Ein Seelenperlenband - Page 4

Bild von Willi Grigor
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Engel aus der Welt,
in der wir mit dir lebten.
Du hast sie uns erhellt.

Im Himmel wirst du wohnen,
im Heim der Ewigkeit,
der Herrgott dich belohnen
und deine Freundlichkeit.

Wir werden dich dort finden
und wieder nah dir sein.
Aus uns bekannten Gründen
brennt er nie aus, dein Schein.

***

Dorell, ein Freund und Schwager
Gestorben 2015 in Lebenstedt, Salzgitter

Ein starker Mensch, ein Multikranker,
ein Gradeaus, ein Niemalsschwanker.
Mein lieber Freund, mein guter Schwager,
war Freund des Lebens, nie ein Klager.
Er fiel, war tot, so auf der Stelle,
und öffnete uns eine Quelle
für große Trauer, doch auch Dank:
Er ist im Himmel, und nicht mehr krank.

Dorell und Josef sind Freunde seit ihrer Jugend. Sie wohnten im gleichen Ort.
Ihre Frauen sind meine zwei älteren Schwestern.
Ich pflegte eine ferne, gute Freundschaft mit ihnen.
Wir trafen uns im Schnitt einmal im Jahr, meistens bei uns in Schweden.
Erfreuten uns dabei an stiller Natur, Wandern, Pilze pflücken, an geselligen Gesprächen am Abend nach dem Bad im Freien und dem deutschen Bier, das sie mitbrachten. Unvergessen die Konzertvorstellungen an milden Nächten vor dem See. Wir waren die Interpreten und die einzigen Zuhörer, von den Bibern und anderem Nachtgetier abgesehen. Die Schwager sangen und spielten Mundharmonika. Ich sang, doch mit einer gewissen Verzögerung, singen ohne den Text zu kennen ist schwierig. Das Repertoire war immer das gleiche: Alte deutsche Volkslieder.
Dorell und Josef waren sich immer nah. Josef starb ca. ein Jahr nach seinem Freund.

Josef, Ein Freund und Schwager
Gestorben 2016 in Lebenstedt, Salzgitter

Sie waren Freunde von Jugend an,
heirateten zwei Schwestern.
Sie standen beide stets ihren Mann.
Der eine starb im vorigen Jahr,
der andere folgte ihm gestern.

Ich wurde ein Freund - von Anfang an -
der Männer meiner Schwestern.
Wir haben gepflückt - in Schweden dann -
die Pilze, beglückt. Ja, es ist wahr.
Der Schlussstrich kam endgültig gestern.

Die Zeit bleibt nicht stehn, ich spür ihren Drang.
Bis dann werd ich sehn, allein ab und an,
die Herbstmorgenpracht der Birken am Hang,
das Schauspiel am See, den Monduntergang.

***

Fritz Popp, ein Freund in späten Jahren
Gestorben 2016 in Segringen bei Dinkelsbühl

Fritz war der Mann meiner fiktiven "großen Schwester" Elsa, die fünf Jahre vor ihm starb, siehe oben). Wir kannten uns schon aus der Zeit, als ich "Junghirt" war bei den Eltern von Elsa, und er ihr Verlobter aus einem Nachbardorf. Mit der Zeit wurden wir Freunde und hatten regelmäßig Telefonkontakt und besuchten ihn am Ort meiner schönen Kindheit. Er war der letzte von den Menschen im Bauerndorf Segringen bei Dinkelsbühl, die mir im wahrsten Sinne des Wortes "ans Herz" gewachsen sind.

Jetzt gingst Du also aus der Welt,
auch mein Leben hast Du erhellt.
Durch Dein fabelhaftes Wesen,
bist du vieler Freund gewesen..
Du warst ein Mensch, ein stiller Held.

Ein starker Mann warst Du, ein feiner,
der guten, alten Sorte einer!
Du warst kein Weit-Herumgereister,
in deinem Dorf der Bürgermeister..
Ein Herzblut-Bauer, nicht irgendeiner.

Du warst ein Denker und ein Macher
und immer fair zum Widersacher.
Hast Frau und Sohn zu Grab getragen,
getrauert auch, ohne zu klagen..
Warst Sprecher, doch kein Sprüchemacher.

In Deinem Wald warst du so gerne,
ich sah Dich dort aus weiter Ferne.
Nun nahm der Herr Dir dieses Leben -
er wird ein anderes Dir geben
in seinem Reich weitab der Sterne.

Du warst mein Freund in späten Jahren,
jetzt bist Du fort- und heimgefahren.
Als Blumenkind beim Trauungsfeste
war ich einer der jüngsten Gäste.
Dein Bild will ich im Herz bewahren.

