Frühjahrsputz

Bild von Lydia Kraft
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Es war mal wieder so weit. Ich war ohne Job, ohne Mann und ohne Hund. Mein Leben konnte nicht mehr aus den Fugen geraten, aber ich wollte nicht sagen, dass ich am Boden lag. Auch wenn mir meine Töle fehlte (sie hatte so eine angenehme Art gehabt, mich am Morgen zu wecken), wollte ich mich nicht als verloren bezeichnen. Dafür hatte das Leben einfach zu viel zu bieten.
Also zog ich los in die nächste Kneipe. Der Abend verlief schleppend. Ich konnte mein Bier nicht richtig genießen, da ich bei jedem Schluck nachrechnete, wie lange ich bei meiner neuen Haushaltslage den angebrochenen Abend noch gestalten konnte.
Als ich zwischen zwei Rechnungen überlegte, wo ich einen neuen Job finden könnte, damit ich mir diese lästige Rechnerei ersparte, setzte sich eine Gestalt zu mir und sah mich mit eindringlichem Blick an. Er war schon älter, und sein wehender weißer Bart ließ erahnen, dass der Weg aus den Bergen weit gewesen war.
Ich wollte mir jetzt kein Tor in eine neue Welt öffnen und hoffte auch nicht, dass mir dieser Typ einen bezahlten Job besorgen würde. Aber da war etwas in seiner Aura, das mich davon abhielt, mich von ihm abzuwenden.
Ob ich glücklich werden wollte, fragte er mich mit einer Stimme, die mir das Glück zu garantieren schien, würde ich nur ‚ja’ sagen. Mein Erfahrungsschatz riet mir von einem Gespräch ab. Aber da war es wieder, das Gefühl, dass hinter diesem Mann mehr steckte, als die meisten anderen vorgaben. So begann er zu erzählen.
Mindestens seine halbe Biografie hatte ich zu hören bekommen, aber die Botschaft für ein glückliches Leben hatte sich mir nicht entschlüsselt. Ich gab ihm zu verstehen, dass sich mein Bier dem Ende neigte und ich den Abend bald beenden müsste, falls er mich nicht zum nächsten Drink einlud.
Einen kurzen Moment hielt er nachdenklich inne, dann tätschelte er meine Hand und sagte: „Siehst du, du mühst dich schon wieder. Man muss die Dinge auf sich zukommen lassen, dann erledigen sie sich meistens wie von selbst.“
Das beantwortete mir nicht die Frage, ob ich noch ein Bier trinken konnte, aber der Mann hatte wohl Mitleid mit mir und eröffnete mir jetzt doch seine Lebensphilosophie. Er vertrat die Meinung, dass man nur Dinge tun sollte, die einem keine Mühe und Anstrengung abverlangten. Das Lustprinzip wäre damit garantiert, und den unangenehmen Dingen würde ich so automatisch aus dem Wege gehen. Er garantierte mir, dass mich das Leben mit seinen Problemen dann verschonen und ich ein glücklicherer Mensch werden würde.
Geld, um mich für die zweite Hälfte seiner Biografie auszuhalten, hatte er auch nicht. Also ging ich nach Hause. Der Weg durch die Nacht war ruhig, und ich dachte weiter über die gerade gehörte Lebensphilosophie des Lustprinzips nach. Theoretisch dürfte ich mich dann nicht mehr beim Jobcenter sehen lassen. Die haben mir noch nie einen Job angeboten, der auch nur vom Ansatz her interessant gewesen wäre.
So gesehen war es also Glück, dass mich die wirtschaftliche Misere im Land vor einem schlechten, unterbezahlten Job schützte. Das wiederum hielt mich zwar davon ab, meinen Trieben und Gelüsten eine aktive Befriedigung zu verschaffen, aber immerhin hatte ich eine Wohnung, in der ich mich gerne aufhielt, und der fehlende Mann garantierte mir einen harmonisch-ruhigen und übersichtlichen Haushalt. Dank der Philosophie des Lustprinzips konnte ich mich also als glücklichen Menschen einschätzen.
Erst ein paar Tage später fiel mir auf, dass sich der Abwasch schon wieder zu einem ansehnlichen Berg angehäuft hatte und darauf wartete, für einen weiteren Küchenkreislauf regeneriert zu werden. Dieser Zustand erfüllte mich mit Unbehagen, und mir war sofort klar, dass diese häusliche Arbeit mein Lustprinzip empfindlich störte. Nach einigen Überlegungen kam ich zu dem Schluss, dass eine Spülmaschine einen großen Beitrag leisten könnte, meine lustvolle Erleuchtung wiederzufinden.
