COSI FAN TUTTE

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Hat bei Ihnen in der Nähe auch schon solch ein Hipster-Restaurant eröffnet? Wer etwas auf sich hält, geht dort speisen. Überall schießen sie aus dem Boden - die Cosi fan tutte-Restaurants. Junge Erwachsene der gehobenen Mittelschicht sind begeistert. Für die sind CFT-Restaurants wahre Kultstätten. Das Essen ist relativ zweitrangig, man geht nicht zum Essen ins CFT, übersetzt etwa: So treiben es alle.

Der krasse Gegensatz macht´s: Das Ambiente eines Neapel im 18. Jahrhundert bieten sie dort an. Und dann der Kulturschock: Extrem gelangweiltes, miserabel gelauntes, offensichtlich heftig genervtes Personal. Die Ober schlurfen unwillig und deutlich ungehalten durch die vornehme Kulisse, nuscheln Unverständliches, halten sich gern fern von Gast und Speisen. Sie stehen rauchend, schwatzend, trinkend, diskutierend und mit Fingern auf die Gäste deutend am Schankeck und feixen sich eins ob all der fruchtlosen Bemühungen der bedauernswerten Hungernden, und, schlimmer noch, Dürstenden, sie machen sich einen Spaß daraus, all diese Bitten nach Nahrung und Labsal geflissentlich zu überhören, respektive zu übertönen.

Denn in jedem CFT steht nahe des Ausschanks eine Musicbox. Gewaltig groß und sehr laut. Abwechselnd füttern die gelangweilten, keineswegs überforderten Ober diese Musicboxen mit Münzen. Es ertönen die krassesten Remixe der schlechtesten Songs der Nachkriegsgeschichte. „We built this city“ von der Gruppe „Starship“ ist ebenso zu hören wie zum Beispiel „Fireflies“ von Owl City. Brüllend laut, in wirklich schlimmster Manier gemixt, komplett verwurstet und über alle Maßen verhunzt, so tönen die „Ohrwürmer“ aus den riesigen Musicboxen. Man hört „Hot Problems“ von „Double Take“ oder „Surrounded by silence“ von „Design the skyline“ und Rebecca Blacks „Friday“. Sehr oft „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ von Heino.

Das Erfolgsprinzip dieser Kult-Restaurants besteht darin, den Gast als solchen auf gar keinen Fall „willkommen zu heißen“. Man akzeptiert den Gast, unwillig. Ja, man weiß, dass er da ist. Doch was will er? Speisen? Getränke einsaugen? Was auch immer der Gast mag, vorhat, beabsichtigt, ihm steht der kalte, gefühllose Mob von Obern und Kellnern entgegen. Man betrachtet sich gegenseitig, will aber auf keinen Fall zueinander finden. Und man betrachtet sich in unterschiedlicher Manier. Ober: Feindselig. Gast: Hoffend, bangend, hungrig, durstig, verunsichert, bittend.

Gast, verzweifelt um Aufmerksamkeitsheischung bemüht: „Halloooooo, Ooooober...“

Ober, absolut gelangweilt, gähnend, hämisch winkend: „Halloooooo, Dääääämlack!“

So gut wie jede Stunde hört der Gast wenigstens 3 x den schrecklichen Lärm eines Songs (?) wie Surrounded by silence. Im Original schon nicht zu ertragen, aber der Mix geht dazu noch runter wie Schmirgelpapier. Es schmerzt im Gehörgang. Wenn ein Gast mehr als 44 Minuten gewartet hat, das wird bei Eintritt sehr genau registriert, schlurft einer der gelangweilten Pinguine hin und nuschelt: „Was´n?“ Schon das wird von den Gästen umjubelt. Es ist die Standard-Begrüßung. Ein Rookie ist geschockt, aber der Insider brüllt vor Lachen. Genau das hatte er erwartet, dafür war er ja auch hergekommen. Und genau das hat er auch bekommen: „Was´n?“

Ist die Bestellung aufgegeben, es gibt überhaupt nur 3 Gerichte, die bestellt werden können, alles andere auf der Karte ist stets „aus“, geht das muntere Rollenspielchen erst richtig los. Insgesamt bietet die Karte 184 Gerichte, doch nur 3 können realiter geordert werden: Toast Hawaii, Birne Helene und Würstchen im Schlafrock. Sollte einer den Mut haben, die Birne Helene... Aber das kommt wirklich so gut wie nie vor. Höchstens einem Novizen, hier Rookie genannt, könnte diese Dummheit passieren.