***

Tante Marika, ein Engel
Gestorben 2018 in Düsseldorf

Marika war die jüngste Schwester meiner Mutter, für mich ein Engel wie man sich ihn erträumt. Ich habe ein Foto von 1944, das in Polen gemacht wurde. Meine Tante war 16 Jahre alt, ich gut ein Jahr. Zusammen mit einer Freundin trägt sie mich auf den Armen. Nach der Flucht aus Polen Januar-April 1945 bekam unsere "Großfamilie" in einem Bauerndorf in Bayern ein temporäres Zuhause. Von hier habe ich meine erste Kindheitserinnerung, ich war zwei oder drei Jahre alt: Marika trägt mich durch das Zimmer in dem Zweizimmer-Häuschen "Alte Molkerei". Meine Mutter hatte noch ein einjähriges Mädchen zu versorgen, sowie drei weitere von vier bis neun Jahren. Marika war in diesen Jahren bis 1951 für mich ein Synonym für "Mutter". Dann zog meine Familie nach Düsseldorf. Marika heiratete im Dorf und kam wenig später mit ihrem Mann auch nach Düsseldorf. Sie war mir nun auch physisch wieder nah.
Nach meiner Lehre schickte mich mein Leben auf berufliche Wanderschaft durch Deutschland. Ab 1975 übernahm ein anderes Land meine Zukunft. Aber mein Kontakt zu ihr und meine Gedanken an sie, meinem Kindheitsengel, rissen nicht ab. Am 3. Juli 2018 beendete sie ihr irdisches Leben. Meine Gedanken an sie werden sie da, wo sie jetzt ist, erreichen.

Deine Zeit war abgelaufen,
die der Knochen schon seit Jahren.
Die Füße wollten nicht mehr laufen,
sie sahen überall Gefahren.

Wo du jetzt bist, da kannst du schweben,
der Schwerkraft bist du jetzt entflohn.
Kannst wieder Leichtigkeit erleben,
wie damals in der Kindheit schon.

Ein Engel warst du schon auf Erden,
als du mich trugst auf deinem Arm.
"Es wird schon alles wieder werden",
erklärtest du, wir waren arm.

Ja, es kamen gute Zeiten,
ich seh dich lachend vor mir stehn.
Niemand will es wohl bestreiten:
Du warst die Freundlichkeit - und schön.

Von deinem Platz an neuer Stelle
siehst du die Welt vor dir sich drehn.
Wir werden uns, auf alle Fälle,
dort irgendwann mal wiedersehn.

Doch vorher uns, ich weiß es schon,
gedanklich oft begegnen.
Mög' Gott dir geben deinen Lohn,
in seinem Reich dich segnen.

***

Der Opa
Gestorben 1945, irgendwo in Polen

Meinen Opa Johann Schulz habe ich nie bewusst getroffen. Er verschwand Anfang 1945 spurlos während der überstürzten Flucht der Deutschen aus Polen, als die Russen die Offensive übernahmen. Ich war damals zwei Jahre alt. Von meiner Mutter, der Oma, von Onkel Jakob und Tante Marika habe ich oft gehört, welch guter Mann, Mensch er war. Er war ein Fuhrunternehmer in dem kleinen rumänischen Dorf Mihaileni nahe der ukrainischen Grenze. Mit Pferd und Wagen war er oft tagelang unterwegs, um Waren der Töpfermanufaktur Regenstreif zu den umliegenden Orten und Städten zu liefern. Wenn er zurückkam, war es immer ein Fest für ihn und seine Kinder - es waren nicht wenige - während die Mutter das Essen bereitete. Aber zuerst versorgte er die Pferde. Wie traurig, schuldbewusst und niedergeschlagen war er doch, als sein junger Sohn Franz so eine Reise einmal für ihn übernahm, da er selbst krank und bettlägerig war. Der vollgepackte Wagen bekam Schlagseite und begrub Franz tödlich unter sich.
Ich habe mir während meiner Kindheit immer gewünscht, dass Opa doch aus Polen zu uns kommen möge. Dies tat auch meine Oma. Erst nach Jahren willigte sie widerwillig ein, ihren vermissten Mann für tot erklären zu lassen. Erst danach hatte sie Anspruch auf eine Witwenrente.
2018, spät, aber nicht zu spät besuchte ich mit Frau und Sohn den Ort meiner Ahnen. Entfernte Verwandte führten uns zu einem überwuchernden, sterbenden Friedhof, "in" dem sich Schlangen wohlfühlen". Sie zeigten mit dem Finger und sagten zu mir: "In einem dieser versteckten Gräbern liegen einige aus der Schulz-Familie."
Hier hätte mein Opa liegen können. Das Schicksal wollte es anders. Es gab ihm kein Grab.
Dennoch: An diesem Ort fühlte ich mich meinem Opa sehr nah.

