Text 172: Es ist schon alles nach mir

Bild von Klaus Mattes
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> Wieso konnten Simon Polster, Oliver Schubert, Jürgen Teilacker, Rolf Dietz, Thomas Lucke, Benno Sperr, Andreas Scholz nicht zusammenarbeiten?
Weil Karlsruhe Provinz ist. In der Provinz sind Lichtgestalten dünn gesät. Erst einer, dann irgendwann noch einer, dann auch zwei zugleich, dann lange keiner mehr, nie alle gleichzeitig. Die stecken jedes Mal in einer Mehrheit aus Mittelmäßigen, die so übel doch auch nicht sind, aber nicht in der Lage, zwischen sich und diesen sie Überragenden einen Qualitätsunterschied zu entdecken. Im Lande gilt der Prophet nix. Er braucht seinen anderen Raum oder seine andere Zeit. Deshalb das Bemühen, meine Schriften verschiedenen Archiven zuzuschanzen. Ich dachte, in dreißig Jahren gräbt jemand meine blitzgescheiten Texte aus der Schwulengeschichte aus.

Wären die Genannten zur selben Zeit versammelt, gäb’s Zoff. Der Mensch Oliver Schubert, zumindest, wie ich ihn erkenne, ist mir zuwider. Andreas Scholz hielt ich für einen blässlichen Nachkömmling. Mit ehrenwerten Absichten zwar, aber wenig Talent. Andreas wird mich als aufgeblasenen alten Sack wahrgenommen haben, den man am besten hinter sich lässt. Jürgen Teilacker schien durchglüht vom Erhabenheitsgefühl des Profi-Textarbeiters. Kenne so einen schon von der „HOMM Pomm Pomm“ in Heiligbrunnen. Blättchen gesehen, solidarisch zwar mitgemacht, aber immer gewusst, dass keiner ihm das Wasser dort reichen kann. (So dachte ich in meinen späteren Jahren manchmal wohl selbst. Keineswegs in meinen Anfangstagen. Ich spreche von einer Zeit, die du nicht kennst.)

In Sachen des Visuellen hält Benno sich für die unantastbare Autorität und ist eingeschnappt, wenn mir was nicht gefällt, was er für zeitlos erachtet. Ich hingegen will meinen Einfluss aufs Visuelle schon auch noch haben. Benno seinerseits glaubt, meine Texte komplett zu kapieren. Wenn er sie mir nacherzählt, merke ich, dass er verstanden hat, was auf Linie seiner eigenen Weltsicht lag. Zoff ohne Ende, mein Lieber.

> Kennt Andreas dich? Kommt mir vor, man hat ihn indoktriniert, „Pieroth Neffert“ habe man nicht zu mögen.
Yep. Hat mich drei bis fünf Mal gesehen und sprechen hören. Sogar drei bis fünf Sätze mit mir getauscht. Kann verstehen, dass ich negativen Eindruck hinterließ. War wegen Wirkens unter der Relations-Werbecrew seelisch zerrüttet und all der „Vulcano“-Streiterei. Glaubte, es sei meine letzte Chance, inhaltliche Positionen durchzusetzen. Wenn ich was durchsetzen will, klappt das nie. Das passt anscheinend nicht zu mir. Ich werde grob und laut. Glaubte, ich würde von der Ernsthaftigkeit meiner Anliegen überzeugen, habe sie von meiner Verrücktheit überzeugt.

1. Nur schreiben, was man weiß und kennt, nichts nachplappern.

2. Neuigkeiten erzählen, die was zu tun haben mit dem Leben der Leser.

3. Wertungen vermeiden und wenn, als solche kenntlich machen.

4. Hinaussehen über eigene Peer Group.

5. Werbung gibt’s nur gegen Geld. Sonst Werbung in journalistischen Texten vermeiden wie der Teufel das Weihwasser.

6. Mut haben, den Bekannten und Freunden zu widersprechen.

7. Die Götzen der Zeit in Frage stellen: Sex, Jugend, Schönheit, Prominenz, Reichtum.

8. Besser, selbst etwas Kleines finden, als aus zweiter Hand angeblich Großes übernehmen.

9. Wissen, was man erreichen will.

10. Überlegen, für wen man da schreibt. Warum man es so tut und nicht anders.

11. Wissen, dass Wahrheit Menschen (und einem selbst) wehtut. Sie lieben.

12. Und so weiter.

Nein, nein, dieses Blatt ist nicht so, dass ich dächte, Kalle Krücklein, Ingo Lautschläger oder Ingo Schauckert (Wie heißt der Styla-Zögling noch? Dieses Mal habe ich’s wirklich gleich weggeworfen) hätten ein nennenswertes Gespür fürs soeben Gesagte. Nein, nein. Nein, der gute Hermann Hofschmied hat so ein Gespür nicht und dein geachteter Ingo Schauckert auch nicht. Sonst hätten sie Probleme mit diesem Blatt, aber die haben nie welche. Jetzt meinen, wegen Andreas Scholz werde es anders? Na ja. Ist egal. Es ist schon alles nach mir. Das geht mich nichts an.

