Notizen von der Edelmetalbörse

Bild von Lothar Peppel
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Ich hatte Silberhochzeit. Meine Gattin auch. Da wollten wir uns ein paar schöne Tage machen. Wir sind dann aber trotzdem zusammen verreist. Ein Hotel an einem Stausee. Mitten im Walde. 3 Sterne. Bei guter Sicht. Aufgrund der Pandemie war der Andrang recht gering. Wir waren immer nur zu zweit auf dem Zimmer. Meine Gattin. Und ich. Vom Fenster aus sah man den See. Wir hatten ja auch mit Seeblick gebucht. Ich weiß nicht, was noch im Angebot war. Auf den anderen Seiten war ja nur Wald. Keine Ahnung, ob man da Waldblick für buchen musste. Was ja auch eigentlich egal ist. See. Wald. Wald. Wald. Man ist ja nur zum Schlafen im Zimmer. Oder zum kacken. Hätte ich die Klotür aufgelassen, hätte ich vielleicht auch den See gesehen. Smoke on the water. Das Essen war ja auch deftig. Hausmannskost. Von allem reichlich. Nur nicht an Raffinesse. Um einen Nachtisch aus Dosensprühsahne, Dosenananas und einer Kugel Eis zu kreieren, muss man nicht zwingend sein halbes Leben über einem Pariser Fresstempel gewohnt haben. Das kriegt meine Gattin auch hin. Aus dem Steigreif. Oder wie Hausfrauenhände sonst heißen. Kohlenhydrate. Fette. Eiweiß. Alles war da. Wie in Astronautennahrung. Aber eben mit Besteck. Jeden Abend standen wir satt vom Tisch auf. Was schon mal die halbe Miete für einen Michelin-Stern ist. In etwa. Grob über den fettigen Daumen. Wir hatten ja Halbpension. Also was das Essen betraf. Nicht das Zimmer. Ein halbes Zimmer ist ja auch Blödsinn. Kann ja jeder reingucken. Andererseits hat man dann Seeblick UND Waldblick. Vielleicht sogar für denselben Preis. Oder gar die Hälfte. Unser Zimmer war aber ganz. Mit Dachschräge. Da bin ich mal voll davor gelaufen. Also nicht voll im Sinne von nicht nüchtern. Voll im Sinne von mit aller Kraft. Silberne Hochzeit schließt ja nicht automatisch gänzlichen körperlichen Verfall ein. Auch wenn 35 Jahre mit einem Partner zusammen sein schon da und dort Schwund verursachen können. Klar, Zellen teilen sich. Aber doch nicht die, in welcher man wohnt. 10 Jahre haben wir erstmal getestet, ob das mit uns geht. Angebot und Nachfrage. Beides war wohl unterm Durchschnitt. Da haben wir dann geheiratet. 35 Jahre. Sagt meine Gattin. Darauf ich: kam mir doppelt solang vor. Das Hotel wurde ja auch vor Kurzem saniert. Wollte man duschen, dauerte es um die fünf Minuten, bis warmes Wasser kam. Hätten wir vor der Sanierung gebucht, hätte ich den Besitzer wohl im Januar anschreiben müssen, dass er das Wasser aufdreht, da wir im Juli kommen. Dafür war es überdurchschnittlich nass. Mein Eindruck jedenfalls. Wenn ich erschöpft unter der Dusche stand. Also nicht wegen dem Silberne-Hochzeit-Ding. Nicht nur kulinarisch gab's wenig Höhepunkte. Man ist ja auch keine Fünfzig mehr. Hatten dafür ja auch gar keine Zeit für. Wir waren ja ständig am Wandern. Rauf und runter. Rauf und runter. Um den See herum waren nämlich Hügel verbaut, die man als Flachländer schon als Berge empfand. Auch wenn der Rucksack nicht allzu schwer war. Weswegen ich ihn trug. Abends waren die Waden jedenfalls hart wie Russisch Brot. Die der Kellnerin. Musste ja auch ganz schön rennen. Der Chef des Hauses sagte mir, er bekäme kein Personal. Und das Vorhandene sei alt wie die Bäume, die vorm Haus im Wind ächzten. Gerne hätte ich den Rest meines Lebens mitgeächzt. Doch es war ja nur ein Kurzlaub. Wegen der Silberhochzeit. Und einfach mal raus aus dem Trott. Wobei Trott ja vielleicht der Wortstamm für Trottel ist. Tagein, tagaus im Hamsterrad. Da muss man ja durchdrehen. Wahnsinn mit Seeblick. Und die Waldluft tat ja auch mal gut. Auf der Terrasse roch es abends immer nach Kräutern. Auch wenn meine Gattin meinte, dies wäre der Kräuterschnaps, welchen ich soff. Ja, klar. Wir waren ja trotzdem zusammen verreist.

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Kommentare

03. Jul 2020

Tolle Geschichte !
HG Olaf