Corona, Macht, Verschwörungstheorien

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Alle, die allzu leichtfertig an Verschwörungstheorien glauben, die unsere Medien unermüdlich als Lügenpresse diffamieren und die hartnäckig von Eliten schwafeln, welche sämtliche Fäden ziehen, sie leben in schweren Zeiten - und Sie sollten dringend ihre paranoide Weltsicht einfach mal genau jetzt überprüfen. Covid-19 bietet die Chance, die meist mit einem rechten politischen Weltbild einhergehende Geistesverwirrung (naja, man findet sie auch im linken Spektrum) ad absurdum zu führen. Die einfachen Gedanken gehen so :

Die Basis aller Verschwörungstheorien ist die bizarre Vorstellung, korrupte Eliten in Wirtschaft, Politik und Medien seien in der Lage, mittels uneingeschränkter Macht die Welt im egoistischen und gierigen Eigeninteresse zu steuern. In einer hyperkomplexen Welt ist dies eine einfältige Vorstellung. Wer ein wenig nur über Komplexitätstheorie, Selbstorganisation, nicht lineare dynamische Systeme weiß, der wird sofort zustimmen. Wirklich große Hebel zum 'durchregieren' gibt es nicht. Unsere Welt ist ihrem Wesen nach in erster Linie schwer beherrschbar. Zu stark und vielfältig sind die unterschiedlichen Kräfte, die im steten Wettstreit miteinander stehen. Unsere Realität ist nicht so einfach zu erfassen, lässt sich nicht beschreiben mittels einfacher Kausalbeziehungen und linearer Gleichungen.

Wir haben es stets mit störanfälligen dynamischen Systemen zu tun, die immer nur für kurze Zeit eher zufällig in Balance sind, um sich schon bald danach wieder in unkalkulierbarer Dynamik in neuen erneut nur flüchtigen Übergangsphasen aufeinander abzustimmen. Alles ist immer in Bewegung. Vieles geschieht nach dem Prinzip der 'Selbstorganisation' , das weder Plan noch Planer benötigt.

Sogar die Wirtschaftswissenschaften sind endlich bereit, ihre lange behauptete Kompetenz als Wissenschaft zumindest zu hinterfragen, weil ihre Modelle die Wirklichkeit nur schlecht abzubilden vermögen. Dynamische Systeme sind höchst störanfällig und selbst kleinste Irritationen können größte Effekte hervorrufen. Viel kleiner als das Virus Covid-19 kann kaum etwas sein, aber sein Zerstörungspotenzial erweist sich jetzt schon als gigantisch.
Kleine Veränderungen in den Ausgangsbedingungen können zu völlig unterschiedlichen Endbedingungen führen. Ein echtes Problem für alle Prognosen aber auch für alle ultimativen 'Fädenzieher'. Die Vorstellung, 'böse Eliten' könnten die Welt gezielt steuern zeugt von einfachem Denken.
Es sei denn , China beweißt in den nächsten Jahren mit allen Mitteln neuer digitaler Technologien doch noch das Gegenteil. Derzeit ist dazu eine Prognose schwierig.

Die von den Verschwörungschaoten der Politik, der Wirtschaft, den Eliten und Medien zugeschriebene Macht erweist sich durch Covid-19 als sehr überschaubar und relativ.. Die angeblichen Weltbeherrscher sind machtlos gegen einen kleinen Virus. Man könnte fast lachen darüber.
Das heißt nicht, dass es in den letzten Jahrzehnten nicht zu gefährlichen Entwicklungen gekommen ist, die durch die Machtkonzentration überaus einflussreicher globaler Konzerne entsteht. Das Spiel begann etwa nach Ende der sogenannten ersten Ölkrise Anfang der 70iger und hat in den letzten Jahren nahezu unbemerkt Fahrt aufgenommen. Das muss Anlass sein für äußerste Besorgnis, stellen doch die modernen Technologien autoritären Systemen völlig neue Möglichkeiten zur Überwachung und Repression zur Verfügung. Es ist ein bedrohliches Arsenal.

Der Kampf gegen die Konzentration von Macht und Einfluss in Gestalt von Superkonzernen und totalitären Regimen muss deshalb eine der großen Zukunfts-Aufgaben unserer demokratischen Gesellschaften sein. Zu mächtig sind schon heute Facebook,Google,Amazon, Microsoft etc, usw. - das darf so nicht bleiben. Die Freiheit von uns allen steht tatsächlich auf dem Spiel.
Unser aller Geschick bestimmen diese Kraken allerdings (noch) nicht.

Covid-19 hat das Potenzial, die Welt auf einen besseren Weg zu bringen, erkennen wir doch in der Krise derzeit, was wir bisher in Wirtschaft und Gesellschaft falsch gemacht haben. Viele bisher verborgene Risiken werden sichtbar. Das könnte zu einem grundsätzlichen Bewusstseinswandel führen.

Alte Werte könnten wie Phönix aus der Asche aufsteigen : Solidarität, Fürsorge und Empathie für Arme und Schwache, Anstand, Respekt. Und parallel dazu könnten sich Egoismus, Gier, Konkurrenzdenken von Kindesbeinen an, ausschließlich materielle Lebensorientierung ohne Rücksicht auf Natur, Umwelt und Mitmenschen endlich als falsch und dumm erweisen.
Eine Utopie, aber es ist jetzt vieles möglich.

Ein wenig von Imagine(J. Lennon) wird immer in mir sein.

Utopien sind legitim, auch wenn die Dystopien es fast immer besser treffen.

Interne Verweise

Kommentare

25. Mär 2020

Sachlich gut durchdacht und geschrieben, danke für Deinen Essay!

Grüße, Monika

25. Mär 2020

Ulli, du sprachst mir aus dem Herzen.
LG Uwe

25. Mär 2020

Schlimm, dass es erst ein Virus braucht,
Damit etwas Erkenntnis raucht ...

LG Axel

25. Mär 2020

Wahr gesprochen. Je mehr von "Imagine" in uns ist, desto mehr haben wir der Hetze, dem Hass und auch der Seuche entgegenzusetzen, lieber Ulli, sei herzlich gegrüßt -

Marie

26. Mär 2020

Danke für euer Interesse ihr Lieben und kommt gut durch diese besondere Zeit.
ulli