Sprache, Macht, Magie: Stehen Übersetzungen vor einer Zeitenwende?

08. Februar 2020

Übersetzungen im Wandel der Zeit, der Stellenwert von Übersetzungen und Übersetzern heute und die Macht von Übersetzungen im Allgemeinen.

von Literat Pro
Bild zeigt Der Turmbau zu Babel nach Lucas van Valckenborch
Der Turmbau zu Babel nach Lucas van Valckenborch
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Wer in der Geschichte und den Mythen sucht, der kennt die Macht und die Magie von Übersetzungen. So war es zumindest bis heute. Als Luthers Bibelübersetzung vor knapp 500 Jahren erschien, im Jahr 1522, war das Werk nicht nur die wichtigste Triebkraft der Reformation, sondern auch ein Meilenstein für die Kodifizierung der deutschen Sprache. Es war eine Zeitenwende. Fast 1500 Jahre zuvor zeigte sich die Macht und Magie der Sprachübertragungen schon bei der Geburtsstunde der christlichen Kirche, bei dem Pfingstwunder. Es war ein mythisches Geschehen. Den in Jerusalem versammelten Aposteln brauste damals der Heilige Geist mit Feuerzungen durch das ganze Haus. Er setzte den Jüngern Jesu die brennenden Zungen dann auf die Häupter und ermächtigte sie dadurch, auf einmal in fremden Sprachen zu sprechen, ohne sie jemals erlernt zu haben. So konnten sie fortan missionieren. Die Kirche war geboren.

„Diese Seite übersetzen?“

Heutzutage erleben wir es, dass uns beim Aufruf von Webseiten in fremden Sprachen je nach dem verwendeten Browser und dessen Einstellungen ohne jedes Brausen ein Dialogfeld mit der Frage: „Diese Seite übersetzen?“ erscheint. Man kann es sich bei den möglichen Optionen sogar aussuchen, in welche Sprache übersetzt werden soll. Es werden über hundert Sprachen angeboten, von Afrikaans bis Zulu. Es sind Sprachen, von denen wir die meisten noch nie erlernt haben. Natürlich sind diese maschinellen Übersetzungen bisher nicht völlig perfekt. Sie verbessern sich aber Jahr für Jahr. Ob es sich nun auch um eine solche Zeitenwende wie damals handelt? Und wer beherrscht sie?

Der Turmbau zu Babel

Das Sprachwunder von Jerusalem war kein rein zufälliges Ereignis. Es war die neu testamentarische Antwort auf ein noch viel früheres Ereignis, das sich ebenfalls nur durch eine überirdische Macht erklären lässt. Das war die Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel. Damals hatte laut der Bibel Gott die Vielfalt der Sprachen nicht etwa als einen höheren Wert verstanden, sondern hatte sie sogar als eine Strafe über die überhebliche Menschheit verhängt, die mit ihrem Turmbau den Himmel erreichen wollte. Vielleicht wollten sie sich auch nur die Zufluchtsstätte bei einer zweiten Sintflut sichern. Beide Ereignisse, das Sprachwunder und die Sprachverwirrung, stehen in einem dialogischen Verhältnis. Dem strafenden Gott steht ein liebender Gott gegenüber. Das ist das Konzept dieser Narration. Da jeder der Bauleute im damaligen Babel auf einmal eine eigene Sprache sprach, konnten sie sich nicht mehr verständigen. Sie brachen den Bau ab. Es gab ja damals noch keine Übersetzungsprogramme.

Übersetzungen sind eine große Macht

Die Fähigkeit zu Fremdsprachen ist eine fast magische Macht, die die Welt zumindest seit Babylon beherrscht, offenbar sogar dann, wenn sie dem Menschen zur Strafe verweigert wird. Denn dann ist er in vielen Situationen plötzlich völlig hilflos. Aber es wird in heutigen Zeiten nicht mehr möglich sein, ein unerwünschtes Bauprojekt wie damals mit der Sprachverwirrung bei den Bauleuten zu verhindern. Denn die diversen Translationsprogramme von Google bis DeepL werden immer perfekter. Noch sind die literarischen Übersetzungen etwa englischer Gedichte, von Kurzgeschichten, Erzählungen oder ganzer Romane eine zu hohe Hürde. Aber die Programme der künstlichen Intelligenz lernen sehr schnell.