Ich studierte den Kleinanzeigenteil in der BZ. Und obwohl mich das Lustprinzip nicht einmal eine gebrauchte Spülmaschine käuflich erwerben ließ, wusste ich, was zu tun war.
Alles lief nach Plan, und ein paar Tage später war ich Putzfrau bei Familie Müller in Dahlem. Es war keine Arbeit, die mich meiner Erleuchtung hätte näher bringen können. Der Job war aber halbwegs gut bezahlt, da Familie Müller meine Tätigkeit nicht dem Finanzamt melden musste.
Eine stolze, wohlgenährte Frau empfing mich. Durch eine geringschätzige Musterung vom Kopf bis zu den Schuhen gab sie mir zu verstehen, dass sie die Herrin des Hauses sei. Ich wollte ihr diese Position nicht streitig machen und betonte bei meiner Vorstellung nicht, dass ich nur an der hauswirtschaftlichen Arbeit, nicht aber an etwaigen erotischen Dienstleistungen interessiert sei. Dafür erkundigte ich mich sofort nach der Küche, die, wie ich annahm, den größten Teil des von mir zu verwaltenden Terrains einnehmen sollte.
Nicht ohne Stolz zeigte mir die Hausherrin den gesuchten Raum, erklärte mir aber, dass ich nicht zum Kochen, sondern zum Putzen angestellt worden sei. Das eben Gehörte brachte mich einem Schwächeanfall nahe, denn mit der Umsetzung des Lustprinzips hatte das bei der Größe des Hauses so gar nichts mehr zu tun. Aber dann sah ich sie.
Still stand sie da, aufgereiht im Küchenmobiliar und mit aufgerissenem Schlund: meine Spülmaschine. Eine echte Bauknecht neueren Baujahres mit mindestens sieben Programmen.
Sie nahm mich sofort gefangen. Ich begann, das umherstehende Geschirr einzuräumen. Andächtig lauschte ich dem Rauschen des Wassers, nachdem ich ihr mit freundlich stupsendem Finger ein leises surrendes Leben eingehaucht hatte. Frau Müller stand am Eingang der Küche und sah mir irritiert zu. Der Wasserstrahl in der Spülmaschine legte eine Pause ein, und mit einem frisch belebten Lächeln erklärte ich Frau Müller, dass ich jetzt bereit wäre, mich um den Rest des Hauses zu kümmern.
Frau Müller war über so viel Engagement sprachlos, ließ mich aber auch nicht aus den Augen, nachdem sie mich in den zu erledigenden Arbeiten unterwiesen hatte. Einen kurzen Moment wägte ich noch einmal ab, ob der anstehende Aufwand im Einklang mit dem erstrebten Lohn stand. Da Frau Müller aber nicht nur von ihrem Aussehen her einen soliden Eindruck machte, war die Unordnung im Haus übersichtlich angeordnet − und ich fing mit meiner Arbeit an.
Zuerst machte ich die Betten. Frau Müller − mit ihrem wachenden Argusauge − bemängelte eine Delle an der Kante des Bettes. Sie wartete aber nicht, bis ich den Fehler behob, sondern verbesserte mein Werk selbst. Ich ließ sie gewähren und wandte mich dem Bad zu. Dort war mir die Anordnung der Handtücher nicht ganz klar; und bevor es wieder zu einer Bemängelung meiner Arbeit kam, fragte ich lieber gleich, wie sich die Herrin des Hauses die Details der Innenausstattung wünschte.
Sie schien von der Frage zunächst überfordert, arrangierte die Wasser aufsaugenden Stoffstreifen dann aber so, dass sie weder vom Waschbecken noch von der Wanne her zu erreichen waren. Vorsichtig erkundigte ich mich, wer denn bisher für die Ordnung und Sauberkeit verantwortlich gewesen sei. Bei ihrer Kontrollwut hätte es mich nicht gewundert, wenn die Putzfrauen sich bei ihr die Klinke in die Hand gegeben hätten.
Zu meinem Erstaunen gab sie mir aber zu verstehen, dass sie bisher das Haus geputzt und gewienert hatte. Ich verstand sofort, dass es ihr schwerfiel, diese Verantwortung abzugeben, und fragte besorgt, ob sie denn krank sei und deshalb diese Aufgabe jemand anderem übertragen müsse. Frau Müller war gerührt von meinem Einfühlungsvermögen. Mit einer Stimme, die mich durch das bloße Zuhören zur Mittäterin machte, gestand sie mir, dass sie das alles nur tat, um ihre Ehe zu retten.
