"Freiheit"

Bild von Kush
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Die Sonne schien mir ins Gesicht und ließ die dichten Rauchschwaden meiner selbstgedrehten Pueblo-Zigarette zu einem Kunstwerk werden.
Ich war gerade auf dem Weg zur Schule und legte noch mal einen kurzen Zwischenstopp auf meiner Lieblingsbank, welche sich in dem Park befand,
welchen ich jeden Morgen durchqueren musste ein. Ich kann nicht genau sagen, was sie zu meiner Lieblingsbank machte, aber irgendwie
zog es mich immer wieder zu ihr hin. Es war eine sehr alte Bank und die Farbe bröckelte an den meisten Stellen bereits mal mehr mal weniger
schlimm ab. Außerdem hatten irgendwelche Teenie-Rebellen überall Kampfparolen in Stil von "Fuck the System" hinaufgeschmiert. Eigentlich war
ich selber einer dieser Rebellen, aber wenigstens stand ich im Gegensatz zu vielen anderen wenigstens ein bisschen hinter dem, was ich
versuchte darzustellen. Vielleicht hatte ich eine besondere Bindung zu dieser Bank, weil ich meinen ersten Kuss genau hier hatte, aber
wenn ich ehrlich bin, war es kein besonders prägender Moment für mich. Ich meine, versteht mich nicht falsch, es war wunderschön und es
würde mir nicht mal im Traum einfallen, auch nur einen Kuss, welchen mir ein Mädchen schenkte zu vergessen. Sie war auch nicht hässlich oder so,
eigentlich war sie sogar traumhaft, mit ihren glänzenden grünen Augen und ihrem Lächeln mit dem sie alles bekommen konnte, was sie wollte und auch
ihre Brüste waren damals schon nicht von schlechten Eltern. Worauf ich hinaus möchte: es war kein Moment an den man sein ganzes Leben lang denkt, der alles verändert
und man immer wieder anderen davon erzählt. Meiner Meinung nach macht die Breite Masse an Leuten viel zu viel Trubel um den ersten Kuss. Warum wird dem
ersten so viel Wert zu gesprochen und alles andere danach wird egal? Für mich ist jeder Kuss etwas besonderes, denn jede Frau ist irgendwo etwas besonderes.
Aber ich schweife zu sehr ab, das haben Frauen so an sich, immer lenken sie einen ab, ob durch ihren Anblick oder durch den bloßen Gedanken an eins
dieser wundervollen Geschöpfe. Auch habe ich auf dieser Bank zum ersten Mal gekifft, aber das ist es auch nicht. Vermutlich ist es meine Lieblingsbank, weil
sie mir eine Auszeit bot, jeden Morgen, wenn ich auf dem Weg zu Schule war, eine Kippe rauchte und noch mal ein bisschen nachdenken konnte.

Ich drückte die Zigarette aus und warf sie auf den Boden, dann nahm ich den ekligen, kapitalistischen 0,50 € Eiskaffee, welchen ich mir geholt hatte um wenigstens
ein wenig wach zu werden und trabte langsam und mehr als nur demotiviert in Richtung Schule. Um halb Sieben ist fast nichts los auf den Straßen. Oft ist es so, dass
mehr Leute draußen unterwegs sind, wenn ich vom Feiern komme, als wenn ich zur Schule laufe. Diese Stille störte mich allerdings nicht mal im Ansatz, ich hatte sowieso
kein Bock auf andere Leute und in der staatlichen Institution zur Entindividualisierung junger Menschen musste ich mich schon mit mehr als genug doppelmoralischen,
affektierten Heuchlern auseinander setzten. Aber so läuft das nun mal oder nicht? Jeder muss die Schule besuchen, denn ohne Abschluss bekommt man ja keine gute Arbeit
und kann keine Karriere machen. Das unser Schulsystem kompletter Schwachsinn ist, ist mittlerweile eigentlich allen Leuten klar und es ist nicht meine Absicht
dieses Thema hier wieder aufzurollen, denn obwohl es anscheinend jeder weiß ändert sich ja doch nichts.