Er war schon alt, doch nicht im Geiste,
im Kopfe tat ihm gar nichts fehlen.
Wenn er sagte: 'Junge, weißte..'
wollte er mir was erzählen.

Ich lauschte gern, er war Erzähler,
er wusste viel von der Natur.
Er kannte seine Berge, Täler,
und was dort lebt in Wald und Flur.

Ich setzte mich, fast wie ein Hund,
dicht an ihn, ich war ihm nah.
Ich schaute ihm auf seinen Mund,
damit ich seine Worte sah.

Er sprach von seinem ersten Land,
dem schönen Land, dem Heimatland.
Seine Worte konnten leuchten,
so wie die Augen, die etwas feuchten.
---
So hab ich's oft mir vorgestellt,
dass Opa von seinem Land erzählt.
Leider hab ich, denk ich betroffen,
ihn doch nie bewusst getroffen.

***
Onkel Jakob
Gestorben 2020 in Dinkelsbühl

Ein Mensch, ein Freund, ein Onkel so wie man ihn sich wünscht...

Wir sind viele, die ihn, Jakob Schulz, mochten, seine Bescheidenheit, seine stille, unaufdringliche, humorvolle Art zu reden - seine Art zu sein.
Geboren 1926 in Rumänien, 1940 mit seinen deutschstämmigen Eltern und fast allen Geschwistern nach Deutschland übersiedelt, 1942 nach Polen, im Januar 1945 überstürzte Flucht nach Bayern, sein Vater und zwei Brüder starben.
Im Mai 1945 bekamen sie (auch meine Familie und andere) eine vorübergehende Bleibe im Bauerndorf Segringen bei Dinkelsbühl. Jakob mit seiner Mutter und einer Tante waren die einzigen, die nicht weiterzogen. Jakob baute sich in Dinkelsbühl ein Haus, in dem er bis zum Ende mit seiner Frau Herta wohnte. Ein Sohn hat schon vorher das Haus übernommen und vergrößert und setzt damit eine alte Tradition weiter: Die Eltern wohnen im Haus so lange sie leben.

Jakob, ein Mensch, ein Freund, mein Onkel hat keine Jugendzeit gehabt, aber mit seiner Familie ein gutes Leben.

Nun ist sein Leib verblichen,
das Leid von ihm gewichen,
das spät erst zu ihm kam.

Er nahm's wie's kam, das Leben.
Es hat ihm viel gegeben,
doch vieles ihm auch nahm.

Es gab ihm Krieg, Verluste,
als Junger er schon wusste:
Es macht das, was es will.

Es nahm ihm seine Heimat,
gab dann ihm eine Heimstatt,
die nie mehr er verließ.

Es gab ihm Frau, zwei Buben,
die ihn durchs Leben trugen,
ein Warmwind auf ihn blies.

Jetzt hat es ihn verlassen,
sein langes, gutes Leben -
Gott hat ihn sterben lassen
so wie er lebte: still.
*
"Willi, sag die Wahrheit!"
ermahntest Du mich, Onkel.
Ich war noch ziemlich klein
und sagte brav: "Die Wahrheit".
Dies fiel mir oftmals ein.
Dein Scherz war immer freundlich,
nie böse und gemein.
Dein Herz war immer offen
und ließ die Freud' hinein.
Du warst mein liebster Onkel,
ein kluger, weiser Mann,
der wusste, dass man Worte
auch leise sagen kann.
Du gabst mir, einem Jungmann,
im Braunen Hirsch den Rat:
"Geh mit Bedacht nach vorne

und halt den Rücken grad."

Die Wahrheit ist, mein Onkel:
"Du warst mein stiller Held!
Du warst ein Mensch, ein feiner,
der keinen Anspruch stellt'.
Du warst im Herz ein Reiner
und auch ganz gern ein 'Kleiner'.
Du warst nicht irgendeiner -
grad deshalb warst Du groß!

Ich sage Dir die Wahrheit!"
*
Doch gibt es eine Wahrheit
von einer Dimension,
die größer ist als alles
und weiter als die Zeit.
Das kurze Erdenleben,
es kommt und schnell verrinnt,
Ein neues, andres Dasein
weit hinter allen Fernen
und unzählbaren Sternen
für dich, Jakob, beginnt -
im Land der Ewigkeit.

*********

Der Tod zeigt oft sein hartes Herz,
lässt kleine Kinder sterben,
bringt Müttern, Vätern schlimmen Schmerz,
schlägt Lebensglanz in Scherben.