Ich verstand die Dramatik der Situation. Und da wir uns gerade in der Nähe des Sofas befanden, nahm ich sie am Arm, und wir setzten uns, während ich ihr mitteilte, dass sie mir lieber von diesen Problemen berichten solle, da sie beim Putzen wirklich bessere Arbeit abliefere als ich. Frau Müller kamen vor Rührung die Tränen. Unter Schluchzen und Schniefen erzählte sie mir, dass sie mich extra dafür engagiert hatte, die Ordnung nicht perfekt werden zu lassen, damit ihr Mann erkennen konnte, welch eine fürsorgliche Sicherheit er mit ihr verlieren würde.
Die Anstrengungen meiner Mission hatten damit ein jähes Ende gefunden, und während ich uns aus dem Kühlschrank etwas zu trinken holte, weihte ich Frau Müller in die Lehren des Lustprinzips ein. Ungläubig hörte Frau Müller zu, aber ich überzeugte sie davon, dass sie bei weitem noch andere Qualitäten besaß als die hausfraulichen des Putzens.
So fanden wir dann auch bald Frau Müllers Quelle des Wirkens und Seins. Und mit wiedergefundenem Selbstbewusstsein erzählte sie mir von einer ökologischen Gemeinde, die sich für eine naturbelassene Gartengestaltung engagierte. Das Ziel des Vereins war ehrenwert. Es durften keine Pestizide, keine leichtlöslichen Mineraldünger und keine Torferde im privaten Naturgehege verwendet werden. Dann erfüllte man die Kriterien, um Mitglied in diesem Verein zu werden. Während sie mir erklärte, welchen verkannten Anteil diese Arbeit am Umweltschutz hatte, fiel mir auf, dass Frau Müller der Erfüllung ihres Lustprinzips eigentlich schon ziemlich nah war, und ich beschloss, zum Angriff überzugehen.
Ich bestärkte sie darin, diese verantwortungsvolle Aufgabe auszubauen und sie zu ihrer Mission zu machen. Ich garantierte ihr, dass sie auf diese Weise den Problemen ihrer Ehe aus dem Weg gehen könnte, und versicherte ihr, dass ihr Mann sein Interesse an ihr wiederfände, würde diese Aufgabe erst einmal ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber, setzte ich freundschaftlich hinzu, es wäre doch nicht schlecht, den Umweltschutz auch innerhalb des Hauses zu beachten.
Erstaunt erklärte mir Frau Müller, dass sie nur Ökoputzmittel verwende − und den Müll trenne sie auch. Ich erklärte ihr ohne Umschweife, dass das wohl alles richtig sei, aber ihre Spülmaschine wäre ökologisch betrachtet überhaupt nicht auf dem neuesten Stand. Andächtig meiner Rede lauschend gab sie mir Recht, dass die Maschine doch ein recht großer Strom- und Wasserfresser war, und mühte sich um Verständnis, als ich ihr erklärte, dass man bei solch eintönigen Arbeiten wie dem Spülen mit der Hand meditativ wirken und etwas für seine Spiritualität tun könne. Als ich Frau Müller dann den Platzvorteil in der Küche zeigte, den sie ohne Spülmaschine haben würde, kam ich nicht mehr dazu, ihr zu erklären, was man mit diesem Platz so alles machen könnte.
Wie angewurzelt standen wir am Eingang der Küche und schauten in einen Raum, der im Seifenschaum versunken war. Ich vergewisserte mich kurz, ob Frau Müller die Kräfte auch nicht verließen. Aber mit gefasstem Blick wusste sie, dass es die Spülmaschine war, die mit einem unerwarteten Eigenleben brillierte. Mit entschiedener Stimme bat sie mich, die Maschine zu entsorgen, am besten heute noch. Ich ging das Auto holen.
Nachdem wir den Automaten im Kofferraum verstaut hatten, versicherte Frau Müller mir, während sie mir meinen Lohn und ein Entsorgungsgeld für die Spülmaschine übergab, dass ich nicht wiederkommen müsste. In Zukunft würde sie sich wieder selbst um ihren Haushalt kümmern und ihrem Ehrenamt eine neue Bedeutung geben.
Ich wünschte Frau Müller, dass sie mit ihrem ökologischen Geist die Lehre des Lustprinzips weiter befolgen könne. Deswegen erwähnte ich auch nicht, dass ich der Spülmaschine eine Überdosis Reinigungstabs verpasst hatte. Zu leicht hätte diese Nachricht Frau Müllers ökologisches Bewusstsein belasten können. Zufrieden nahmen wir voneinander Abschied, und ich fuhr in die ein Stückchen näher gerückte Zukunft meines Lustprinzips.

Veröffentlicht / Quelle: 
So kann's gehen Teil1 ebook

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