Ohne Alkohol

Bild von Anita Zöhrer
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Spät in der Nacht kam er an – ausgehungert und am Ende seiner Kräfte. Erst glaubte ich, er wäre betrunken, so wie er hin und her wankte, aber er war nüchterner als ich. Im Gegensatz zu ihm hatte ich mir sehr wohl Alkohol genehmigt und nicht gerade zu wenig davon.

Ich stützte ihn und nahm ihn mit zu mir nach Hause. Er brauchte ein Dach über den Kopf und Nahrung – Dinge, die er hier nirgendwo anders vorfinden würde. Fremde waren in meiner Heimat unerwünscht, gleichgültig ob Ausländer oder Österreicher.

Dankbar verschlang der Mann mein Essen, obwohl ich alles andere als eine gute Köchin war, und legte sich danach schlafen. Ich hingegen blieb wach und zerbrach mir meinen schmerzenden Kopf darüber, wie ich ihm nur helfen könnte. Er konnte nicht bei mir wohnen, niemals würde er hier von den Leuten akzeptiert werden. Und wegschicken wollte ich ihn erst recht nicht. Ich mochte ihn und wollte ihn keinesfalls seinem Schicksal überlassen. Die einzige Möglichkeit war somit ein Umzug, ein für mich längst überfälliger Umzug. Ständig jammerte ich, wie schlecht es mir in meiner Heimat erging, doch hatte ich es trotzdem bisher nicht zustande gebracht, etwas daran zu ändern. Aber nun, wo der Mann bei mir war und ich Verantwortung für ihn tragen wollte, war es wohl an der Zeit.

Ich ging in die Küche und betrachtete mein Vorrat an Schnaps und Wein. So tief war ich mittlerweile gesunken, bloß weil ich zu mühselig war, mein Leben in die Hand zu nehmen. „Einen Schluck noch und dann ist ein für alle Mal Schluss“, habe ich mir oft gesagt und tat es auch jetzt. Doch gerade als ich aus einer Schnapsflasche trinken wollte, stand plötzlich der Mann bei mir und schüttelte seinen Kopf. Eindringlich war sein Blick, er war ernsthaft besorgt um mich. Doch wie sollte ich es ohne Alkohol schaffen, wie mein Leben noch meistern?

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