Fieber

Bild von Annelie Kelch
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Warte, E., - Ich komme …
Halt aus, stolperndes Herz!
Seht ihr Sie? -
Madame, weit gereist, gibt sich die Ehre:
Vom Riesengebirge herab trägt sie auf jeder Welle
eine Legende … vom Fürsten der Gnomen,
vom launischen Berggeist Rübezahl.

Ach, wäre mein Herz keine offene Wunde,
mein Mund nicht so trocken wie die Sahara,
mein Hals kein schmerzender roter Schlund!

E., you 're the true Queen of Table Waters,
please, give me something to drink …

Warte, E.! Warte auf mich -
am Zollhaus, an der Alten Mole, am Kai!
(Ich bin kein Mädchen aus Piräus, kein Mädchen aus …)

Fieber, dein Name sei Angina (an:gina)!

„Träum nicht!!!“ - Ich träume.
Ich träume vom Sterben.
Ich wache auf -
links oben an der Zimmerdecke lauert ein Schatten.
Mein Mörder – wartet auf Arbeit,
er fürchtet die Dechiffrierung der Welt. -

(John Maynard.- Wer war John Maynard?)

John Maynard war unser Steuermann.

Lass dich nicht fallen vom Felsen, vom Kirchturm, von der höchsten Stufe:
Das Leben ist – kein Traum!
Fieber killt Krebszellen – tatsächlich?

Bis zu den Knien im Schlick deiner Ufer versunken,
fettes Sumpfdotter – meine Augensterne, deinen grünen Auen entnommen,
ein Geschenk des Himmels!

E., you 're my true love. -
Please, give me something to drink. I 'm so very, very ...

(„Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt nach Nimes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock.“ -
„Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert 's mich?“)

In deinen Auen funkeln die Muttertagswiesen im Tau,
darin ich versinke,
vom Sauerampfer koste,
mich bräunen lasse
von tausend Löwenzahn-Sonnen,
das Zittergras beben sehe, es wispern höre:
„Vorsicht! - Das Ried, das Ried!“ -

Zu spät! - Ein Blatt vom Scharbockskraut um den Finger gewickelt,
das Blut zu stillen, schnell!
You 're my Queen – ich verdurste.

„Kinder, jetzt ritzen wir die Stengel der Gänseblümchen (bellis perennis)
ein und fügen zum Kranz eins ums andre. - Ach schaut nur, wie welk sie nun
sind – ohne Wurzeln und Erde (die Ihre Hoheit zu überfluten sich dann
und wann herablässt; manchmal neigt E. auch zu Übertreibungen)!“

(Er hat uns gerettet, er trägt die Kron'.
Er starb für uns, unsere Liebe,
sein Lohn, John Maynard.)

Seht ihr ... seht ihr das junge Schilf? - Ich löse Blatt für Blatt für das eine, das feine;
das duftet wie frische Lemonen. Das ist zarter noch als
junger Salat. Das schmeckt köstlich!
Die Rispengräser, den Wiesenhafer rupfen
die großäugigen Stiernacken,
die feuchtnasigen Großmäuler -
mitunter auch Blumen.
Rot, weiß, lila schäumt 's an den Ufern der Priele -
ach, du mein liebliches Wiesenschaumkraut.

Ich sprang am weitesten! Manchmal!
Nein, oft. - Fast immer! - Egal!

(… nun springt er ins Boot und mit ihm
noch sechs: hohes, hartes Friesengewächs;
schon sausen die Ruder!)

I 'm ready for another glass of Apollinaris.
You 're wellcome. - 40 Grad – es zischt!

Irgendwo Schlüsselblumen.
Mitunter Klee, weiß, rot, rot-weiß.
Dann und wann Huflattich.
Hier und da Maulwurfshügel.
Überall Kuhfladen: Trockener ist nicht so schlimm,
frischer bringt Glück, wenn man reintritt.

(… da weiß man, was man hat, weil
ich es mir wert bin …)

Please, I need some water. Give me … Waaaaaaaasser!

Sanft streicht der kühle Wind durch die Gräser am Abend,
hüpft mir das gelbgrüne Laubfroschjunge vom Arm,
sticht mich der Glatthafer,
treibt mich der kühle Wind hinauf auf den Deich,
fall ich rein auf die Nickende Distel,
die kratzt mich – getarnt als roter, duftender Klee,
heftet sich mir ans Hosenbein die Große Klette,
brennt auf den nackten Fuß mir die ganz und gar nicht
taube Nessel zum Abschied 'ne dicke Quaddel!

