Lebenskünstler C: Der schwarze Tänzer - Page 2

Bild von Klaus Mattes
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die zu Staub zerfielen, wenn ein Gigant sie in seine Hand nähme.

Er klingt sympathisch, wenn dort drüben auch so leis nur geschwafelt wird, dass ich nicht beurteilen kann, ob er des Deutschen mächtig ist oder das halb-akademische Publikum ins englische Radebrechen gewechselt hat. Vielleicht zu selbstverliebt und prall klingt die Lache, erwäge, doch wieder abgestoßen, ich.

An diesem Ort kann heute Nacht nur einer von Interesse sein. In mir steht das Bild jenes ersten Negers wieder auf, den ich in meiner kleinen Heimatstadt mit sieben Jahren erblicken durfte. Stolzer als alle, die ihre Häuser daselbst errichtet hatten, wandelte er und führte an seiner hohen schwarzen Seite eine wunderschöne, blonde Kindergärtnerin. Ich sah es schwelgend. In meinem kleinen Leben hatte mich ein Prickeln herben Verlangens, wie so Negerkörper es manchmal erzeugen, angefasst.

Jedoch dieser hier, er ist, genauer erfasst und überlegt, in kaum einer Weise erotisch, vielmehr einfach nur groß, schwarz und verdammt selbstsicher. Jenes Verheißen in den dunklen Augen des fremden Riesen meiner Grundschuljahre, er würde es wohl eher verspotten als erfüllen können. Währenddessen wird mir von der Bank, um die ich ziehe, schwebe wie ein Galeerensträfling, eine Nachtmotte, das Mindestmaß der Distanz säuberlich wahrend, nicht die winzigste Beachtung geschenkt. Von keinem dort, obwohl so mancher meinen Namen ja sehr wohl kennt.

Außerdem, Scheiße, muss ich jetzt wirklich heim!

Als ich den Park in der folgenden Nacht erneut ausspähe, sind sie alle schon wieder versammelt und am dummen Daherschwatzen, diese Ständigen von dieser Bank. Bloß einen schwarzen Mann mit pantherartigen Gliedmaßen und Bassstimme gibt’s nicht dazu. Es geschieht nunmehr: nichts. Also: wie immer. Wir könnten folglich: gleich wieder gehen.

Mehrere Tage vergehen, da sehe ich ihn doch noch einmal. Er hält Abstand zu jedem, geht rein zwischen die Büsche, geht ganz allein, kommt hervor und er geht einsam umher. Dieses Mal ist die Jacke aus Stoff. Und selbst für ihn passiert an diesem Abend einfach mal nichts. Ausgleichende Gerechtigkeit. Welche Art Typen der sich wohl raussucht? Ich kriege nichts mit. Außer: Inzwischen hat er mich wahrgenommen und antwortet auf meine Gegenwart irgendwie. Fast heischend und bittend schaut er herüber. Fast, als liefe er ein wenig, ganz wenig, wie obenhin, mir nach und niemandem sonst mehr. Eine brenzlige Situation, denn Ja sagen kann ich nicht. Er ist zu gewaltig. Nein sagen will ich nicht. Denn wahrscheinlich läuft er mir dann nie wieder nach. Also auch jetzt: die Fliege machen.

Gar nicht so selten kommen aber auch Nächte, in denen alles herrlich ist. Sterne funkeln im Himmel, spermiös duften die Kastanien, diese kleinen Lindensegler tanzen dir ums Haupt, alle Kelche der Blüten wiegen sich über keuschen Wassern, linde Lüfte säuseln in Orplid, meinem Land, und: Keine Sau ist da, kein Schwein ist geil! Als wär’s der verkommenste November, hinterhältigster Februar.

Nun genau in so einer perfekten und dabei ganz menschenleeren Nacht lehnt der schwarze Mann, wieder mal in Leder, an der leeren Bank und wartet auf seinen Einen. Und dieser Eine bin also ist, denn es ist sonst wirklich kein Einziger anwesend. Aber was soll ich jetzt tun? Er wartet und er wartet nur noch auf mich!

Übrigens gehe ich mittlerweile ja davon aus, dass dieser Negroide nicht aus Afrika direkt stammt, sondern von den Vereinigten Amerikas herüber. Von Stevie Wonder einen der unbekannten, nichtsdestoweniger unvergänglichen Hits, George Michael hat’s dann gecovert, pfeife ich so hin vor mich. Jeder schwarze Amerikaner kennt das, weil von Stevie Wonder, mein Neger wird mein Zeichen verstehen.

Doch da geht er, es ging ihm zu lang, gleich ist er raus, anschließend ist er weg. Er geht aber nicht zum Ausgang, sondern vorn um die Ecke, ins Gebüsch. Ich gehe dran vorbei. Es ist so dunkel, alles. Der Trampelpfad beginnt aber erst weiter oben. Er steht also immer noch dort drinnen zwischen den Zweigen vom nadeligen Gewächs. Ich drehe mich fort. Dann wieder hin, einmal noch.

Ich haste hinein unters nadelige Gewächs. Er sagt nicht Hallo, er sieht immer nur vorbei. Ruckzuck grabscht er. Alles geht mir zu schnell. Schon habe ich einen Kolben in der Hand. Drei Mal so groß wie meiner, schätze ich und freue mich gar nicht.

