Läuterung 022 : Der Weihnachts-Buchgenuss

Bild von Klaus Mattes
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Wir wählen ein Buch, das ebenso prächtig wie mächtig in der Hand ruht. Kapitale 580 Seiten sollte es umfangen. Aber Obacht bzgl. Stephen King, zu viel Ballaststoffe! Für Weihnachten darf es mal Edleres sein. Rotes Chevreuilleder, Goldbuchstaben, Goldschnitt. Dies nur als Anregung, denn in jedem Fall soll es von Herzen kommen, also individuell ausfallen.

Wir entnehmen die Innereien. Nicht wegwerfen! Daraus bereiten wir später den Rezenten Buchstabensalat. Für die Farce greifen wir zu Edelmaronen, Printen, Äpfeln, Salz, Pfeffer, Ingwer, Piment, Muskatnuss, Eigelb, Rosenöl, zerkleinern, mischen und kneten alles kräftig. Wir heizen unsere Röhre auf 230 Grad vor. Auf der mittleren Schiene muss das Weihnachtsbuch zwei Stunden knuspern. Wir nehmen uns diese Zeit. Es ist ja Weihnachten. Nirgendwo auf der Welt ist irgendetwas geboten. Von Rauchkringeln lassen wir uns nicht irritieren. Besser außen ein wenig karbonisiert als ohne inneren Biss!

Das dampfende Buch wird aus der Röhre gehoben und zügig mit sinnenden Schwüngen aus brauner Karamelllasur überzogen. Ein alter Brauch will, dass das heiße Buch vom Familienvater bzw. der ältesten männlichen (!) Person am Tische aufgeschnitten, tranchiert und gekostet wird. Wir raten zu einem Tropfen aus Franken, Frankreich oder Phrygien fürs Nachspülen.
Dieses Buch wird mit Hartnäckigkeit uns tagelang aufstoßen und jedes Mal wieder Stoff zum Nachdenken geben. Modern, fettreduziert, authentisch und nicht geschmacksverstärkt!

Nie mehr werden wir diese Weihnachtstage vergessen. Wegen dieses himmlischen Buchs und wegen des Coca-Cola-Weihnachtsmannes, des Turmblasens, des Maskenspiels, der Mitternachtsmettwurst, der Weizenpyramide, des handgesiebten Lauscha-Glases, der neapolitanischen Krippendörfer, der Kerzen, Brat- und Leberwürste, der Watte, wegen des Lamettas, des Genitivs, der Rauschgoldengel und einer besinnlichen Bundespräsidenten-Rede, der Marzipanschweinchen, der Vierschranzenrallye, des Glühwein-Binges und dann auch wegen Timm Thaler und den drei Haschelfüßen.

Buchtitel, die sich fürs Fest schon selber in unsere Hand werfen, sind „Driving Home For Christmas“ von Sir Chris Rea oder, für abgebrühte Leseratten der älteren Generation, etwas à la „American Psycho“ von Bret Easton Ellis oder auch „Der Sohn“ von Walter Hasenclever. Verliebte Mädchen stehen eher auf „Querelle de Brest“ von Françoise Sagan.