(„Verdammt! Dasselbe Wappen!
Dieser selbe Saal. Drei Jahre sind 's …
Auf einer Hugenottenjagd … Die Flamme zischt, zwei Füße zucken in
der Glut ...“)

Irgendwann einen riesengroßen bunten Strauss gepflückt -
auf der Muttertagswiese, an einem Sonntagmorgen im Mai.
Das ist lange her …

Irgendwann Abschied,
irgendwann Abschied vom Sommer.
Irgendwann Abschied vom Leben, vom Sterben.

(Yesterday, when I was young, younger … yesterday)

Warte auf mich!
Ich komme, E. Ich komme bald -
zur Alten Mole, in die Niederungen,
an den grauen Strand, zum Pier, an Bord, nein!
(Ich bin kein Mädchen von Piräus ...bin kein ...)

Verflucht sei der Schluckreflex!

(… Boot oben, Boot unten, ein
Höllentanz! Nun muss es
zerschmettern! Nein, es blieb ganz!
Wie lange? - Wie lange?)

I' d like to have some more Table Water, please …

Der Schluckakt: eine einzige Qual!
But E., she waits for me. She 's looking forward to seeing me soon.

(Sie gefallen mir. Sie gefallen mir
sehr ...)

Der Tag drängelt durch den Vorhang.
Ladies and gentlemen: Here comes the early down!

Oh, wäre mein Herz keine offene Wunde!
Ach, käme doch endlich der Schlaf!

Herr Ober! - Wasser bitte! Wasser für meine heiße Stirn -
Wasser … aus vertrauten Gewässern: Das sind die klaren Priele der Elbmarsch,
das sind die kleinen Gräben, die Hürden der Niederungen, das ist der Fluss,
mein lieber Fluss: (Albis, Elv, Labe, Nieder-, Unter-, Ober-, Norder-, Süder-,
Außenelbe, Elbe … Elbe …).
Darauf fuhren Ewer und Schuten, Rad- und Bananendampfer, Tanker, Schlepper, Frachter –
und missbraucht wurde sie von Kriegsschiffen, Torpedobooten, Seelenverkäufern, Totenschiffen ...

Dein Name, E., sei Table Water, Queen of Apollinaris! -

… und bitte, Herr Ober, eine kleine Brise
vom seligen Schlaf frühster Kindheit,
vom traumlosen Kindheitsschlummer:
der liegt hinterm Deich verstreut
auf den Muttertagswiesen,
der klebt an den blitzenden Schilfwänden,
ruht in den Eiskristallen der Wolken,
in den Regentropfen, im Nebel;
der schwebt über dem seidigen Wasser der Flusses,
über E., the Qeen of Tables, ob Classic, ob Waters,
of Table Waters - mein Apollinaris;

der spukt in den Wassertiefen, den Untiefen,
wandert mit den Strömungen,
nistet zwischen Planktonalgen
und in den Mägen der Flundern, der Heringe, der Sprotten
(und in den Hamburger Aalsuppen),
der verbirgt sich im Sand der Elbstrände,
darbt auf dem Grund des Flusses
zwischen Moder und Schlamm -
der wartet -

wie die Angler am Ufer, wie der Fährgast:

„Hol öööööver!“

Ich komme, meine Königin!

„Ich kom

mm

me!“

Interne Verweise

Kommentare

27. Feb 2017

Der Text ist mehr als lesenswert -
Sehr künstlerisch er sich bewährt!

LG Axel

27. Feb 2017

Dank, lieber Axel, der Text ist damals, so um 2000 herum,
während eines hohen Fiebers von mir vorverfaßt,
jetzt lese ich, und bin erstaunt, ja doch, es stimmt, ich bin gesprungen dort
mit meinen FreundInnen und habe wohl auch zartes grünes Schilf geprasst!
Doch nicht, weil Muttern nicht gekocht hätte, die kochte jeden Mittag, immer;
es schmeckte wirklich gut, das junge Schilf, sonst hätt' ich nie und nimmer
wohl davon gekostet.