Das Polizei-Interview von Andreas war gut. Aber: Trotzdem hätte ich mich dagegen ausgesprochen (und mich unbeliebt gemacht). In den letzten sieben Jahren hat „Vulcano“ fünf oder sechs Artikel mit fast dem gleichen Inhalt gebracht. Wie brav die Oberpolizisten geworden wären und ihre menschliche Liberalität gefeaturet. (Drei von den Artikeln waren meine.) Das reicht. Machen wir es mal anders! Soll er sich mit Lesben in der Bundeswehr unterhalten! Die Stricher fragen, wie menschlich liberal die Polizei ihnen vorkommt! Was Andreas bringt, wurde schon gemacht. Sein Pech, dass er nicht dabei war. Jetzt muss er besser werden als die Vorgänger, das ist schwer.

>> Gesetzesverstöße mit Absicht
> ... meine Spiele trieb, nur um zu sehen, was passiert.
Ha! Du verstehst mich miss! Der Unterschied ist, dass du niemandem was mitteilen wolltest (wenigstens behauptest du es), während ich, zu sehr, was mitteilen wollte. Ich wollte, dass die Leser anfangen, bestimmte Dinge zu denken, die ich in meine Texte nicht unübersehbar hinein geschrieben hatte. Ich redete mir ein, dabei würde es sich um Lebenserkenntnisse handeln, die den Erfahrungen zahlreicher Menschen entsprechen.

Mein Splitter über den Kraichgauer „Tagesgang“, den du dringend kürzen wolltest, den Ingo Autsch exhibitionistisch und eitel fand, den beim Wandern ein Neumitglied aber als Beispiel für die gute Nevers-Manier anbrachte, den ich selbst jetzt nicht mehr so gelungen finde, sollte Ideen bewirken: dass das eigentlich Schwule zum Teil eines sogenannten normalen Lebens nie werden kann. Er sollte an die Flüchtigkeit von Existenz wie Ruhm erinnern. Er sollte die Reduktion von Menschen anprangern. Auf Sexobjekte, sobald sie die schwulen Szene, auf Fälle, sobald sie die Korridore staatlicher Stellen betreten. Zu viel Zeugs auf knappem Platz. Unscharf - und leider, obwohl ich das vermeiden wollte, unnütze Information drumrum. Johannes habe ich einst geschrieben, „Tagesgang“ habe gezeigt, wie ich vorgehe, scheinbar naiv schweifendes Palaver, zum Schluss hat aber alles seinen Platz gefunden. Nichts Überflüssiges, alles weiß, wofür es dort sein musste. Fürchte, Johannes hat wegen meiner Anmaßung gegrinst.

Es ist nicht momentaner Unlust entsprungen, dass ich von jener fruchtlosen Nacht im „Constriction“ zig Seiten erzählte. Oder über meine Reise nach Prag. Immer wieder mein nicht zufriedenstellendes Äußeres erwähnte, was Lautschläfer mir dann zum Vorwurf hindrehte. Zwar kapiere er nicht, warum ich mit meinem Körper so unglücklich wäre, aber es wäre egozentrisch, ganze Absätze damit zu blockieren. Pah! Leute, die nur immer verstehen, was sichtbar drinne steht, nicht, weshalb man was hingetan hat! Wenn ich „Vulcano“ instrumentalisieren müsste, meine zu geringen Marktchancen zu beklagen, warum nütze ich das Blatt dann nicht für meine private Hasenjagd aus? Von mir selber habe ich nie was erzählt, wenn ich nicht dachte, Tausende schlagen sich mit den Problem rum. Sonst hätte ich doch von Eremitagen, Jean Paul oder den Truffautfilmen schreiben können.

Was versucht uns denn jetzt ein Herr Schaumschläger mit seiner Dreier-Mär mitzuteilen? Dass die Schwulen oft herumvögeln und dennoch auch mehr lieben können wie die andern? Dass Schaumkuss ein Hecht wäre, auf den die Coming-outler abfahren müssten? Dass noch mehr zu ihm dürfen? Dass er es im Griff hat, Männer zu nehmen, ohne mit seinem Partner Trouble zu kriegen. Dass er sie wieder losbringt und hinterher sind sie ihm sogar noch dankbar? Wenn Vulcano-Leser die sind, die so was lesen wollen, sind sie doch sehr anders, als ich sie mir dachte.

Geht das? Bücher besprechen, von denen man nicht mal ein Drittel gelesen hat? (Autsch!) Artikel kürzen, von denen man die Hälfte selbst nicht versteht? Ich behaupte frech, in dem einzigen Fall, als ich einen fremden Artikel komplett umgeschrieben habe, die Sache vom „Tulipan“-Menschen, die du mir schicktest, habe ich über die Hälfte kapiert gehabt, bevor ich drüber herfiel.

Warum hätte ich Köpfchen-Kompetenz-Vertrauen aber bei mir mehr oder minder unbekannten Menschen wie Teilacker, Scholz oder Jachberg aufbringen sollen? Wo ich es, nach all den Jahren, bei Ingo, Johannes und Hermann nicht besaß.
Viele Grüße
Rolf