Die Bürgschaft

Bild zeigt Friedrich Schiller
von Friedrich Schiller

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande:
Ihn schlugen die Häscher in Bande,
»Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!«
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
»Die Stadt vom Tyrannen befreien!«
»Das sollst du am Kreuze bereuen.«

»Ich bin«, spricht jener, »zu sterben bereit
Und bitte nicht um mein Leben:
Doch willst du Gnade mir geben,
Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen.«

Da lächelt der König mit arger List
Und spricht nach kurzem Bedenken:
»Drei Tage will ich dir schenken;
Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,
Eh' du zurück mir gegeben bist,
So muß er statt deiner erblassen,
Doch dir ist die Strafe erlassen.«

Und er kommt zum Freunde: »Der König gebeut,
Daß ich am Kreuz mit dem Leben
Bezahle das frevelnde Streben.
Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
So bleib du dem König zum Pfande,
Bis ich komme zu lösen die Bande.«

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
Und liefert sich aus dem Tyrannen;
Der andere ziehet von dannen.
Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
Eilt heim mit sorgender Seele,
Damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab,
Von den Bergen stürzen die Quellen,
Und die Bäche, die Ströme schwellen.
Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab,
Da reißet die Brücke der Strudel herab,
Und donnernd sprengen die Wogen
Dem Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand:
Wie weit er auch spähet und blicket
Und die Stimme, die rufende, schicket.
Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,
Der ihn setze an das gewünschte Land,
Kein Schiffer lenket die Fähre,
Und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
Die Hände zum Zeus erhoben:
»O hemme des Stromes Toben!
Es eilen die Stunden, im Mittag steht
Die Sonne, und wenn sie niedergeht
Und ich kann die Stadt nicht erreichen,
So muß der Freund mir erbleichen.«

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
Und Welle auf Welle zerrinnet,
Und Stunde an Stunde ertrinnet.
Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut
Und wirft sich hinein in die brausende Flut
Und teilt mit gewaltigen Armen
Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort
Und danket dem rettenden Gotte;
Da stürzet die raubende Rotte
Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
Den Pfad ihm sperrend, und schnaubert Mord
Und hemmet des Wanderers Eile
Mit drohend geschwungener Keule.

»Was wollt ihr?« ruft er vor Schrecken bleich,
»Ich habe nichts als mein Leben,
Das muß ich dem Könige geben!«
Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:
»Um des Freundes willen erbarmet euch!«
Und drei mit gewaltigen Streichen
Erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand,
Und von der unendlichen Mühe
Ermattet sinken die Kniee.
»O hast du mich gnädig aus Räubershand,
Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
Und soll hier verschmachtend verderben,
Und der Freund mir, der liebende, sterben!«

Und horch! da sprudelt es silberhell,
Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
Und stille hält er, zu lauschen;
Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,
Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
Und freudig bückt er sich nieder
Und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
Und malt auf den glänzenden Matten
Der Bäume gigantische Schatten;
Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,
Will eilenden Laufes vorüber fliehn,
Da hört er die Worte sie sagen:
»Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.«

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
Ihn jagen der Sorge Qualen;
Da schimmern in Abendrots Strahlen
Von ferne die Zinnen von Syrakus,
Und entgegen kommt ihm Philostratus,
Des Hauses redlicher Hüter,
Der erkennet entsetzt den Gebieter:

»Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
So rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
Ihm konnte den mutigen Glauben
Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.«

»Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht,
Ein Retter, willkommen erscheinen,
So soll mich der Tod ihm vereinen.
Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
Er schlachte der Opfer zweie
Und glaube an Liebe und Treue!«

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor,
Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
Das die Menge gaffend umstehet;
An dem Seile schon zieht man den Freund empor,
Da zertrennt er gewaltig den dichter Chor:
»Mich, Henker«, ruft er, »erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget!«

Und Erstaunen ergreifet das Volk umher,
In den Armen liegen sich beide
Und weinen vor Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Augen tränenleer,
Und zum Könige bringt man die Wundermär';
Der fühlt ein menschliches Rühren,
Läßt schnell vor den Thron sie führen,

Und blicket sie lange verwundert an.
Drauf spricht er: »Es ist euch gelungen,
Ihr habt das Herz mir bezwungen;
Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn –
So nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der dritte!«

Veröffentlicht / Quelle: 
Schiller, Friedrich. Die Bürgschaft. Musenalmanach für das Jahr 1799, herausgegeben von Friedrich Schiller, J. G. Cotta’sche Verlagsbuchhandlung, 1799, S. 176-182.

Gedichtanalyse: „Die Bürgschaft“ von Friedrich Schiller

Einleitung

„Die Bürgschaft“ ist eine der bekanntesten Balladen Friedrich Schillers, veröffentlicht 1799 im Musenalmanach für das Jahr 1799. Die Ballade verkörpert zentrale Themen der Aufklärung wie Tugend, Freundschaft und Treue und steht exemplarisch für Schillers idealistische Weltanschauung. Sie erzählt die Geschichte einer dramatischen Rettung durch Opferbereitschaft und zeigt die transformative Kraft menschlicher Werte. Die Ballade verbindet Elemente des antiken Mythos und die für Schiller typische didaktische Erzählweise. Die folgende Analyse untersucht die inhaltliche Ebene, formale Aspekte, sprachliche Mittel und die tiefergehende Bedeutung des Gedichts.


