Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 144

Bild von Alf Glocker
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144. Schritt

Unter mit schwankt etwas. Das muss der Boden der Tatsachen sein, auf dem ich mit beiden Beinen stehe. Oder sind es die Planken des Lebensschiffchens, das mich zu neuen Horizonten trägt? Oder ist es ein Wüstenschiff, ein Kamel, das sich in den fatamorganischen Weiten von Oase zu Oase kämpft?

Ich weiß es nicht! Ich weiß nur, daß sie wieder seltener geworden sind, die Oasen, die Horizonte, die Hoffnungen. Ich umsegle ein Kap! Das Kap der Stürme, der Sandstürme, durch die mich mein Kamel trägt. Ich sehe die Hand vor Augen, aber ich weiß nicht ob es meine ist!

Um mich ist, wie zu allen Zeiten der Betrug! Und da ist noch der Lärm. Er kommt vom Hauen und Stechen! Will mich ein Piratenschiff entern, oder sind mir die Ungläubigen auf der Spur? Ich suche nach meinen Waffen – wie hießen sie doch gleich?

Jetzt erinnere ich mich wieder: „Körperkraft und Geist“. Und ich erinnere mich auch wieder, daß sie mir noch nie etwas genützt haben, denn immer wenn ich körperlich stärker als einer war, dann war dieser verschlagener als ich und immer wenn ich geistvoller als einer war, dann spielte der einfach seine größere Körperkraft gegen mich aus!

Ich richte mich auf! Ich gehe auf die Brücke, ich steige auf den Kamelsattel, ich versuche fester zu stehen auf dem Boden der Tatsachen, doch da kommen der Nebel und ein Erdbeben gleichzeitig auf mich zu. Eine Sturmwelle überflutet dazu noch mein Boot. Unter meinen beiden Beinen, auf denen ich stehe, tut sich der Boden auf. Wo sind die Tatsachen?

Die Horizonte verschwimmen, die Götter steigen von ihren Thronen in die Welt und wirken Wunder des Wahnsinns, die ich nicht verstehen kann, denn alles ist zu einer einzigen Fatamorgana geworden. Neben mir hat sich Odysseus vom Mast losgerissen, weil er sich in Medusa verliebt hat, Ali Baba ist unter die 40 Räuber gegangen – ein Meteor rast auf die Erde zu!

Er besteht aus unerträglichen Ereignissen, die sich zu einer schleimigen Masse geballt haben. Wenn er auftrifft, versinkt alles Leben im immerwährenden geistigen Winter, der die Kontinente unter seiner Last absinken lässt, wie unter riesigen Gletschern der Unvernunft.

Das Schwanken wird stärker! Ich schwanke zwischen Lieben und Hassen, entscheide mich aber für die Gleichgültigkeit. Doch das hält dieses Schwanken nicht auf. Es schwillt an, es wird zu einem Rotieren. Ich rotiere! Die Fliehkraft drückt mich an das Geländer des Daseins vor dem Abgrund der Leere…

…und nun fühle ich sie bereits. Es ist dieselbe Leere, die ich einstmals verlassen habe, um das Land der Vorspiegelungen zu bewohnen. In diesem Land bildete ich mir ein, ein kleiner Glückspilz zu sein, denn was mir zu Füßen lag, war nicht nur schön, sondern falsch!

Die Schmuckstücke glitzerten zwar in einer trügerischen Sonne, worin sie mir Spaß und Erfolg verhießen, aber in irgendeiner Wirklichkeit schwankte auch damals schon der Boden unter meinem einen Bein des Glaubens an das Gute. Und doch hüpfte ich unverdrossen vorwärts. Hopp, hopp, hopp.

Damals hatte ich alles vergessen, den Betrug und den Lärm des Hauens und Stechens. Um mich vollzogen sich die wahnsinnig kleinen Wunder der Götter, die ihre Throne noch nicht verlassen hatten und die Frische winkte mir aus der Wüste auf meine Schiffsplanken zu, mit tausend spiegelnden Fatamorganen, die, wie ich heute, in Kreisen gingen, wo sich keine Form der Weisheit mehr nachvollziehen lässt!

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Kommentare

28. Mai 2015

Auch kleines Wunder: solch Geschichten -
Die wahrlich gutes Werk verrichten!

LG Axel