertvollen Speisen in sich hinein, denn sein Wahlspruch ist und war es zu jeder Zeit, sich rücksichtslos zu erhalten. „Das tägliche Essen ist nur ein Hinauszögern des Todes!“. Doch genau darauf kam es ihm immer an, auf dieses Hinauszögern, denn da gab es noch einiges, was es zu erleben galt. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt – auch bei Verbrechern!

Am späten Vormittag wird er wieder dem Allerhöchsten Himmlischen Heerscharengericht zugeführt, um vor der Vorverurteilung noch einmal gründlich be-urteilt zu werden. Das ist ihm klar, das macht ihm etwas aus, aber so ist die Welt, sagt er sich, und weiter „Ich bin nicht Gott, ich weiß zwar nicht was ich tue, aber ich handle weil ich es muss, nach dem schlechtesten Gewissen, was zugleich nichts anderes, als mein bestes Wissen ist“.

Der Angeklagte wird in das Gerichtsareal geführt. „Name!“ donnert der Richter, von seiner großen, weißen Wolke herab. „Uwe Unhold“, flüstert der Angeklagte wahrheitsgemäß.

Sofort macht der Himmelsanwalt einen Sprung – beinahe wäre er von seiner grauen Wolke gefallen – und ruft: „Schizophren! Der Unmensch ist schizophren! Oder will er uns jetzt, im Beisein unserer Fachleute weismachen, daß er durchgeknallt, anstatt falsch und hinterlistig ist, wie ich, in aller Unbescheidenheit glaube?“

„Lassen wir doch erst einmal unsere Spezialisten zu Wort kommen“, jammert der Pflichtverteidiger, dem bei der Sache nicht ganz wohl ist, denn was soll schon groß herauskommen?! Das Individuum wurde schließlich jahrzehntelang beobachtet, bevor man sich entschloss es aus dem Verkehr zu ziehen – und dies im wahrsten Sinne des Wortes „Verkehr“.

Ein flügelloser Himmelsspion schwebt, durch eine Nebeltüre in das Areal. Er lächelt zynisch, die Sonne scheint ihm mitten ins Gesicht, was ihm, durch etwas verbliebenen Rauch aus dem Nebel einen leuchtenden Heiligenschein verleiht. „Ich kann hinreichend Auskunft geben“ verkündet er froh.

„Erzählen sie uns, wie es dem Angeklagten gelungen ist ein solch gerüttelt Maß an Schuld anzuhäufen, dem es vergönnt ist, uns immer wieder in Erstaunen zu versetzen!“ brüllt der Himmelsanwalt ungeduldig,
denn seinem Dafürhalten nach ist der ganze Prozess ohnehin überflüssig. Er möchte schleunigst nach Hause zu seinen süßen Engelchen, die ihm so viel Freude machen, daß er darüber manchmal sogar das Leid der Welt vergisst.

„Wir beobachten die Zielperson schon länger, da wir durch Turbulenzen in seiner Umgebung auf ihn aufmerksam wurden“, berichtet der bezahlte Spitzel, wobei er hörbar mit dem Scheck über die letzten 30 Silberlinge in seiner Hosentasche raschelt. An ein unschuldiges Mädchen hat er sich herangemacht, und zwar aus niederen Beweggründen: er wollte auch einmal Sex erleben, der Spätzünder, Rohrkrepierer, oder wie wir ihn nennen mögen. Von Liebe hatte er keine Ahnung“.

Der Pflichtverteidiger rutscht unruhig auf seiner schwarzen Wolke herum. Das ist ein durchschlagendes Argument, dieses Nichtvorhandensein von Liebe, ob nun aus Unwissenheit, oder aus Niedertracht, das spielt keine Rolle. Das konnte nur noch ins Auge gehen. Und als der Richter fragt „Angeklagter, entspricht das den Tatsachen?“, da nickt dieser Trottel auch noch:

„Ja“.

„Wie ging es weiter?“ will der Heilige Vorsitzende, der Allerheiligste oder mehr, des Gerichts der Himmlischen Heerscharen nun wissen.

„Ganz einfach“, erläutert der Spion. „Wir haben uns ja unter seine Freunde gemischt, um, als V-Männer Genaueres zu erfahren. Deshalb wissen wir auch sogar aus seinem eigenen Munde, daß ihm die sich nun anbahnende Entwicklung Spaß gemacht hat. Die ganz natürlichen Reaktionen einer jungen Frau, ihn auf eine künftige Vaterrolle vorzubereiten, hat er geflissentlich ignoriert, nur weil die intime Wollust, die er, wie er sagte, lange vermissen musste, ihn nun über die alltäglichen Ereignisse in der Arbeitswelt hinwegtrösten sollte, zu erleben“.

Der Richter: „Stimmt das?“

„Ja“.

