Flora, die Göttin der Blüten, spricht:

Bild von Kurt Tucholsky
Bibliothek

(Von Theobald Tiger
Anmerkung Redaktion: Pseudonym von Kurt Tucholsky)

Hier stehe ich mit meinem Blumenflor
und komme mir unsagbar dämlich vor.

Denn durch mein Körbchen geht ein Raunen:
Was nun? nach all den Kriegeslaunen?

Was nun? nach so viel widrig wilden Winden?
Wann werden wir uns selbst in Ruhe finden?

Wenn ich mir so den Weltenlauf betrachte,
so rief ich gerne: Sachte, Kinder, sachte!

Ihr tobt und kollert, speit und spukt und kakelt
und nennt euch gegenseitig schwer bemakelt;

ihr lebt so rasch und habt so viele Sorgen
und denkt nur immer hastig an das Morgen …

Blaublümelein? Ihr macht euch nichts daraus.
Ich glaub, drum seh ich etwas trübe aus.

Selbst jetzt im Lenze bin ich stark verschnupft.
Die großen Zeiten haben mich zerrupft.

Der Zephyr krault mein seidenweiches Haar.
Ich aber beut euch eine Rose dar.

Ach! seit die ersten Biwakfeuer glommen,
fühlt ich mich immer mehr heruntergekommen.

Mein Formenreichtum muß sich ja vermindern.
Was macht ihr aber auch aus meinen Kindern!

Ein dicker Protz schenkt seinem Cancanöschen
zum Namenstag im Mai ein zart Mimöschen.

Dem Wucherreichsamt schickt ein Schieber
– natürlich anonym – Jelängerjelieber!

Und unserm Volk schickt man ins Haus
den schwärzesten Tollkirschenstrauß.

Und Rosen, Tulpen und Narzissen – – –
Das ganze Leben scheint mir jäh zerrissen.

Wie aus Pandoras Buchsen mag entfliehn
der Hoffnungsstrahl! – Ich danke ab!
Und werde Blumenmädchen in Berlin!

Veröffentlicht / Quelle: 
Ulk Jahrgang 489. Nummer 22. Seite 78; 29. Mai 1919; Mosse-Verlag Berlin