Gefährlicher Sommer (Teil 28, Text 1)

Bild von Annelie Kelch
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Im düsteren Mond
der nächtlichen Räuber
singen die Sporen …

Schwarzes Pferdchen. Wohin
trägst deinen Reiter du tot?

Die Sporen, die harten,
des starren Banditen,
der die Zügel verlor.

Kaltes Pferdchen, es riecht
nach der Blüte des Dolches!

Es spornt sich die Nacht
die dunklen Weichen
mit silbernen Sternen
[...]
[(Reiterlied, Federico García Lorca); 1860]

In Luzifers Fängen

Der Sonnendunst paarte sich mit dem Güllemief, legte sich über mein Haar, drang in sämtliche Hautporen und und blieb in den Fasern meiner Kleidung haften. Ich sah frohlockend einem Vollbad in der uralten Zinkwanne auf verschnörkelten Füßen entgegen, das Paradestück des Lachauer Badezimmers, das gleich neben neben der Küche lag.
Leni hatte mir versprochen, den mannshohen alten Kachelofen, der das Wasser zum Blubbern bringt, flottzumachen.

Kaum dass wir die Stallgasse gereinigt und die Futterkrippen mit frischem Heu aufgefüllt hatten, lehnte Kröger seine Mistforke an die Stallwand und deutete in das Gebälk des Kuhstalls.

„Siehst du die alten Schwalbennester da oben auf den Balken, Katja? Die kleben dort fester als Kaugummireste in den Riffelungen mancher Schuhsohlen. Leider hab ich auch diesmal nicht rechtzeitig dran gedacht, die Dinger zu entfernen. Jetzt ist es natürlich zu spät, denn nun fehlt mir entschieden die Lust, den Dreck aus der frischen Streu rauszuklauben. Aber das nächste Mal ...“
Nicht mit mir, Herr Gutsverwalter, dachte ich. Ich werde dann ganz gewiss nicht zugegen sein.

Kröger ahnte nichts von meinen Gedanken; er säuberte die Jaucherinne ein letztes Mal mit einem Desinfektionsmittel und sprach endlich die von mir herbeigewünschte Zauberformel, jene Worte, nach denen ich mich seit einer Dreiviertelstunde sehnte, wie sich Kleopatra nach Caesar gesehnt hatte: „Lassen wir es für heute gut sein, Katja. Vielen Dank, dass du mir geholfen hast. Und richte meinem Hannes bitte aus, er möchte den Wasserschlauch im Park aufrollen und ihn in die Waschküche bringen. Die Trockenheit und das heiße Sonnenlicht machen das Gewebe kaputt. Ja, und Leni soll endlich ihre Kräuter ernten. Bei dieser Hitze entwickeln sie ein besonders kräftiges Aroma. Wenn ich in aller Herrgottsfrühe den Hof betrete, steigt mir zuallererst der Duft von Thymian und Bohnenkraut in die Nase.“

Na und? Ist doch schön, tausendmal besser als die Jauche an unseren Stiefeln, dachte ich und stolperte mehr über die Stallschwelle, als dass ich lief. Dann, außer Sichtweite, raste ich hinter den Stall und legte meinen Mageninhalt den üppigen weißen Blüten der Weißdornhecke, die schon längst hätte mal wieder gestutzt werden müssen, großzügig zu Füßen, beziehungsweise zu den Wurzeln.
Ihr durchdringender, fischiger Gestank (von wegen Bittermandelduft, wie Oma diesen Pestmief nennt) war mir sofort in die Nase gestiegen und hatte mir den Rest gegeben. Wäre ich auf hoher See gewesen, zum Beispiel an Bord eines schmucken Bananendampfers mit Kurs auf Hawaii, hätten sich wenigstens die Möwen darüber gefreut.

Der Sonntag schwebte bilderbuchmäßig und dorfstill herauf. Er schien nahezu makellos. Der Himmel war beflaggt mit Lämmerwölkchen, flockig, fusselig und blütenweiß wie die Segel eines Schulschiffs auf Jungfernfahrt: ein Ruhetag ohne die leiseste Brise war aufgezogen. Nicht ein einziges Unwetterwölkchen trübte den glasklaren Morgen. Es hätte ein x-beliebiger Morgen sein können, irgendein herrlicher Morgen, den Mutter, Vater und Kinder zu einem Ausflug ans blaue Meer nutzten.