Erhalten würde er 3 leicht zermatschte und höchst unansehnliche Bananen (!) mit deutlichen braunen Flecken, die Schalen sind freundlich gerollt auf dem Tellerrand drapiert worden, darüber eine matschige und ekelhaft dunkelgelbe Vanille-Soße, 2 Klumpen Schokoladen-Eis und 1 kandiertes Stiefmütterchen. Das ist die Birne Helene im CFT. Fragen Sie bitte nicht nach den Würstchen im Schlafrock. Der Kenner ordert daher nur Toast Hawaii. Hier gibt man sich alle erdenkliche Mühe, wenigstens den Hauch eines Anscheins zu erwecken, der Gast habe auf dem Teller eine Scheibe Toastbrot (ist nicht überbacken übrigens!), Schinken, Käse und eine Scheibe Ananas. Vergessen Sie Cocktailkirsche, einige Preiselbeeren und süßes Paprikapulver zum guten Schluss. Sie erhalten nur den Schinken, eine Scheiblette Käse und eine Scheibe Ananas auf Toast. Sonst nichts. Ganz unten liegt der Käse, schließlich die Ananas, dann folgt der Schinken. Der Toast bleibt so, wie er aus der Packung kommt. Da darf keine Hitze ran. Sonst ist es eben kein CFT-Toast Hawaii. Das muss so. Und der Kenner ist entzückt, wenn dieses Arrangement seinen Tisch besucht. Er ist schlicht entzückt. Der Erstbesucher entsetzt, baff entsetzt.

Anscheinend mögen es die Menschen, schlecht behandelt zu werden. Eine äußerst umfangreiche Weinkarte bietet gute 80 Weinsorten an. Wirklich bestellen können Sie jedoch nur Apfelschorle, einen billigen Rosé und Weizenbier. Alles andere ist, sicher erraten Sie es bereits, „aus“.

Die Ober sprechen kaum. Und wenn, dann wird genuschelt auf Teufel komm raus. So entspinnt sich gar manch merkwürdiger Dialog.

„Die Nierchen?“

„Sind aus!“

„Wie sieht es denn mit dem Cäsar Salat aus? Und den gesottenen Garlic Butter Shrimps dazu? Das sieht doch sehr ansprechend aus, hier auf Ihrer Karte...“

„Scheck schmal.“

„Wie bitte?“

„Scheck schmal.“

„Ich konnte Sie rein akustisch nicht verstehen, Herr Ober.“

Brüllt: „Ich sagte: Seh ick zum erstenmal, dat da... Das check ich mal, inna Küche...“

„Nun gut, dann nehme ich doch einfach mal Toast Hawaii. Können Sie den liefern?“

„Mumakünafgen.“

„Wie bitte?“

„Mumakünafgen.“

„Ich konnte Sie rein akustisch nicht verstehen, Herr Ober.“

Brüllt: „Sagte: Muss ich mal in der Küche nachfragen, du olle taube Schindmähre.“

Profi-Gast: „Kommen wir zu den Getränken. Ich ordere einen Châteauneuf-du-Pape rot bitte, niemals weiß, vom Südhang, Jahrgang..“ Wird schroff unterbrochen. Denn..