Inhaltliche Analyse

Die Handlung der Ballade spielt in der antiken Stadt Syrakus unter der Herrschaft des Tyrannen Dionys. Damon, ein junger Mann, versucht, den Tyrannen zu töten, wird aber gefangen genommen. Er erbittet drei Tage Aufschub, um die Hochzeit seiner Schwester zu regeln, und bietet seinen Freund als Bürgen an. Der Tyrann stimmt zu, doch Damon wird auf seiner Rückkehr durch Naturgewalten und Räuber aufgehalten. In letzter Sekunde erreicht er die Hinrichtungsstätte, um seinen Freund zu retten. Die selbstlose Treue beeindruckt den Tyrannen so sehr, dass er die beiden begnadigt und um Aufnahme in ihren Freundschaftsbund bittet.

Zentrale Themen:

  1. Freundschaft und Treue: Die bedingungslose Loyalität zwischen Damon und seinem Freund zeigt die hohe moralische Wertschätzung dieser Tugenden.
  2. Opferbereitschaft: Beide Figuren sind bereit, ihr Leben füreinander zu geben, was den Wert von Selbstlosigkeit betont.
  3. Menschlichkeit und Transformation: Der anfangs grausame Tyrann wird durch die Tugendhaftigkeit der Protagonisten gerührt und geläutert.
  4. Schicksal und göttlicher Beistand: Naturgewalten und göttliche Eingriffe prägen den Verlauf der Handlung und verstärken die Dramatik.

Formale Analyse

  • Gedichtform: „Die Bürgschaft“ ist eine klassische Ballade, eine Mischform aus epischer Erzählung, lyrischen Elementen und dramatischer Spannung.

  • Struktur und Aufbau: Das Gedicht besteht aus 25 Strophen mit je 6 Versen, die durchweg einen regelmäßigen Aufbau haben. Diese Klarheit unterstreicht die Ernsthaftigkeit und die epische Wirkung der Geschichte.

  • Reimschema: Das Reimschema ist durchgehend aabccb, was der Ballade einen fließenden und erzählerischen Charakter verleiht.

  • Metrum und Rhythmus: Die Verse folgen dem Trochäus, der durch den Wechsel von betonten und unbetonten Silben eine eingängige, erzählerische Dynamik schafft. Beispiel:

    „Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
    Damon, den Dolch im Gewande.“


Sprachliche Mittel

Schiller nutzt eine Vielzahl literarischer Mittel, um die Dramatik und Emotionalität der Ballade zu verstärken:

  • Personifikationen und Metaphern: Naturkräfte wie der Fluss und der Sturm werden personifiziert, um die Dramatik der Hindernisse zu verdeutlichen. Beispiel: „Der wilde Strom wird zum Meere.“

  • Kontraste: Der Gegensatz zwischen den edlen Protagonisten und dem grausamen Tyrannen betont die moralische Überlegenheit der Tugend.

  • Symbolik:

    • Der Strom: Hindernisse und Prüfungen im Leben.
    • Die Keule der Räuber: Die Gewalt, der Damon trotz seiner Moral ausgesetzt ist.
    • Das Kreuz: Symbol für Opferbereitschaft und die Konsequenzen von Treue.
  • Wiederholungen und Steigerung: Schiller verstärkt die Dramatik durch wiederholte Betonung der drohenden Gefahr für den Freund und die zunehmende Verzweiflung Damons. Beispiel: „O hemme des Stromes Toben!“


Interpretation

„Die Bürgschaft“ steht exemplarisch für die idealistischen Werte Schillers. Freundschaft und Treue werden als höchste Tugenden dargestellt, die selbst den härtesten Tyrannen überwinden können. Der Triumph der Menschlichkeit über Macht und Grausamkeit ist ein zentrales Motiv, das auch in anderen Werken Schillers, wie „Wilhelm Tell“ und „Die Räuber“, thematisiert wird.

Antike Anklänge:
Die Ballade greift antike Themen auf, wie die Loyalität im Freundschaftsbund und die moralische Läuterung eines Herrschers, und verleiht ihnen eine aufklärerische Perspektive. Der Einfluss der griechischen Tragödie ist deutlich spürbar, insbesondere durch den göttlichen Beistand und die Prüfung des Helden.

Moralische Botschaft:
Schiller vermittelt die Überzeugung, dass wahre Tugend und Selbstlosigkeit die Macht haben, das Herz eines Tyrannen zu verändern und eine bessere Gesellschaft zu schaffen. Die Geschichte zeigt, dass Menschlichkeit und Vertrauen nicht nur zwischen Individuen, sondern auch in einer politischen Ordnung möglich sind.


Schluss

„Die Bürgschaft“ ist eine zeitlose Ballade, die Schillers Idealismus und seinen Glauben an die transformative Kraft moralischer Werte eindrucksvoll verkörpert. Die Verbindung aus dramatischer Erzählung, antiken Motiven und universellen menschlichen Themen macht das Gedicht zu einem Meisterwerk der deutschen Literatur. Es erinnert daran, dass Liebe, Treue und Selbstlosigkeit selbst in einer Welt voller Hindernisse und Gewalt bestehen können – eine Botschaft, die bis heute berührt und inspiriert.

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