Spatzen im Kopf

Bild von Krischan
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Laute Diskussionen machen mich wach.
In der Kiefer vor dem Schlafzimmerfenster besprechen die Spatzen den Tag.
Spatzen sind die Proletarier aller Länder.
Sie haben braune Jacken an, Arbeitshosen und ausgetretene Schuhe.
Wo unsere Spatzen wohnen, weiss ich nicht. Ich habe fünf Nistkästen aufgehängt und gut darauf geachtet, dass die Einfluglöcher klein genug sind für die schönen Vögel.
Denn Spatzen gibt es genug bei uns. Sie arbeiten hier, sie schlafen in der Kiefer. Ihre Kinder ziehen sie woanders auf.
Komm mal mit ans Fenster. Wie viele Spatzen sehen wir unter der Kiefer? Fünf? Okay, fünf.
Während wir noch im Schlafanzug am Fenster stehen, frühstücken sie schon und kompostieren an Ort und Stelle.
Klatsch mal in die Hände. Wie viele fliegen auf? Dreißig? Da staunst du. Hast sie nicht gesehen in ihren braunen Jacken.
Am Gartenteich habe ich kleine Feldsteine aufgereiht. Wieder fünf Spatzen sitzen auf den Steinen und einer badet im flachen Wasser. Wenn er abschwirrt, rückt der nächste nach und der freie Stein ist besetzt, bevor du blinzeln kannst.
Es sieht aus, als ob es heute Suppe geben würde, weil Samstag ist. Du legst Holz im Badeofen nach weil nach dir noch zwei in die Wanne wollen.
Spatzen würden das tun.
Wenn ich die Tür zum Hof aufmache, rufen sie kurze Kommandos und Kundschafter fliegen die Futterhäuser ab. „Wollt ihr mich erziehen?“ frage ich. „So nicht, Freunde.“ Und gehe zum Futtereimer.
Lass uns mal eine Hand voll Vogelfutter in die Futterhäuser geben. Hörst du es in der Kiefer? Wir gehen zwei Schritte, drehen uns um und schon sitzen sie da, haben den Schnabel voll und äugen nach uns.
Was wir füttern, wird zuerst von den Spatzen auf seinen Nutzen geprüft. Ab und zu stibitzt sich eine Meise ein Kernchen, schnell ab damit an einen sicheren Ort.
Unter den Futterhäusern suchen Tauben und Krähen nach.
Später fliegen die Krähen die Nistkästen für die Singvögel ab und schauen,
ob die Brut schon reif ist.
Sie werden von unseren Spatzen gefüttert.
Sicher plündern sie auch die Spatzennester. Aber bei uns wohnen keine Spatzen.
Wir haben die Spatzenwelt gemacht. Und die Krähenwelt.
Wenn sich die Blätter der Kirschbäume und des Pfaffenhuts unter den Blattläusen gekräuselt haben, bin ich mit Spülmittel angerückt. Mit Blattlausfrei. Mit dem Gartenschlauch.
Lass es.
Lass es die kleinen Landarbeiter tun.
Spatzen kommen durch. Einer von den dreißig. Oder sechzig, wer weiss das schon, die in unserer Kiefer ihren Arbeitstag verbringen, wird den Sperber schon sehen. Oder die Wolke, die sich vor die Sonne schiebt. Oder uns. Komm, wir gehen mal unter die Kiefer. Hörst du? Still. Flattern. Wieder still.
Einer purzelt aus dem Baum und stiebt erschrocken davon. Kaum ist er im Schatten verschwunden, sehen wir ihn nicht mehr. Gut für ihn, dass wir kein Sperber sind.
Wir haben auf unserem Hof Platz für Rotschwänzchen, Amseln, Rotkehlchen und Meisen geschaffen. Beherrscht wird er von den Gangs der stabilen kleinen Proletarier. Das wird so bleiben.
Es ist Spatzenwelt.

In der Dämmerung zwischen Schlaf und Erwachen ein vielstimmiges Tschilpen. Schnäbel und Köpfe wie Schatten. Nur ein paar Sekunden. Manchmal bringen sie mich in den Tag.

Manchmal habe ich Spatzen im Kopf.

Interne Verweise

Kommentare

07. Dez 2020

Schöner Text !
HG Olaf

07. Dez 2020

Bei uns gibt es seit langem keine Spatzen mehr. Das stimmt mich traurig, denn ich liebe diese kleinen braunbunten Federbälle.
:(((