Ich stand vor dem riesigen Gebäude und war schon kurz davor mich hinein zu begeben, als ich mich dazu entschloss es doch nicht zu tun. Die Welt draußen war viel zu schön
um meinen Tag in dieser Einrichtung, welche mich jeden Tag aufs neue deprimierte zu verbringen. Ich dachte mir, dass ich mich schon irgendwie rausreden könnte, wenn
ich wieder käme und wenn nicht, was sollte schon passieren, die Konsequenzen waren mir wirklich egal. Nun war die Entscheidung zu schwänzen oder vielleicht auch
ganz aus dem System auszubrechen also getroffen, doch was sollte nun mit der neu gewonnen Zeit angestellt werden? Zunächst beschloss ich mir ein paar Bier zu holen, denn
wenn ich nur erstmal betrunken wäre, würden mir schon reichlich verrückte Dinge einfallen an denen ich Freude haben konnte. Ich ging also in die Kaufhalle stellte sechs
Flachen des billigsten Biers auf das Kassenband und wartete darauf, dass ich bezahlen konnte. Lächerlich wie wenig aufsehen es erregt, wenn sich ein sechszehnjähriger
früh um kurz nach 7, billiges Bier kauft und was für eine Massenpanik ausbricht, wenn ein Erwachsener Mann etwas Gras raucht. So ist unsere Welt nun mal
keiner handelt logisch und unsere Werte unterwerfen sich schon gar nicht irgendwelchen Fakten. Jeder nimmt die Welt anders war und man kann so oft man will die besten
Fakten aufzählen warum eine Sache vielleicht nochmal überdacht werden sollte, die Menschen bleiben doch stur.

Ich setzte mein Feuerzeug an und war tatsächlich etwas stolz als das Echo des lauten Knalls welchen ich beim Hochschießen meines Kronkorkens erschaffen hatte,
in der ganzen Gegend zu hören war. Schluck für Schluck vernichtete ich mein erstes Bier und konnte förmlich spüren wie meine Abenteuerlust nach und nach geweckt wurde.
Es wäre wohl das klügste gewesen mich gleich anschließend auf den Weg zu machen um etwas zu erleben, aber ich entschloss mich doch dazu zunächst noch ein, zwei Kippen zu
rauchen und noch eine zweite Flasche zu vernichten. Gesagt getan. Nun aber los. Ich war gut angeheitert, schließlich hatte ich bisher nur zwei Bier und einen Eiskaffe
in mich hineingestopft. Ich entschied mich also dafür mir etwas zu Essen zu besorgen und als ich so im Park saß mein drittes Bier trank und meinen Döner genießen wollte,
machte ich mir Gedanken darüber wie die anderen wohl gerade ihre Zeit verschwenden indem sie sinnloses Wissen in sich hineinstopfen.

Ich merkte nun schon ordentlich etwas vom Alkohol und dachte es wäre vielleicht lustig, eine Runde zu Rennen. Meinen Rucksack stellte ich im Gebüsch ab und rannte.
ich rannte und rannte und das eigentlich ohne Ziel. Doch irgendwie ödete mich auch das an und ich beschloss zurück zu meinen Rucksack zu laufen. Dort trank ich wegen all
der Anstrengung mein viertes Bier, es war bestimmt schon nachmittag, ich hatte irgendwie das Zeitgefühl verloren. Langsam verschwomm die Welt um mich herum. Keine Ahnung
warum aber irgendwann kam ich an irgendeinem Denkmal, welches in meiner Stadt stand und an dem sich oft Jugendliche trafen an und trank dort noch ein Bier. An das Denkmal
war groß "Verlass das System, sei kein Schwarmdenker" gesprüht, das gefiel mir. Irgendwann legte ich mich dort hin, kotzte neben mich und kurz bevor ich einschlief
schrie ich noch einmal so laut ich konnte "Freiheit".

Interne Verweise

Kommentare

28. Okt 2019

Sehr gerne gelesen !
HG Olaf