Die richtige Erzählperspektive wählen

Überarbeitet am 14. Dezember 2024
Erzählperspektiven meistern

Erzählperspektiven prägen, wie wir Geschichten erleben: Sie entscheiden über Nähe, Spannung und emotionale Tiefe. Ob Ich-Form, personale oder auktoriale Erzählung – die richtige Wahl macht den Unterschied. Dieser Artikel hilft Ihnen, Perspektiven gezielt einzusetzen und Lesende stärker zu fesseln. Lernen Sie, wie Sie Ihre Handlung noch eindrucksvoller gestalten!

von Literat Pro
Bild zeigt Collage einer Autorin beim Schreiben einer Geschichte
© Roman Samborskyi / shutterstock

Die Frage, aus welcher Perspektive man eine Geschichte erzählt, ist weit mehr als eine bloße technische Entscheidung. Sie beeinflusst, wie nah Ihre Leserinnen und Leser Ihren Figuren kommen, wie sehr sie mit ihnen mitfühlen und wie tief sie in die Welt Ihres Textes eintauchen. Ob Sie in der Ich-Form schreiben, sich für eine personale Perspektive entscheiden oder den allwissenden auktorialen Erzähler nutzen, macht einen großen Unterschied für das gesamte Leseerlebnis. Im Folgenden zeige ich Ihnen, welche Erzählperspektiven es gibt, wie sie wirken und wo sie in der Literatur bereits erfolgreich eingesetzt wurden.

Die Ich-Erzählung: Nähe zur Figur schaffen

Die Ich-Perspektive ist vermutlich die direkteste Art, eine Geschichte zu erzählen. Hier spricht eine Figur in der ersten Person: „Ich ging durch die dunkle Gasse, mein Herz klopfte…“. Dieser Ansatz vermittelt unmittelbare Nähe. Die Leserinnen und Leser erleben alles direkt durch die Augen und Gedanken der erzählenden Person. Das kann intensiv sein, da wir Empfindungen, Ängste, Hoffnungen und Zweifel fast hautnah miterleben. Auf diese Weise entsteht ein starkes Identifikationspotenzial.

Allerdings hat die Ich-Erzählung auch ihre Grenzen: Da wir die Geschichte nur aus der Sicht einer einzelnen Figur erfahren, bleibt uns das Innenleben anderer Personen verborgen. Auch ist der Erzähler selbst nicht immer verlässlich – schließlich nimmt er die Welt subjektiv wahr und bewertet sie nach seinen eigenen Maßstäben. Das macht es spannend, kann aber auch dazu führen, dass der Blickwinkel sehr eingeschränkt ist.

Beispiel: In vielen Jugendromanen oder modernen Coming-of-Age-Geschichten wird gerne die Ich-Form genutzt, um die Lesenden in die Gefühlswelt junger Protagonisten hineinzuziehen. Auch in klassischen Werken wie „Die Leiden des jungen Werthers“ von Goethe erleben wir die Handlung aus der direkten Perspektive des Protagonisten.

Die personale Erzählweise: Ausgewogene Balance

Die personale Perspektive ist ein Mittelding zwischen der subjektiven Ich-Erzählung und der allwissenden Erzählform. Hier wird in der dritten Person erzählt („Er ging durch die dunkle Gasse, sein Herz klopfte…“), aber wir bleiben an eine einzelne Figur gebunden. Das heißt, wir wissen, was diese Figur fühlt, denkt und wahrnimmt, doch wir bekommen keine direkten Einblicke in die Köpfe anderer Figuren.

Diese Erzählperspektive ermöglicht Nähe, ohne die Geschichte strikt nur aus der Sicht des Protagonisten zu schildern. Autorinnen und Autoren können die Handlung etwas freier gestalten, indem sie gelegentlich zwischen verschiedenen Figurenperspektiven wechseln, solange sie dabei klar kennzeichnen, aus wessen Sicht erzählt wird. Dadurch bleibt der Blick auf die Welt der Geschichte subjektiv gefärbt, aber weniger einseitig als in der Ich-Form.

Beispiel: Viele zeitgenössische Romane, die sich auf einen oder wenige Hauptcharaktere konzentrieren, nutzen die personale Perspektive. So können wir etwa in einem Krimi aus der Sicht des Ermittlers erzählen, ohne uns auf „Ich“ zu beschränken, aber der Leser erhält dennoch intime Einblicke in dessen Gedanken und Gefühle.