„Sie glauben also, sie hätten einen Trost für ihr Engagement auf Arbeit verdient, in einem Bereich, der anderen Sterblichen höchste Freuden bereitet, weil sie wissen, daß sie damit die Erhaltung ihrer Art finanzieren können?“

„Ja“.

„Es ist unglaublich! Wie lange wollen wir uns das eigentlich noch bieten lassen? Ich halte das für eine Verhöhnung des Himmlischsten aller Allerhöchsten Heerscharengerichte! Kann man dem denn nicht Einhalt gebieten, hier, in den Gebieten der, von Höchster Stelle verordneten Seligkeit?“ Der Himmelsanwalt trampelt mit hochrotem Kopf auf seiner grauen Wolke herum. Seine Robe, die einer Soutane gleicht ist bereits so sehr durchgeschwitzt, daß sich sogar die nun herein schwebenden Psychiatrischen Gutachter ernste Sorgen machen. Eine von 73 Jungfrauen aus dem Nachbarhimmel eilt herbei und tupft ihm, hingebungsvoll rührend, mit ihrem Keuschheitstüchlein den Schweiß von der Stirn.

Der Pflichtverteidiger fühlt sich aufgerufen, auch etwas dazu sagen: „Mein Mandant hatte ja auch immer ein schlechtes Gewissen, besonders als sich damals sogar seine Schwiegermutter in Spe für ihre Tochter stark gemacht und an ihn appelliert hatte, seinen Charakter zu bessern und sich dem Guten, der bedingungslosen Anpassung an die Gesellschaft, zuzuwenden“.

Richter: „Entspricht das den Tatsachen?“

„Ja“.

Richter: „Nun, die Sachverständigen werden zu klären versuchen ob dies für Mildernde Umstände reicht“.

2. Akt, 2. Szene

Einer der Sachverständigen schwebt nach vorne um seinen Bericht zum Besten zu geben.
„Das Persönlichkeitsbild des angeklagten Subjekts ist, möchten wir einstimmig kundtun, gespalten. Einerseits plagt ihn das Gewissen, angesichts der Erwartungen, die man an ihn hat, und andererseits fühlt er sich andauernd bedrängt einer dubiosen Geschichte nachzukommen, die er für seine eigentliche Aufgabe hält“.

Richter: „Was soll das sein?“

„Er fühlt sich zum Künstler berufen, ist aber gleichzeitig ein so schlechter Geschäftsmann, daß er einfach keinen Künstler glaubhaft darstellen kann. Niemand nimmt ihm ab einer zu sein – sein Verdienst blieb und bleibt weit hinter dem anerkannter Kapazitäten zurück, will sagen: hinter dem Erfolg, den verantwortungsbewusste

Veröffentlicht / Quelle: 
Auf anderen Webseiten

Seiten

Interne Verweise

Kommentare

13. Feb 2015

Das ist direkt ein großes Werk!
(Auch DIESES Bild ist nicht grad Zwerg...)
LG Axel

14. Feb 2015

Ein Lachen löste sich aus der Betroffenheit,
Gelesenes wieder- und wieder zu lesen.
Vielleicht war es nicht an der rechten Zeit,
aber "man" ist sogar wörtlich zitiert gewesen!

In seiner Benommenheit ist ihm eines entgangen,
- vielleicht hat er dem rudimentär nachgespürt,
oder er ist in der Strafe gefangen? -
dass man ihm auf Fürsprache Gnade erwirkt.

Auch in himmlischen Sphären ist man nicht verloren,
es gibt immer noch Stimmen, die "für" einen sprechen.
Nicht alles hat immer sich "gegen" verschworen,
hat er Gewissen-Haft gebüßt, werden die Ketten brechen.

14. Feb 2015

...oder die Himmlischen Heerscharen setzen sich nur für den ein, der immer schön brav alles mitmacht...

Ich will ja die Engel nicht an die Wand malen, aber manchmal kommt es mir so vor

ich bin eben ein Gotteskämpfer

(in etwa:) Und der Engel des Herrn trat in sein Zelt und er kämpfte mit ihm

14. Feb 2015

Besser Gotteskämpfer als Gotteskrieger...
aber: War ich mit Deinem Kommentar überhaupt gemeint?
Wenn Du den "Daumen-hoch-Geber" gemeint hattest, war es richtig, diesmal hat nämlich AXEL vergessen zu voten! (Ätsch!)
MICH freut jedenfalls, dass Du ein ZELT hast und ENGEL in ihrer Existenz als Gottesboten anerkennst (grins), was auch immer Du dann mit ihnen machst. Unterschätze aber bitte weder ihre jeweilige Ausformung noch ihre "Kraft".

14. Feb 2015

Krause sollte für mich voten -
Hat sich verdrückt! (DIE Pfoten...)
(Musste es nun
Wieder selber tun!)
LG Axel

14. Feb 2015

Ausformung?
Ach so :-))

Seiten