Mich hatte ein kecker Sonnenstrahl geweckt, der die Staubflocken unter dem kleinen Nachttisch hervortanzen ließ. Der schwüle Dunst der warmen Julinacht war längst verflogen. Es sah ganz nach einem herrlichen Sommertag aus, und ich streckte behaglich meine Glieder aus. Nichts ging über ein weiches Bett im Paradies. Dann fiel mir plötzlich ein, dass der gefürchtete Tag der Geldübergabe angebrochen war. Ich fühlte mich mit einem Mal hellwach, als hätte mir jemand Eiswasser in den Nacken geschüttet. Zwar hatte ich diesen Tag herbeigesehnt – und gleichermaßen gehasst, mehr noch als das Lungenhaschee, das Oma mindestens an einem der Samstage kocht, während ich auf Lachau weile – obgleich sie genau weiß, dass mir davon speiübel davon wird, liebe Christine.

Jemand, der derart von der Rolle ist, dass er einen Mord begeht, wird gewiss nicht davor zurückschrecken, ein zweites Mal zu töten, schoss es mir mit einem Mal durch den Kopf. Ich flüchtete Hals über Kopf aus dem Bett, damit die trüben Gedanken sich aus dem Staub machten.
Gewaschen, gestriegelt und gebügelt (um Oma nicht noch größere Schande zu machen) öffnete ich in wilder Entschlossenheit meine Zimmertür. Aus dem Dämmerlicht des Flurs drang kein Laut und auch nicht die kleinste Bewegung, nicht einmal ein Lufthauch. Es duftete nach frischem Erdbeersaft, und mich überfiel blitzartig eine unerklärliche Wehmut.
Als ich bis zur Mitte der Treppe herabgestiegen war, blieb ich, wie einer jähen Eingebung folgend, stehen und horchte in das Halbdunkel des Erdgeschosses.
Mein Herz pochte wie wild, einem aufgemotzten Uhrwerk gleich, und das laute, nervös anmutende Geticke der Standuhr im Herrenzimmer war denn auch das einzige Geräusch, das man vernehmen konnte.
Wo hielt sich Helge auf …? War er noch immer nicht nach Lachau zurückgekehrt? Weilte er überhaupt noch unter den Lebenden?

„Hannes, wenn ich um Mitternacht noch nicht wieder zurück bin, musst du deinen Vater alarmieren“, sagte ich später in der Laube zu meinem Verbündeten.
„Das ganze Dorf werde ich alarmieren, Katja – und schon viel früher“, sagte Hannes und streichelte mitleidig meinen Arm.

„Und Opa, Oma und Mutti dürfen auf gar keinen Fall etwas mitbekommen, vor allem Opa nicht. Er regt sich sonst zu sehr auf. Das wäre sein Tod. Versprich es mir, Hannes?“

„Auf mich kannst du dich hundertprozentig verlassen, Katja“, war seine Antwort, die mich einigermaßen beruhigte.

Ich begab mich zu Fuß in den Wald, war sehr zeitig aufgebrochen, für den Fall, dass ich mich verlaufen sollte.
Eine unheimliche Stille begleitete mich. Mein erster Gedanke war umzukehren und die Sache im Sande verlaufen zu lassen.

Ich hörte und sah nichts um mich herum – hörte weder den jubelnden Gesang der Vögel noch das Rascheln der Tierchen im Unterholz, noch hatte ich ein Auge für die vielen kleinen Waldblumen, die am Rande der beschatteten Wege wuchsen. Wie blind und taub strebte ich geradewegs auf den Hochsitz zu, ohne mich auch nur einmal verlaufen zu haben. Es wäre ein herrlicher Spaziergang geworden, sofern ich ein anderes Ziel gehabt hätte ...

Endlich kam die Lichtung in Sicht. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr, um festzustellen, dass ich

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Kommentare

26. Jan 2018

Sehr spannend! - Dazu die Collage
Bringt den Leser nicht in Rage!

LG Axel

26. Jan 2018

Dank, lieber Axel, dir, für diesen Kommentar:
In Rage soll der Leser auch nicht kommen;
mir reicht, wenn er den Text gern wahrgenommen.

LG Annelie

27. Jan 2018

Und wieder bin ich ganz perplex-
Collage ergänzt den Text perfekt ...

Liebe Grüße - Marie

27. Jan 2018

Dank, Dir, für diesen schönen Kommentar, Marie, du Liebe, Gute,
wenn ich d e n lese, zieh ich keine Schnute.

Liebe Grüße,
Annelie

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