Adrienne und Fenris - Page 4

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Rehen beim Äsen zusah und der Himmel sich im Tanz mit der untergehenden Sonne rötlich schimmernd auf die Nacht vorbereitete, gab es in ihr ein regelrechtes Aufatmen. Tränen rannen über ihre Wangen, sie schmiss sich auf den Waldboden, der sie zärtlich aufnahm und wog wie eine liebende Mutter ihr untröstliches Kind. Adrienne weinte bis ihr keine Tränen mehr kamen, die Stimme versagte. Von einer Sekunde auf die Andere hatte sie sich verweigert sich weiter gegen das zu wehren, was ist. Der Damm war gebrochen und als sie still, innerlich leer und erschöpft, eine kleine blühende Blume zu ihrer linken Seite betrachtete, spürte sie die schützende Liebe von Mutter Erde und Vater Himmel. Unerschütterliche Liebe drang durch ihre Füße von unten in ihren Körper und die pure Leichtigkeit des Seins durch ihren Scheitel in die Mitte. Sie fragte sich wie das sein konnte und ein kleiner Funken wollte ihr diese Leichtigkeit verbieten, doch hatte sie nicht mal mehr die Kraft sich gegen den Widerstand zu wehren, der sich mit einem Schlag auflöste als wäre er nur das zaghafte Flüstern eines verirrten Lufthauches gewesen.
Adrienne gestand sich in dieser Nacht ein, dass sie ihn vermisste; dass sie Angst davor hatte ihn auf dieser Welt zu verlieren und, dass sie betete, er würde eines Tages wiederkehren. Sie wusste, er war hinter den Bergen, weit entfernt. Und eines Tages, das spürte sie unter all den vernichtenden Stimmen in sich, würden sie sich wiedersehen. Und je mehr die Dunkelhaarige sich das eingestand, desto leichter viel es ihr sich zu öffnen, für das was war.

In dieser Nacht schien der Frieden ihr Begleiter durch die finstere Nacht des Waldes zu sein. Der helle Mond ergoss sein silbriges Licht auf die Lichtungen und ließ kleine Wesen freudig tanzen. Adrienne bewegte sich leichtfüßig über das kühle Gras, schien bis zu ihrer Behausung zu schweben. Die Finger lagen auf der Tür, doch sie vermochte es nicht jene aufzustoßen. Irgendwas hinderte sie daran. Verwundert warf sie einen Blick zurück über die Schulter in den verzaubert wirkenden Wald hinein. Der Nebel stieg vom Boden auf und wirkte wie ein Schleier aus einer anderen Welt. Zwei Rehe traten auf die Lichtung, hoben die Köpfe und entschwanden wieder in das Dickicht.
Adrienne glaubte, ihr würde das Herz aus der Brust gerissen, wenn sie dem inneren Zug nicht nachgab. Noch ein letztes Mal startete sie den Versuch in die Hütte zu gehen und mit einem Schlag wurden ihr die Knie weich. Leise aufkeuchend sank sie auf den Boden, wurde regelrecht festgehalten. Hinfort war der Frieden, hinfort die Stärke und was blieb war pure Angst und Schmerz in ihrem tiefsten Innersten. Ein Schmerz, der größer, so glaubte sie, war als das gesamte Universum. Zitternd legte sie ihre Hand auf den Brustkorb, spürte den Herzschlag eines Kaninchens in ihrer Brust. Ein beständiges Trommeln von einer Kraft, die ihr bis dahin unbekannt war. Sie schloss die Augen, sank mit dem Hinterkopf gegen das Holz ihrer Behausung, atmete tief durch und verkrampfte innerlich vor Sehnsucht und Schmerz. Funkelnd wie Diamanten rannen ihr die Tränen über die hellen Wangen. Sie wusste es schon längst und hatte es dennoch nicht begriffen. Die Arme um ihren Körper geschlungen, war ihr klar, was ihr Herz ihr sagen wollte. Dem nachgehen konnte sie jedoch noch nicht. Stattdessen starrte sie mit geschlossenen und doch weit aufgerissenen Augen in den Himmel, betrachtete die Bilder, die direkt aus dem Brustkorb in ihr aufstiegen und sich vor ihr niederlegten wie ein Teppich aus dunklen Blumen.
Und so verbrachte sie die Nacht in sich zusammengekauert mit dem unbestimmten Gefühl in sich, gefangen in den wildesten Träumen und Visionen. Aufbrechen, sagten die Träume. Mache dich auf den Weg, flüsterte der Wind. Folge deinem Herz, sangen die Wölfe. Es geht nicht nur um euch. Es geht auch um dich. Alles, was ich dir gebe, ist ein Geschenk für dich. Nur deine Entwicklung ist von Wichtigkeit. Nur so, kannst du bereichern was ist und geben, was du in dir trägst, raunte die alte zerzauste Frau, welche neben ihr kniete und mit den langen Fingern zart über die Wange streichelte. Nur, wenn du dich und deine Emotionen annimmst, kannst du ihm die Liebe entgegenbringen, die er verdient.
Adrienne kräuselte die Stirn. Nur dann kannst du alles Lieben, so wie alles es verdient und du wirst Liebe empfangen in Hülle und Fülle.
Die wilde Frau; die Urmutter gab ihrem Schützling einen sanften Kuss auf die Wange und segnete ihr Kind mit einem ruhigen Schlaf.
Die Energien tanzten, zogen aneinander, verwirrten und entwirrten sich. Ein Aufruhr herrschte in dem Körper bis alle Weichen gestellt wurden; bis der Geist aus dem Schlaf erwachte, den er brauchte um sich aufzumachen, um die Reise anzutreten, die ihm zustand. Und Adrienne schlug die Augen auf, verschloss sie wieder, öffnete sie noch Mal. Die Lichtung lag golden schimmernd vor ihr als wollte sie sagen, dass der Weg genau vor ihrer Haustüre losging und sie ihn nur gehen musste ... zu ihm. Sie musste gehen mit all dem, was sie in sich trug; musste annehmen, was sie erwarten würde. Alles war ein Geschenk; es musste gewürdigt werden und wenn es in dieser Welt voller Dualitäten noch so absurd wirkte.

Die Gerölllandschaft erstreckte sich soweit Fenris blicken konnte. Ihm war in seiner ganzen Existenz noch nicht so viel Elend untergekommen wie hier. Sein stolzes Ross schnaubte leise. Fenris tätschelte den starken Hals des Friesen, spürte seine Angst und musste darum kämpfen, nicht ebenso von ihr angesteckt werden.
Er hatte viele seiner Mannen verloren; hinter ihm lag ein Feld voller Leichen, deren Todesgeruch er noch immer in der Nase hatte. Fenris schloss die Augen. Sofort tauchte Adriennes Gesicht vor seiner Nase aus und er riss die Augen wieder auf. Mit all der Kraft, die er in sich aufbringen konnte, versuchte er die Erinnerungen an ihre Begegnung niederzuringen; jedes Gefühl und jede Emotion, die er ihr entgegenbrachte. Dennoch begleitete sie ihn wie ein Schatten auf Schritt und Tritt. Sie kehrte, immer dann, wenn er glaubte sie verbannt zu haben, zurück. Rücksichtslos als würde sie es nicht

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