Brief an den Fußball

Bild von Willi Grigor
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Lieber Fußball,

du hast mir einst den Spaß gerettet
in meinen jungen Jahren.
Und wer hat denn auf "u n s" gewettet?
Doch Weltmeister "w i r" waren!

Wir hatten D i c h, was braucht' es mehr,
du gabst uns gute Mienen.
Wir liebten dich - wie Wurstverzehr -
auf Straßen, in Ruinen.

Wir hatten Götter, Fußballspieler,
sie haben uns erzogen.
Sie waren bestes Vorbild vieler,
Betrüger sind geflogen.

(Toni Turek war so einer,
er stand in Bern im Tor.
War er nicht mein Gott wie keiner,
so stand er kurz davor.)

Wir spielten und wir sahen dich
auf Plätzen vieler Städte.
Wir waren, ich erinnre mich,
die Glieder e i n e r Kette.

Heut seh ich Dich im Fernsehn nur,
bin mit den Augen noch dabei.
Enthusiasmus? Nicht die Spur!
An meinem Herz spielst Du vorbei.

Dein Spiel an sich mag ich ja noch,
man muss es einfach lieben.
Auf's Drumherum verzicht ich doch,
du hast's zu weit getrieben.

Du hast dich mit der Welt gewandelt,
dein Freund ist jetzt der Hooligan.
Dein Image hat er dir verschandelt.
Ich denke oft: "Was wäre, wenn.."

Du warst einmal ein Freundschaftsspiel
für die Jugend dieser Welt.
Doch heute ist primär dein Ziel:
Das Spiel um's große Geld.

© Willi Grigor, 2016
Aus dem Leben

Geschrieben in den Fernsehpausen
zwischen einigen EM-Spielen 2016 in Frankreich.
Siehe auch https://www.literatpro.de/gedicht/070316/ein-sommermaerchen-oder-was