Der auktoriale Erzähler: Der allwissende Beobachter

In der auktorialen Erzählweise tritt der Erzähler selbst als eine Art übergeordnete Instanz auf, die alles über die Welt der Geschichte weiß: Was alle Figuren denken, fühlen und beabsichtigen, was in Vergangenheit und Zukunft geschehen ist oder geschehen wird. Diese Perspektive ist wie ein „Gott“ im Erzählraum, der einen Rundumblick hat. Das kann eine beeindruckende Tiefe schaffen, weil der Leserschaft alle Informationen zur Verfügung stehen – sofern der Erzähler sie preisgibt.

Die auktoriale Perspektive hat den Vorteil, dass sie ein komplexes Gefüge von Ereignissen, Gefühlen und Gedanken transparent machen kann. Zugleich kann sie aber auch Distanz schaffen: Man ist zwar sehr informiert, aber oft weniger emotional gebunden, da der Erzähler wie eine kommentierende Instanz über allem schwebt. In modernen Werken ist dieser allwissende Tonfall etwas seltener geworden, da sich viele Leserinnen und Leser stärker mit Perspektiven identifizieren, die begrenzter, subjektiver und dadurch unmittelbarer sind.

Beispiel: In vielen klassischen Romanen, etwa von Theodor Fontane oder Leo Tolstoi, kommt häufig ein auktorialer Erzähler zum Einsatz, der die Lesenden durch ein komplexes Beziehungsgeflecht führt und ihnen dabei Einblicke in sämtliche Winkel der Geschichte gewährt.

Wie Perspektiven die Wahrnehmung beeinflussen

Letztlich entscheidet die Erzählperspektive darüber, wie nahe wir den Figuren kommen und welche Informationen wir erhalten. Während die Ich-Form maximale Nähe, aber begrenzte Sicht bietet, schlägt die personale Erzählung einen Mittelweg ein: etwas Distanz, aber immer noch tiefe Einsicht in die Gedankenwelt einer Figur. Der auktoriale Erzähler legt dagegen die gesamte Geschichte wie eine Landkarte vor uns aus. Er zeigt uns Details, wechselt schnell zwischen Schauplätzen und hält mit seinem Wissen nicht hinterm Berg – auf Kosten der Nähe.

Wenn Sie selbst schreiben, sollten Sie sich deshalb fragen:

  • Wie nahe sollen meine Leserinnen und Leser der Hauptfigur sein?
  • Möchte ich die Emotionen eher direkt oder indirekt vermitteln?
  • Soll es eine starke, einzelne Perspektive geben oder möchte ich einen größeren Überblick schaffen?

Je nachdem, wofür Sie sich entscheiden, wird Ihr Text anders wahrgenommen. Es lohnt sich, ein wenig herumzuexperimentieren.

Weiterführender Hinweis:

Auch wenn es in diesem Artikel um Erzählperspektiven geht, können Sie für einen noch tieferen Einblick in die innere Gefühlswelt Ihrer Figuren andere Stilmittel nutzen. Wer etwa genauer verstehen möchte, wie Gedanken, Gefühle und innere Zustände in der Literatur dargestellt werden können, findet im Artikel zum inneren Monolog als literarisches Stilmittel weiterführende Informationen.

So verschaffen Sie Ihren Lesern nicht nur einen umfassenden Überblick über unterschiedliche Perspektiven, sondern zeigen auch Wege auf, das Innenleben von Figuren subtil oder direkt erfahrbar zu machen.

Schlussgedanken

Die Wahl der Erzählperspektive ist ein zentraler Baustein, der weitreichende Folgen für die Wirkung eines literarischen Textes hat. Ob Sie die Nähe und Intensität der Ich-Form suchen, die ausgewogene Balance der personalen Perspektive bevorzugen oder den allwissenden Überblick des auktorialen Erzählers nutzen, hängt von Ihren Zielen und der gewünschten Leserbindung ab. Nehmen Sie sich die Zeit, verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren – so finden Sie die Erzählweise, die zu Ihrer Geschichte und Ihren Figuren am besten passt.

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