Adrienne und Fenris - Page 2

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sich vergrub, verschloss und versperrte. „Mädchen“, brummte er nun, streckte seine Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen ihre Schulter. Ein Stromschlag schoss durch seinen Arm, brachte Adriennes Leib ein weiteres Mal zum Beben. Heiße Lava schlug wellenartig durch sie hindurch. „Hört’ damit sofort auf!“, zischte sie nun leise und wich gleich einer Raubkatze von ihm zurück. „Was wollt Ihr von mir. Wer seid Ihr?“ Sie fauchte, rappelte sich auf der Spitze ihrer Gegenwehr auf, und straffte die Schultern.
Er verbeugte sich. „Mein Name ist Fenris und ich wollte Euch lediglich nach dem Weg fragen.“ Er schnappte nach Luft, beinahe beleidigt über die forsche Zurückweisung und konnte ihr das bereits verzeihen.
Adrienne ließ die Schultern etwas sinken. Stirnrunzelnd musterte sie das gegerbte Gesicht, die dunklen Haare, den stoppeligen Bart. „Ihr seid nicht von hier.“
Augenblicklich fuhr Fenris sich mit den Fingerkuppen über das raue Gesicht. „Wirke ich bereits so ungepflegt.“
Ein seichtes Schmunzeln nistete sich in Adriennes Mundwinkel ein. „Mitnichten, Herr. Aber niemand reitet freiwillig durch diesen Wald.“ Adrienne streckte den Arm aus und deutete direkt die Lichtung, die in den Wald führte, entlang. Das Ende wurde bereits von der Dunkelheit verschluckt. „Und Ihr?“, fragte Fenris. „Wissen die Leute, dass Ihr hier lebt.“
Adrienne verneigte sich nun leicht. „Ich bin wohl die Hexe in diesem Wald.“
Donnernd lachte Fenris auf, sodass selbst die Vögel aus den Wipfeln der Bäume in den Himmel stoben. „Fürwahr, dann habt Ihr einen wunderbaren Zauber zum verheimlichen Eurer eigentlichen Erscheinung gefunden.“
Adrienne zuckte mit den Schultern. „Hexen sind immer die Frauen, die jenseits der Norm sich mit der Natur verstehen. Sie müssen nicht hässlich sein. Ganz im Gegenteilt. Ihre Schönheit ist das gefährliche.“ Sie hatte sich bei den letzten Worten tatsächlich in den Augen ihres Gegenübers verloren. Just in dem Moment als sie sich darin suhlen wollte, viel ihr dieser Umstand auf und sie senkte sofort wieder den Blick, während es prickelnd den Nacken über den Rücken hinabrann.
Fenris beugte sich zur Seite, hob den Helm wieder auf. „Es kann nicht sein, dass wir uns schon Mal gesehen haben, obgleich es mir vorkommt als hätten wir uns nur sehr sehr lange nicht mehr gesehen“, sprach er Adriennes Gedanken aus, nahm die Zügel des Pferdes auf und setzte sich den Helm wieder auf den Kopf. „Nun denn, werde ich mich weiter aufmachen.“ Alles in Adrienne schrie ihn nicht gehen zu lassen. All die Vollständigkeit, die sie in den letzten Sekunden spürte, rann ihr aus den Fingern und gleichsam flüsterte ihr Herz ihr zu, dass es so passierte wie es zu passieren hatte.
Elegant schwang der hünenhafte Krieger sich wieder auf den Friesen. Er wirkte äußerlich hart und unnahbar; ein gefährlicher Krieger, der Gott weiß wie viel Blut an seinen Fingern zu kleben hatte.
„Wir werden uns noch Mal sehen“, sprach Fenris aus und meinte es das erste Mal nicht als schwachen Trost für eine sehnsüchtige Frau, mit der er eine Nacht verbracht hatte. Und ehe Adrienne etwas erwidern konnte, galoppierten Pferd und Reiter in die Dunkelheit hinein.