LG Annelie

Vorname Harmgardt
27. Feb 2017

Hallo Annelie, das ist literarischer Feingenuss, ich mag diese Wortwahl und die Aussagen, die dahinter stehen.
".....und bitte, Herr Ober, eine kleine Brise vom seligen Schlaf frühster Kindheit, vom traumlosen Kindheitschlummer.....usw."
Meine höchste Anerkennung und das ist total lesenswert und gehört in "Druck" !!!
An der Elbe bei Lauenburg geboren bin ich später nach einem anstrengenden Umzug am Rhein groß geworden. Habe niemals daran gedacht das zu beschreiben. Jetzt habe ich von Dir einen Anreiz bekommen und werde es versuchen.
"Schilf" hast Du sicherlich "gepresst", was ich ebenfalls gemacht habe. Wir waren mit unserer Mädchen- und Jungenbande eher auf "Sauerampfer" und aus Gärten gepflückte "Äpfel und Birnen" geeicht. Das waren Zeiten !
Ich grüße Dich ganz herzlich und noch einen schönen (Rosen-) Montag,
Volker

27. Feb 2017

Hallo, Volker,

ich bin wirklich erleichtert, dass es dir gut geht. Nach dem Gedicht, das du vorhin eingestellt hast, war ich ernstlich besorgt um dich. Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte ... es hörte sich so furchtbar lebensmüde an. Machte mir schon Vorwürfe, nicht jemanden zu dir geschickt bzw. alarmiert zu haben. Habe leider erst später die Jahreszahl '1966' gelesen. Aber trotzdem ...

Danke für deinen freundlichen Kommentar. Lauenburg kenne ich gut. Dort war ich oft zu Besucht bei meiner lieben großen Schwester. Ach, ja, heute ist ja Rosenmontag. Aber ich habe noch nie Karneval gefeiert. Danke für deine wirklich lieben Worte. Und Schilf oder Ried oder was es auch war, habe ich nicht gepresst, sondern geprasst (sprich: gegessen). Die ganz jungen, ganz feinen Blätter hatten einen sehr aparten Geschmack.

Liebe Grüße
Annelie

Vorname Harmgardt
27. Feb 2017

Hallo Annelie, das ist literarischer Feingenuss, ich mag diese Wortwahl und die Aussagen, die dahinter stehen.
".....und bitte, Herr Ober, eine kleine Brise vom seligen Schlaf frühster Kindheit, vom traumlosen Kindheitschlummer.....usw."
Meine höchste Anerkennung und das ist total lesenswert und gehört in "Druck" !!!
An der Elbe bei Lauenburg geboren bin ich später nach einem anstrengenden Umzug am Rhein groß geworden. Habe niemals daran gedacht das zu beschreiben. Jetzt habe ich von Dir einen Anreiz bekommen und werde es versuchen.
"Schilf" hast Du sicherlich "gepresst", was ich ebenfalls gemacht habe. Wir waren mit unserer Mädchen- und Jungenbande eher auf "Sauerampfer" und aus Gärten gepflückte "Äpfel und Birnen" geeicht. Das waren Zeiten !
Ich grüße Dich ganz herzlich und noch einen schönen (Rosen-) Montag,
Volker

27. Feb 2017

Hallo, Volker,

ich bin wirklich erleichtert, dass es dir gut geht. Nach dem Gedicht, das du vorhin eingestellt hast, war ich ernstlich besorgt um dich. Ich wusste gar nicht, was ich machen sollte ... es hörte sich so furchtbar lebensmüde an. Machte mir schon Vorwürfe, nicht jemanden zu dir geschickt bzw. alarmiert zu haben. Habe leider erst später die Jahreszahl '1966' gelesen. Aber trotzdem ...

Danke für deinen freundlichen Kommentar. Lauenburg kenne ich gut. Dort war ich oft zu Besucht bei meiner lieben großen Schwester. Ach, ja, heute ist ja Rosenmontag. Aber ich habe noch nie Karneval gefeiert. Danke für deine wirklich lieben Worte. Und Schilf oder Ried oder was es auch war, habe ich nicht gepresst, sondern geprasst (sprich: gegessen). Die ganz jungen, ganz feinen Blätter hatten einen sehr aparten Geschmack.

Liebe Grüße
Annelie

27. Feb 2017

Immer wenn wir etwas in einem ausnahmezustand sind, ein klein wenig kontrolle abhanden gekommen ist,
innerer bewegsimpuls nach draussen möchte, gelingt an ehrlichkeit und tiefe nicht zu überbietende Zeichnung, Darstellung, Text.
Ja dort entsteht (in einem FIEBER) Kunst.
Das ist dir gelungen.
Es ist Kunst, Gebilde aus anderen Gebilden herausmodeliert, mit Farbenstruktur versehen und Gedankenbilder real gemacht:
eine Geburt.
Daumen hoch!
Große Literaur.

Erstaunt,
Heinz

27. Feb 2017

Freut mich, lieber Heinz, dass dir mein Text gefallen hat. Er ist auch mit vielen Schmerzen verbunden - gewesen.

LG Annelie