" Ja, weißt du, Sophie, was soll ich dazu sagen?" Die mittlerweile hochbetagte Nachbarin, ich kenne sie seit meiner Kindheit, blickt mich fest an. " Auch nach über siebzig Jahren ist es so, die Heimat ist die Heimat. Wir mussten damals fliehen, meine Eltern, die Geschwister und ich. Über vieles aus dieser schweren Zeit möchte ich heute nicht mehr sprechen, doch wir haben es überstanden. Die Pferde habe ich an den Abenden in fremde Scheunen geführt, wo uns ihr dampfender Atem wärmte. Den spüre ich noch heute."
Ihre wachen klaren Augen leuchten auf bei dieser Erinnerung und ich kann sie mir gut vorstellen, das junge Mädchen von einst wird spürbar, ungebrochener Lebenswille, den grausamen Umständen trotzend, ihnen Mut und Tapferkeit entgegensetzend. Ihre Hände, mittlerweile wie beschützt von der Pergamenthaut des Alters, scheinbar so zart, ruhen auf dem blütenweißen Damasttischtuch neben der Kaffeetasse. Die blauen Adern auf dem Handrücken, diese unerschütterlichen Flüsse des Lebens - erzählen Geschichten.
" Ach, wie interessant", antwortet sie freudig auf meine Neuigkeiten, " dein Kollege ist mittlerweile Bürgermeister geworden in der Stadt nahe meinem ehemaligen Heimatdorf. Sieh mal an, so spielt das Leben. Ich bin hier, habe ein Zuhause, vielleicht sogar eine neue Heimat gefunden, und andere können nun in Friedenszeiten dahin gehen, von wo wir einst fliehen mussten."
Die gemütliche Kaffeerunde nimmt ihren Lauf, ein munterer Austausch von Alltäglichkeiten. Man erfreut sich am Zusammensein in vertrauter Runde und im aufsteigenden Dampf des frisch nachgeschenkten Kaffees treffen sich unsere Blicke.
Die Heimat ist die Heimat

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