Es dauerte Wochen bis Adrienne wieder in den alten Tritt ihrer Existenz finden konnte. Strauchelnd, zweifelnd, sehnsüchtig hatte es sie immer wieder an den Waldrand gezogen, nur damit sie, den Blick in die ferne schweifend ein weiteres Mal das Gefühl der Vollständigkeit erfahren durfte. Doch es blieb aus.
Müde des ewigen Wartens kämpfte sie sich zurück. Kämpfte sich aus dem Gefühl eines herben Verlustes heraus, fokussierte sich wieder auf jedes Tier, auf jede Pflanze, auf den Mond und die Sonne, doch tief in ihr Schlug eine neue Energie; ein weiteres Herz. Manchmal, wenn ihr Brustkorb besonders vibrierte, legte sie ihre Hand dorthin, wo ihr Herz schlug, schloss die Augen und gab sich der Schönheit des Seins hin. Noch intensiver, noch tiefgreifender spürte sie den Atem der Welt, die Leichtigkeit des Himmels und hörte den Wind mit ihrem ganzen Körper flüstern. Sie lernte, dass sie die Sehnsucht nach der Begegnung nicht ignorieren oder gar vergraben konnte. Sie lernte auch dieses Gefühl zu lieben wie sie all die anderen schönen Dinge liebte. Und sie wuchs innerlich, reifte innerlich, fühlte innerlich, öffnete jede Pforte des Seins und ergab sich dem Weg des Seins in all seiner tiefen Fürsorge. Eine weitere Blume auf Erden öffnete ihre Blüte. Und sie spürte stets seine Anwesenheit in ihrem Innersten.
Als sie an einer besonders sternenklaren Nacht durch den Wald Richtung Hütte wanderte, hob sie den Blick wie so oft und betrachtete die kleinen funkelnden Punkte am dunklen Firmament. Dunkle Schatten der Tannen verdeckten einen Großteil der Schönheit jener Unendlichkeit. Ihre Stirn prickelte, ihr Scheitel fühlte sich leicht an. Einmal mehr verstand sie sich als Ganzes; verbunden mit allem. Andächtig blieb sie auf einer breiten Lichtung stehen, ließ sich auf den Rücken in das hohe Gras nieder und blickte hinauf; die Sterne blickten gütig hinab. Einfach Sein, nichts erwarten; anstatt zu agieren, reagieren. Welche Erkenntnisse. Im Hintergrund knackte es im Dickicht. Zwei Wölfe traten auf die Lichtung, tobten und tollten verliebt herum, haschten und jagten sich. Sie beachteten weder den Sternenhimmel, noch Adrienne; waren versunken in ihrem neckenden Liebesspiel. Der Eine von strahlend weißem Fell, der anderen in einem tiefen Schwarz. Der Weißfang trug einen schwarzen Punkt um das linke Auge und der Schwarzfang einen weißen Punkt um das rechte Auge. Leise wuffend knufften sie sich, zwickten sich in das Fell und tobten schließlich wieder in den Wald hinein. Nach einem unbestimmten Moment konnte Adrienne das friedvolle an- und abschwellen des Heulen der Wölfe hören. Ein Lied der Gemeinschaft, die Ohren an die Köpfe gelegt, die Schnauzen gen Himmel gestreckt. Das Dickicht wurde ganz still und lauschte schweigend der Melodie.
Ihr Herz schlug, der Körper schlief. Die Energie floss, das Sein erhob sich aus der Physis. Schlanke Finger hoben sich gen Himmel, strichen durch Sternennebel, strichen an Planeten vorbei, tauchten ein in eine andere Welt. Frei schwebend voller Frieden gab es nichts außer das Licht und die Liebe um sich herum. Pulsschlagartig stoben weiteren Energien durch ihr Feld, ließen sie den Fluss der Zeit endgültig vergessen.
Sein Herz schlug, der Körper

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