Der Tod hat auch ein weiches Herz,
lässt Leidende entschlafen,
verwandelt ihren wilden Schmerz
in einen himmlisch braven.

Der Tod, das Leben sind zwei Brüder,
aus Gottes Hand gemacht.
Sie singen beide seine Lieder,
so wie der Tag, die Nacht.

© Willi Grigor, 2018 (Rev. 2020)

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Kommentare

21. Nov 2018

Eine Kette aus Seelenperlen der Menschen, mit denen Du Dich verbunden fühlst, wunderbarer, bildhafter Vergleich, Dein Beitrag berührt mich tief, liebe Willi ...

LG Marie

21. Nov 2018

Danke, liebe Marie. Das freut mich.
Ich hatte dieses "Projekt" schon lange im Kopf.
Jetzt habe ich es auf Papier und auf die moderne Art und Weise.

Herzliche Grüße
Willi

21. Nov 2018

Wenn Menschen weiter-leben, im Gedicht -
Dann sind sie gegangen - eben nicht ...

LG Axel

21. Nov 2018

Einen wunderbaren Satz hast Du hier formuliert Axel.
Vielen Dank dafür.

LG
Willi

21. Nov 2018

Die Seelenperlenkette ist Dir gut geglückt,
hast Deine Lieben nahe mir ans Herz gerückt.

LG Annelie

21. Nov 2018

Die Lieben, die gestorben sind,
mit einem Klick ich sie hier find.

Danke für Deine Worte, Annelie.

LG
Willi

21. Nov 2018

Im Begriff Seelenperlenband liegt die Kostbarkeit des Lebens, auch die des noch unbekannten Teils..
Ein sehr berührender Text, Willi. HG Ingeborg

21. Nov 2018

Das hast Du sehr schön ausgedrückt, Ingeborg.
Ich habe mir vorgestellt, dass ein Perlenband etwas Kostbares und Schönes ist. Wenn das Leben unsere Lieben verlässt, sind deren Seelen das Kostbarste was bleibt. Sie bilden ein Perlenband für die Ewigkeit. Ein beruhigendes Gedankenspiel.

Herzliche Grüße
Willi

21. Nov 2018

Ein sehr berührendes Werk, lieber Willi.
Es lässt mich auch an mein Seelenperlendband denken,
an dem auch schon einige Perlen hängen, da ich mich sogar noch an die Urgroßeltern erinnern kann, auf deren Beerdigung ich als Kind war.
Deinen Zeilen habe ich entnommen, dass Deine Eltern Flüchtlinge aus Rumänien waren. Wie es aussieht haben wir dieselben Wurzeln. Auch ich wurde dort geboren, floh aber 1985 mit meiner Familie, vor Ceaușescus Diktatur und Unterdrückung, nach Deutschland.
Dein Werk geht unter die Haut, lieber Willi und erinnert an die, die uns vorausgegangen sind.

Liebe Grüße,
Ella

22. Nov 2018

Danke für Deinen freundlichen Kommentar, liebe Ella.
Meine Familie wohnte in einem kleinen Ort an der Grenze zur Ukraina. Sie ist Ende 1940 nach Deutschland ausgesiedelt, vom Hitlerregime ermuntert, aus Angst vor den Russen. Die arbeitsfähigen der wenigen Verwandten, die geblieben sind, sind später nach Russland verschleppt worden.
Ich wurde in Deutschland geboren.

Herzliche Grüße
Willi

22. Nov 2018

Ja, ich weiß wovon Du sprichst. Mein Großvater wurde auch nach Russland deportiert. Er wollte nie über diese Zeit sprechen. Es muss unglaublich hart gewesen sein Meine Großmutter hatte "Glück". Sie musste nicht mit, da sie ein Neugeborenes hatte, dass gestillt werden musste, meinen Vater. So viel Herz besaßen die Roten dann doch.
Dennoch blieb sie mit fünf Kindern allein zurück.
Und dann kam die Enteignung. Aber das ist eine andere Geschichte. Es waren harte Zeiten damals. Der Zweite Weltkrieg hat so viel Kummer und Leid über die Menschen gebracht, dass wir die Folgen auch heute noch deutlich spüren können.

Liebe Grüße,
Ella

22. Nov 2018

Lieber Willi, ergreifend und doch SO WERTVOLL dein „Seelenperlenband“ …!

Liebe Grüße
Soléa

22. Nov 2018

Ich danke Dir, liebe Soléa - und den übrigen Kollegen*innen - für die Wertschätzung dieser etwas andersartigen Ballade.

Herzliche Grüße
Willi

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