Was ich erhofft hatte, ist es nun doch nicht. Sehr gleich bin ich dem, der hat ja nur einen gebraucht, bei dem er kommen kann. Ich weiß, ich weiß es, der will jetzt ficken und das darf ich nicht erlauben. Er zieht mir die Hose weg, er rückt ihn sich zurecht, er packt den Rest von mir gegen ein weiches Stämmchen. Er spuckt in die Hand und reibt es mir ein. Er presst seine Keule gegen eine Stelle, die für so etwas nicht entworfen sein kann. Schmerz schneidet mich wie ein Messer. Ich ziehe Luft und von da ab spüre ich absolut gar nichts mehr. Es kann gut sein, es kann mich verletzen, ich merke es nicht. Aber der starke Leib tuckert hinter mir, er tuckert vor und zurück. Er seufzt und er wird schneller.

Ich bin ihm so egal. Er war für mich so wichtig, ich bin ihm so egal. Ich höre Klatschen. „Ah! Ah! Ah!“ Es klingt, als komme er jetzt jede Sekunde, er wird es in mir tun und er hat keinerlei Gummi dran. Schon ist der Schwanz wieder draußen und er wird gewischt mit einem Stück Papier. Und das Papier fällt hinab zu anderen. „Tschüss“, sagt der große Schwarze. Der große schwarze Mann ist weg und das erste und letzte und einzige Wort, das ich von ihm gesagt bekommen habe, ist: „Tschüss“.

Als er mich nach mehreren Wochen mal wieder sieht, viele sind unterwegs, geht er sofort und gebieterisch unter dieselben Nadelbäumchen. Und ich muss ihm folgen. Das zweite Mal wird wohl besser werden. Ohne Gummi, hart gestoßen vom Übermonströsen. Und kein Wort dazu. Wieder geht er, sobald er fertig ist. Immer noch nicht weiß ich, warum ich mich so dumm benehme. Noch einmal passiert es nicht, sage ich mir. Schuld daran ist dieser elendige Park und sind die ekligen anderen Besucher, die sonst jedes Mal hier sind. Ich werfe mich weg, ohne wenigstens Lust dabei zu empfinden, weil er der einzige Typ ist, der etwas wie Klasse besitzt. Und natürlich: dass so einer auf mich wartet, wenn er jeden anderen auch haben könnte!

So hätte es sicherlich noch oft ablaufen können. Aber der Schwarze blieb von nun an weg. Ich bin nicht immer da, aber wenn ich da bin, ist er nie da. Dafür sehe ich ihn an der Ampel vor dem Theater, auf der anderen Straßenseite drüben. Bei Grün kreuzen sich die Wege. Einen dürren Deutschen mit schütterem Haar hat er an der Seite. Hier, im Sonnenschein, ist mein gigantischer Neger ein nahezu hässlicher Mensch. Ich bin richtig erschrocken, war mir auch immer klar, dass mir sein Gesicht eigentlich nicht gefallen hatte. Ich gucke extra nicht lange hin, damit er mich nicht entdeckt. Nachher denke ich, wie hätte er mich entdecken sollen, er hat mich ja nie gekannt.

Ficken lasse ich mich eigentlich nie. Einmal kann natürlich reichen. Nur wegen diesem einen Neger und den zwei Malen, wo es passiert ist, gehe ich zwei Jahre lang nicht zum Test, steigere mich aber die ganze Zeit in das Gefühl hinein, heimlich infiziert zu sein. Wahrscheinlich mein vorletzter Mai, denke ich.

In diesen zwei Jahren lerne ich im Park einen kleinen rothaarigen Studenten kennen, meinen Freund. Mein Freund ist zwei Jahre jünger. Vor mir war er Jahre mit einer Frau zusammen. Von allem Anfang an haben wir nie Safer Sex gemacht. Ich bin sein Risiko, denke ich manchmal, aber ich sage nichts, denn ich weiß, er wird mich zum Test schicken.

Mit der Zeit kommt aber überraschend viel heraus, was mein Freund schon angestellt hat. Er hat es faustdick hinter den Ohren. Und auch mit einem gut gewachsenen Schwarzen hat er es schon getrieben, der war ein Künstler. Wie sich rausstellt ein Südafrikaner, ein reisender Performance-Künstler. Nicht meiner, ich weiß mittlerweile, dass meiner William Harris heißt und Tänzer am hiesigen Theater ist.

Immer öfter gebe ich meinem Freund meine Angst vor Aids zu erkennen. Einer von uns beiden könnte infiziert sein. Wir haben uns nie darum gekümmert. Wir haben alles ausprobiert, jeder hat alles mit dem anderen gemacht, wenn es einer gehabt hat, muss es der andere längst auch haben. Mein Freund schiebt solche Gespräche immer wieder von sich weg. Doch dann ist er es, der zum Test geht und mir erst am Abend hinterher davon erzählt. Die Probe ist eingeschickt. Mir wird klar, jetzt habe auch ich keine Wahl mehr. Ich bin sogar froh. Ich kann dem Ergebnis ins Auge sehen, weil er es kann. Ohne ihn hätte ich das nicht gekonnt

Aber die Tests fallen bei beiden negativ aus. Später sagt man dann, eigentlich hat man es die ganze Zeit schon gespürt gehabt. Aber das stimmt nicht. Wir haben zwei Wochen gewartet und es waren zwei schlimme Wochen.

Und wieder kommt der Frühling. Der von Tschernobyl. Jetzt ist alles möglich. Und dennoch ist das wohl nicht mein letzter Frühling.

Wir sprechen über einen schwarzen Tänzer, den wir gestern in „Romeo und Julia“ erlebt haben, Bill Harris.
„Mein Bill“, sagt mein kleiner Freund mit dem kupfernen Schamhaar. Dein Bill, denke ich.
Falls überhaupt von einem, dann ist das mein Bill.
Und außerdem hat der Idiot mich zwei Mal stehen lassen und sich nicht gekümmert, ob ich fertig war oder nicht.

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