Sprachen selber lernen oder nicht?

Sprachen sind komplexe Ausdruckssysteme. Sie sitzen uns wie eine Brille auf der Nase. "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, sagte der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein. Die Jünger Jesu brauchten die Fremdsprachen allerdings nicht zu lernen, um in ihnen zu sprechen. Das verdankten sie dem Heiligen Geist. Wir brauchen laut Google und Co. nun angeblich auch gar keine Fremdsprachen zu erlernen, um sie zu übersetzen. Das verdanken wir den Übersetzungsprogrammen. Sie erkennen relevanten Muster und Konventionen jeder Sprache. Für diese Programme ist es einfach ein maschineller Lernprozess. Doch wenn wir uns nun daran gewöhnen und wenn die Programme auf einmal verschwinden oder nur noch gegen hohe Gebühren zugänglich sind, dann sind wir ohne andere Sprachen wieder auf einmal dort, wo alles begann. Wir wären wieder in Babylon.

Droht uns etwa der Tod des Übersetzers?

Im Kulturbetrieb stellt sich der Übersetzer trotz des Verstehens und Übertragens von Texten in der Regel immer hinter den Autor zurück. Dennoch ist das Verstehen, Sprechen und Schreiben in mehreren Sprachen eine hochwertige geistige Leistung. Aber Übersetzer zu sein, ist in Deutschland keine geschützte Berufsbezeichnung. Droht uns der Tod des Übersetzers? Nein. Sybille Martin, die Übersetzerin von „Der Tod des Übersetzers“ von Ignacio Martinez de Pison, ist anerkannte literarische Übersetzerin, ist im Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke organisiert und erhielt für ihre Übersetzungen sogar mehrere Auszeichnungen. Dieses Refugium der literarischen Übersetzungen dürfte von maschinellen Übersetzungsprogrammen nicht bald, vielleicht sogar nie erobert werden. Programme können zwar Wörter und Sätze übersetzen, aber nicht deren Magie.

Fakten, Fakten, Fakten…

Übersetzungen sind oft nicht einmal für Übersetzungsprogramme einfach. Die verschiedenen Sprachen verwenden unterschiedliche Wortfelder trotz ähnlicher Bedeutung. Das ist nicht nur die Schwierigkeit für jeden menschlichen Übersetzer, sondern auch für die maschinelle Übersetzung. Wie sagte es der Philosoph Wittgenstein in den „Philosophischen Untersuchungen“ so treffend? „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“. Er meinte damit auch die vielen Unterschiede zwischen den Sprachen, weil jede von ihnen anders definierte Wortfelder hat. Das fängt bei Töpfen und Pfannen an und endet bei Jacken und Mäntel noch lange nicht. In den Niederlanden sind es alles „Jassen“, in Deutschland nicht. Die Übersetzungsprogramme übersetzen es dann wild durcheinander.

Der Anfang jeder Übersetzung, das ist das Wort

Es ist der nahezu einfachste Satz bei jeder Übersetzung: „Im Anfang war das Wort“. Wie sollte es denn anders sein? Der Satz ist seit fast zwei Jahrtausenden aber auch ein mythischer und magischer Satz. Der Evangelist Johannes beginnt sein Evangelium mit diesem so berühmten Satz. Warum er diese Worte sagte? Er war auch Übersetzer. Übersetzungen sind nicht nur Übertragungen von Texten, sondern auch von Botschaften. Johannes will uns mit seinem Evangelium die christliche Botschaft auf seine Weise verkünden. Die deutsche Übertragung seiner Sätze zeigt die Gefühle, die er bei seiner Übersetzung spürte: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden“. Das ist zwar nur eine Übersetzung, aber sie hat so viel Magie.