Winterzimmer

Bild von Monika Jarju
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Immerzu schaue ich auf die Fotos an der Wand, Porträts an
Krebs Verstorbener. Als meine Mutter mich besucht, schlage
ich vor, in die Cafeteria zu gehen. Sie schüttelt den Kopf, setzt
Kaffeewasser auf und sagt: „Du kommst diesen Winter hier
sowieso nicht mehr heraus.“ –

*

Dem Jungen, der keine Mandeln mehr hat, leuchtet die Ärztin
mit der Taschenlampe in den Hals. Er reißt ihr die Lampe aus
der Hand und leuchtet tief in sich hinein, bis hinunter in den
Magen. Erschrocken ruft die Ärztin: „Er hat ja gar nichts mehr,
er ist vollkommen hohl!“–

*

Veröffentlicht / Quelle: 
Kiwi Kerne. Mikrotexte

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Kommentare

25. Mai 2018

Ehrlich, Monika. Du verblüffst mich immer wieder aufs Neue. Die pessimistische Sprödigkeit Deiner Mutter macht einerseits sprachlos, andererseits macht sie mich aber auch lachen. Ich hoffe sehr, sie ist freundlicher zu Dir, als Du sie darstellst.

Liebe Grüße,
Annelie

25. Mai 2018

Verwechsle nicht die Autorin mit dem literarischen Ich, liebe Annelie, es geht weder um meine Mutter noch um mich. In kurzen Texten - Miniaturen, Idylle, Dramolette - verarbeite ich Träume, die fast einen Roman erzählen. In der Nachkriegszeit bis in die 60er Jahre hinein wirkte Gewalt in der Sprache nach, die gekennzeichnet war von Verdrängung und Mangel an Empathie. Ja, beide Geschichten sind verstörend.
Sei gegrüßt, Monika

27. Mai 2018

Zum Glück liegt aber auch immer eine Prise Ironie in Deinen meisten Splittern. Und ich weiß nur zu gut, dass es auch Mütter gibt, die es echt "drauf" haben.

LG Annelie

25. Mai 2018

Zum Nachdenken...
das esrte Stück ist gruselig, das zweite auch.

Liebe Grüße,
Susanna

25. Mai 2018

So empfinde ich das auch, liebe Susanna, danke für Deinen Kommentar!
Lieben Gruß, Monika