Zacharias

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"Herr Proban - auch in solchen Situationen haben wir Spielräume und Möglichkeiten. Ihre Zeit wird sonst auf ein Minimum zusammenschrumpfen." "Nein, ich möchte nicht mehr behandelt werden. Es ist genug." "Bitte, überlegen Sie sich das nochmal." "Es ist genug", wiederholte ich. Der Arzt fing wieder an zu reden und ich stand auf und verließ wortlos den Raum. Als ich das Krankenhaus verlassen hatte und in meinem Wagen saß, brach ich in Tränen aus.
Irgendwann hatte ich mich beruhigt und ich fuhr zum Friedhof, zu Elke. Mir kam der Gedanke, dass sie mit ihrem Schlaganfall Glück gehabt hatte. Ich war wütend, dass ich so etwas dachte, aber trotzdem war ich dankbar, dass sie mich nicht in diesem Zustand sehen musste.
„Bald weiß ich nicht einmal wer du bist", sagte ich leise zu dem Grab. Erst wurde mein Körper von Krebs angegriffen und jetzt mein Gehirn. Eine Alterskrankheit. Ein scheiß Todesurteil. Ich dachte daran wie es bei Elke passiert war. Wir hatten uns wie jedes Jahr in ein Strandhotel in Portugal eingemietet und dort den Urlaub verbracht. Ich erinnerte mich wie wir zum Strand gefahren waren und Elke in ihrem Badeanzug langsam im Wasser herumgegangen war. Geschwommen waren wir da schon lange nicht mehr. Ich hatte auf einer Matte gelegen und geraucht. Und dann hatte sie plötzlich ihr Gesicht verzerrt und war umgekippt. Sofort tot. Und dann war ich zurückgeflogen und hatte die ganze Zeit gebetet, dass das Flugzeug abstürzen würde. Es stürzte nicht ab. Ich hatte weitergelebt.
Auf der Beerdigung hatte ich das letzte Mal Kontakt zu ihrem Sohn gehabt. Zacharias, der von allen außer mir Zack genannt wurde. Ich hatte mich gewundert, dass er überhaupt gekommen war. Er war damals drogenabhängig und hatte sich nur noch in irgendwelchen Löchern herumgetrieben.
Ich sah noch einmal zu Elkes Grab. Was sollte ich jetzt tun? Das war kein Kampf, den ich jetzt noch führen konnte. Ich würde so oder so sterben und der Krebs hatte mich geschwächt.
Ich ging zu einem Kiosk in der Nähe des Friedhofs und kaufte mir Zigaretten. Jetzt war es eh egal. Ich wollte nicht als sabberndes Obst enden. Ein Freund von mir hatte mir damals vor Jahren eine Nummer gegeben, von einem Typen der einem für genug Geld alles besorgt, um die Scheiße zu beenden. Sauber, zuhause, nicht im Krankenhaus.
Vielleicht würde ich das in Betracht ziehen. So oder so musste ich mich um die letzten Angelegenheiten kümmern. Meine Freunde waren entweder tot oder ich hatte sie aus den Augen verloren und ich wollte nicht, dass der Staat das Geld bekam.

Als ich Zuhause war, öffnete ich erst einmal die Fenster. Es war seltsam stickig. Die ganze Luft wirkte wie eine Masse, die sich gegen mich stellte. Ich suchte im Telefonbuch nach Notaren und rief den ersten an, erklärte, dass ich mein Testament machen wollen würde und so weiter.
Ich bekam sogar einen Termin direkt am nächsten Tag - jemand war abgesprungen. Nachdem ich aufgelegt hatte, legte ich mich ins Bett und rauchte. Irgendwann schlief ich ein. Als ich aufwachte, hatte ich etwas Asche verteilt, aber nicht alles war in Flammen aufgegangen. Ich hatte davon gehört, dass Zigaretten jetzt schneller ausgingen, um die Sicherheit zu erhöhen. Leider. Alles hatte sich verändert, alles war jetzt sicher. Ich zog mich aus und stellte mich unter die Dusche, rieb schlaff über die noch schlaffere Haut. Hier merkte ich immer am stärksten, wie alt ich war. Wenn mein Körper nicht in einer Hose und einem Hemd steckte, sondern ich mir nackt gegenübertrat. Ich vermied den Blick in den Spiegel, als ich mich abtrocknete. Schließlich fuhr ich zu meinem Termin. Es war ein kleines Büro am Rande der Stadt. Der Notar und ich kümmerten uns um das Testament. Ich würde 70% meines kümmerlichen Vermögens an die Partei spenden, der ich irgendwann mal beigetreten war, und den Rest sollte Elkes Sohn bekommen. Nach nicht einmal einer Stunde war ich wieder draußen.
Und dann war ich zurück in meiner Wohnung. Ich starrte in den Fernseher. Es lief Sport. Ich überlegte, ob ich wieder ins Krankenhaus gehen sollte. Aber ich würde nur schlechter und länger leben und beides machte für mich keinen Sinn. Der Typ kam mir wieder in den Sinn. Ich ging zu meiner Kommode und fischte den Zettel heraus, sah ihn kurz an, aber legte ihn wieder zurück und setzte mich wieder vor den Fernseher. Irgendwas sträubte ich sich in mir.
Ich schaltete den Fernseher aus. Zacharias. Ich sollte mich von ihm verabschieden. Es kam mir richtig vor. Auch wenn das Band zu ihm mehr als lose war, war es eben das einzige Band, welches ich noch hatte.
Ich durchsuchte den Schreibtisch von Elke. Alles ungeordnet, überall einfach reingeworfen. Wo war die verdammte Adresse? Sie hatte sich nie um Ordnung geschert und das hatte mich immer gestört. Trotzdem hatte ich es nie übers Herz gebracht, den ganzen Kram wegzuwerfen, nachdem sie gestorben war. Kassenzettel vom Biomarkt. Warum behielt ich so etwas? Niemand würde damit eine relevante Erinnerung verbinden. Schließlich fand ich einen Zettel: Zacharias – Spangenberg, Hundstageweg 7. Ich könnte sicher auch irgendwo eine Nummer herausfinden, aber wie ich ihn kannte, würde er Zuhause vor der Bong hängen und mit seinem Magen kämpfen. Wie konnte sowas passieren? Wie konnte jemand so abstürzen?
Vielleicht war es besser, dass ich nie Kinder gehabt hatte. Vielleicht hatte sich auch alles bei Zacharias gebessert. Ich glaubte es nicht, und eigentlich sollte es mich nicht einmal interessieren, aber trotzdem wünschte es sich irgendein Teil in mir, nur um Elke ein wenig Frieden zu geben. Ich sah auf die Uhr. Morgen dann.

Am nächsten Tag fuhr ich gegen 8 Uhr los. Ich wusste, dass er noch schlafen würde, aber ich hatte keine Lust ihm zu begegnen, wenn er nicht mal seinen Namen zusammenstottern konnte. In mir gab es eine Stimme, die darauf bestand, dass ich ihm Unrecht tat. Warum dachte ich so über ihn, wenn ich schon hinfuhr? Das passte nicht zusammen.
Ich rauchte im Wagen. Spätestens bei der nächsten Fahrt würde es mich stören, aber es war mir egal.
Als ich auf die Landstraße abbog, hörte ich eine leise Melodie irgendwo. Das Radio war

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Hörbuchversion von Zacharias

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