Läuterung 004 : Stalking per Google

Bild von Klaus Mattes
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Zur Einschätzung meiner unvorhergesehensten Qualifikationen, wir alle haben davon mehr, als uns bislang bewusst ist, wurden aus weichem Holz rückflugfähige Bumerangs herausgesägt und zugefeilt. Bumerangs haben, wie Düsenflugzeugflügel, schmaler sowie auch länger gerundete, also dickere wie dünnere Kanten, doch die bereitgelegten weichen Brettchen bringen diese unterschiedlich dicken Kanten von der Sägerei her noch nicht mit.

Meine persönlichen Qualifikationen waren in diesem Sektor dann ja nicht aufzufinden, wodurch aber schon festgestellt war, dass sie woanders noch verborgen liegen mussten, denn jeder Mensch hat doch welche. Es hätte an sich drin gelegen, dass meine Qualitäten im Metallbereich auf mich warten. Also ließ man mich aus fetten Metallplatten (von Hand, ohne Elektromotor, ja, ja, liebe Freunde, die industrielle, erst recht die digitale Revolution ist im Sonderbeschäftigungsbereich für prekäre Menschen noch nicht vollständig angekommen) irgendeinen Müll, den ich später weggeworfen und gleich wieder vergessen habe, ein kleines, aber schweres Gelumpe heraussägen. (Ach jaa, jetzt weiß ich’s wieder, einen Bierflaschenöffner und zugleich -verschluss war’s!) Das dicke Metall musste zuerst noch umgebogen und dann ebenfalls langwierig abgefeilt werden.

Als Nächstes folgte der, naturgemäß ganz unverzichtbare, Bewerbungsmappen-Erstellungs-Trainings-Teil. Wieder einmal stellte sich heraus, dass in meiner Nähe sitzende Teilnehmer, die sich gemäß ihrer Mitwirkungspflicht laut Sozialgesetzbuch II (SGB II) und gemäß personalisierter Eingliederungsvereinbarung (EV) über Jahre hin ergebnislos um Stellen beworben hatten, tatsächlich in all der Zeit nicht hatten lernen können, was ein Browserfenster ist, wie man damit auf Stellensuche gehen könnte, obwohl sie ein Handy zu besitzen schienen, wenn ich auch nicht erkennen konnte, ob es sich um ein Smartphone handelte, weil ich selber nämlich kein Handy habe.

So einem wollte ich veranschaulichen, wie man googelt. Wie man beispielsweise eine bestimmte, einem konkret bekannte Einzelperson googelt. All dies trug sich in der kleinen Stadt Eggstaun an der Litter zu. Erna Klein hieß die Fit-Macherin, die vorne gerade am Reden war. Ich tippte unter den Augen mehrerer mir benachbarter Qualifikations-Feststellungs-Maßnahmen-Teilnehmer Folgendes ins Browserfenster ein: „Erna_Klein Eggstaun“. Schnell war entdeckt, dass Frau Erna Klein sich als Entspannungstherapeutin bei der Eggstauner Volkshochschule auch noch betätigt hatte. Und dieses teilte ich - mit hörbaren Worten - meinen Nebensitzern mit.

Am nächsten Tag wurde ich zu einem Termin bei der Hauspsychologin von dieser Fitmacher-Maßnahmen-Einrichtung bestellt. Die Psychologin offenbarte mir, dass mein Betragen der verfassungsmäßigen Ordnung, nämlich dem Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik zuwidergelaufen wäre, alldieweil in demselben drinstehe, dass die Menschenwürde jedes Einzelnen geschützt bleiben müsste. Durch diesen GG-Artikel würden auch Lehrkräfte und darunter vor allem die Frauen vor Nachstellung geschützt. Es gebe so was wie informationelle Selbstbestimmung und besonders für den Privatbereich gelte dieses. Mir zwar sei es nicht bekannt, ihr aber schon, sie könne es nicht weiter ausführen, dass gerade der besondere Fall, nämlich Erna Klein, höchst sensibel wäre, immerhin wäre Frau Klein geschieden und erziehe ihr Kind alleinstehend. Und ja, der frühere Gatte von Frau Klein hätte sie gestalkt bis zum gerichtlichen Näherungsverbot und jetzt käme ich hier an und würde so eine Frau in aller Öffentlichkeit googeln!

Am Ende der Qualifikations-Ausforschungs-Maßnahme gelangte der unschöne Vorfall dann in meine Gesamtpersönlichkeits-Einstufung (fürs Jobcenter und für mich, um mir für künftige Bewerbungen andere Horizonte zu eröffnen). Und zwar unter dem Spiegelstrich Soft Skills. Hatte ich nur wenig Talent zum Umgang mit Balsaholz oder Metallbalken an den Tag gelegt, so stand hier nun zu lesen, teamfähig wäre ich auch nicht so ganz.

Wie Ihnen allen klar sein dürfte, wenn Sie ein Bewerbungstraining besucht haben, wie Sie es, gemäß Ihrer Mitwirkungspflicht laut SGB II alle paar Monate (wieder und wieder bis in die theoretische Unendlichkeit hinaus) tun müssen, damit Sie eine Arbeit finden, befand ich mich hier in einem der Häuser, in denen einem gesagt wird, man dürfe nicht blind auf ein Stellenangebot oder auf einen Vermittlungsvorschlag des Jobcenters hin sich bewerben, sondern solle Internetrecherche betreiben, um möglichst alles über den fraglichen Arbeitgeber zu erfahren und ihn mit entsprechenden Gesprächsbeiträgen im Vorstellungstermin von der eigenen Motivation zu überzeugen.

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[Ehrlich gesagt ist dieser Text schon ein paar Jahre alt. In der Zwischenzeit dürfte das Delikt, einen Menschen, den man von Name und Gesicht her kennt, sonst aber nicht, zu googeln, zum Kavaliersdelikt hinabgesunken sein. Extra hierzu verwende ich im Forum meinen privaten und gesetzlich geschützten Echtnamen.]

Kommentare

06. Sep 2019

Sehr gerne gelesen !
HG Olaf