Weiter kommt er nicht. „Dat du´n Schatten hast, war mir gleich klar, als du den fetten Arsch hier in meinen Bereich verpflanzt hast, Bube. Schieb dir deinen Schatten-Nöff, du Puper, in den Hintern, Kerl, hier wird Weizen getrunken. Weizen! Ist das klar? Ick kenn meine Pappenheimer. Wein will der edle Herr saufen. Wein. Ham wa nich, kla?“

Profi-Gast, heiter: „Ist der Rosé schon aus?“ Ein Rookie hätte noch endlos weiter den >Wein seiner Wünsche< bestellt, bis er dann schließlich beim Weizen gelandet wäre, nach vielleicht 20 Minuten der erfrischend kaputten Konversation.

Der Insider weiß um all die köstlichen Dialoge, heizt sie pausenlos an. Ja, man muss sich das wie eine Live-Veranstaltung vorstellen. Man geht dorthin, um sich richtig gut unterhalten zu lassen. Alle Ober sind selbstverständlich mehr Schauspieler als echte Kellner und Angestellte im Gastro-Bereich. Die miserable Laune hat Methode. Jeder wird angeschnauzt und barsch abgekanzelt. Extrawünsche werden mit „gespielter, höchst unwirscher Unfreundlichkeit“ abgetan: „Die Serviette ist Ihnen runtergefallen, ja? Und was hab ich damit zu tun? Heben Sie sie doch auf! Bin ich Ihr Haussklave, Ihr Kindermädchen? Du meine Güte, was die Leute heutzutage für Probleme haben, es ist nicht zu fassen...“ Schlägt entnervt das Tuch über den Unterarm und enteilt, heftig schimpfend, man kann es noch bis zum Schankeck hören. „Tsss, Serviette...“

Wer gerne angeschnauzt und schwerst veralbert werden möchte, der gehe ins CFT. Der Name ist Programm: So treiben es alle, das meint selbstverständlich: So sind sie eben, alle unsere Service-Fachkräfte. Alle!

„Sie wollen was? Ein Glas Wasser? Das wird ja immer schöner mit Ihnen. Eben hab ich Ihnen doch schon Ihr Scheiß Weizen gebracht. Was denn jetzt noch? Was? So langsam werden Sie mir sehr, sehr unsympathisch. Und extrem lästig. Echt jetzt. Sie haben zu trinken. Warum wollen Sie noch Wasser saufen? Sie Arsch mit Ohren. Geh auf die Toilette und sauf aus dem Urinal, du widerlicher Köter. Du siehst mir ganz so aus, als könntest du weniger als 20 Euro Trinkgeld geben. Dann wüsste ich dir aber zu begegnen, du niedlicher Chaot, du selten dämlicher Arschkeks. Lass mich bloß zufrieden. Ich habe zu tun...“

Man lässt viel Geld im CFT. Standard: 100 Euro. Dafür erhält man, in dieser mehr als fragwürdigen Reihenfolge: Toast Hawaii, ein Hefeweizen (groß) und [gegebenenfalls] ein Glas Wasser. An guten Tagen kann anstelle des Weizens auch ein allerdings sehr preisgünstiger Rosé, der verdächtig nach TetraPak riecht, geordert werden. Da wird die Rechnung dann allerdings 120 Euro betragen. Übrigens: Weniger als 20 Euro Trinkgeld zu geben, gilt als verpönt. Man honoriert die hohe Schauspielkunst. Nicht wenige geben 50 Euro „Trinkgeld“.
Gibt es bei Ihnen auch schon ein CFT? Um die Ecke? Ja, die wachsen zur Zeit wie die Pilze aus dem Boden. Das erste auf deutschem Boden stand in Viersen, und zwar in der Brasselstraße 110, 41747 Viersen. Es hatte einen sehr großen Erfolg. Und bald gab es weitere, in ganz Deutschland. Heute schätzt man, dass diese etwas gewöhnungsbedürftigen Event-Restaurants fast die magische 100 erreicht haben. Es wäre anzuraten, falls Sie dort zu speisen wünschen, zuvor daheim schon mal richtig ordentlich zu spachteln. Glauben Sie mir, das ist ein guter Rat.

