Entfernte Jahreszeiten - ferne Jahre

Bild von Annelie Kelch
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"Der Träumer muss stärker sein als seine Träume."
Victor Hugo: 'Das Vorgebirge des Schlafs'

Runen aus Schnee, Ruinen.
Häuser, stillgelegt.
Traumferne Zeiten, magere Jahre.
Weiße Verlorenheit.
Unternehmen Barbarossa.

Nimmersatte!
Gefesselte eines Sommers.
Prähistorische Hausbesetzung mit
verschlissener Stimme
(o lieblicher klangen Reibeisen).
Fratze im Spiegel,
Lippenstift-Runen auf Glas: Rote Armee.
Du wolltest nach Thüringen (ich
starb vor Kummer).
Im Kahn hing leblos der Sommer
und trieb aus der Bucht.

Kartoffelernte: Stigma des frühen Herbstes.
Frauenleiber: stählernes Rückenheer,
gebückt, seltsam verkrümmt - indes
ungebrochen - und Lachen: trotz allem.
Stoppelparade; Kopftücher, bunt und nickend.
Sturmschwalben über der Elbe; Totenschiffe.
Wo kam bloß die Alte her, die sich bekreuzigte,
als du mich küsstest unten am Deichhang? -

Gehäkelte Topflappen, bestickte Sofakissen,
Wellensittiche, tausend und abertausende
(jeder zweite hieß Hansi).
Teerpappe, Klärgruben, Waschküchen,
gestärkte Schürzen; Leiterwagen, Reichsbund.
Ellenlange Feuerhaken (wenig probates Erziehungsmittel).
Mittags: Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Speck.
Abende ohne gleißende Bilder, dafür mitunter Stimmen;
Caruso, Tauber, Schock, Conny & Peter,
Kalle Blomquist.

Runen, Ruinen im Schnee des Vergessens ...
Lippenstift-Spuren in Spiegelfratzen,
blutzerstückeltes Glas.
Ums Haus wehte Flocke um Flocke:
fliegende weiße Schimmel.
Stille.

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