Noch ein letzter Tipp, bevor Sie ins CFT gehen: Fragen Sie nie nach dem Schlüssel für die Toilette! Nie! Damen: Nase pudern ist nicht. Zuhause auf die Toilette gehen. Herren: Eine Line auf der Toilette sniffen gehen? Machen Sie das besser zuhause. Im CFT geht man nicht auf die Toilette. Die Nasszellen sind dort tabu. Und jetzt also, gehen Sie! Mit all Ihrem Mut. Mit bangem Herzen. Gehen Sie sofort ins Cosi fan tutte! Denn ich habe Aktien dieser GmbH & Co. KGaA erworben. Sehr viele.

Bringen Sie Zeit mit. Viel Zeit. Eine Aufführung kann und sollte bis zu 2 Stunden im CFT dauern. 44 Minuten haben Sie Zeit, das Ambiente kennenzulernen, sich etwas umzuschauen, sich an die Kulisse zu gewöhnen. Für einige unerträglich, für sehr viele anderen eines der Highlights: Die brüllend laute Musik. Denjenigen, die eine Gruppe namens Design the skyline nicht so mögen, wird empfohlen, nachdrücklich, Ohrstöpsel mitzubringen. In den verbleibenden 75 Minuten erleben Sie Schauspiel, Tragödie, Komödie und Drama. Sie essen ein wenig, trinken ein bisschen, und Sie haben danach viel zu erzählen. Auf der Arbeit sind Sie als Erstbesucher eines CFT der King. Alle werden Ihnen an den Lippen kleben, Ihrer blumigen Erzählung gerne lauschen. Wird man Ihnen glauben? Nein. Daher gehen bald alle, nach und nach, ins CFT. Und genau so machen die Betreiber (Franchise!) ihren Umsatz. Ja, genau so!

Hat Ihnen die Aufführung gefallen? Dann spenden Sie bitte kurz vor dem Abschied Applaus. Stehend. Sie werden die Ober erstmalig lächeln sehen. Es sei denn, Sie hätten unter 20 Euro Trinkgeld gegeben.

Und?

Sind Sie angefixt? Na, dann los. Ab ins Cosi fan tutte...

Interne Verweise

Kommentare

21. Jan 2021

Man kriegt heut kaum noch Personal!
(Auch Bertha Krause schafft - nur Qual ...)

LG Axel

21. Jan 2021

"Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigner Geist, indem die Zeiten sich bespiegeln (Faust I, Goethe).
Wahrscheinlich habe ich den Satz nicht ganz korrekt hingekriegt.
Heute heißt es " Du kriegst alles, bis auf Anerkennung und Bewunderung. Es ist die Reaktion der Verlierer aus der Merkelära !
Früher trug man einen Marschallstab im Tornister, wenn auch nur gedacht. Heute darfst du dich für NICHTS recken und
strecken ! Danke für deinen sozilogisch punktgenauen Text !
HG Olaf

24. Jan 2021

Da scheint sich ja einer richtig in der Szene auszukennen, im Gegensatz zu mir. Ich mag z. B. "Fireflies" immer noch sehr gerne (hat man das im Neapel des 18. Jahrhunderts schon gekannt?).
In Venedig (so wurde mir schon vor mehreren Jahrzehnten aus berufenem Munde erzählt) gibt es ein mittelmäßiges Restaurant, in das die Leute von weit her Ausflüge unternehmen, nur wegen des beleidigenden Verhaltens seines rotzfrechen Kellners. CFT gibt's also schon länger.
Gut geschrieben!

02. Feb 2021

Ihr Lieben, Axel, Olaf und noé,

war leider etwas unpässlich und kann erst jetzt antworten.
Vielen Dank für Eure Kommentare. Was Fireflies angeht,
liebe noé, ja, das lässt sich gerade noch so hören. Aber
hast Du schon mal "Surrounded by silence" ausprobiert?

Freundliche Grüße nach links und rechts, bleibt alle
zusammen bitte unbedingt gesund!

Gherkin