Von Augen und Menschen

Bild von Sabine Krell
Bibliothek

Auf dem Weg zum Zeltcafé werfe ich einen Blick in das Bücherregal auf dem Glemsbalkon. Ein netter Herr sortiert gerade mit gebücktem Rücken, was wir so hineingelegt haben, wir Ditzinger und Angeheiratete, wie ich heute erfahren habe, und zwar vom schnöden Simmel über die Klassiker von Dan Brown bis hin zur Literatur übers Heimwerken, na ja, wer’s mag…
Alles werde hier reingelegt, und man wundere sich, was mitgenommen werde, sagt der nette Herr. Ich erzähle ihm von einer Arbeit über die Frauenbilder in den Romanen von Hedwig Courths-Mahler, und dass darin der Mann immer das Mädchen heirate, während sich die autarke, selbstbestimmte Frau entweder als Spionin oder sonstwie böse entpuppt.
Dieses Bild sei heute auch noch weit verbreitet, sagt der Herr. Ich habe nicht nach seinem Namen gefragt, mea culpa (er aber auch nicht nach meinem), denn mein Blick fiel just auf den „weißen Hai“, und ich fragte mich, wie der Autor diese Fetzerszenen wohl umgesetzt hat.
„Nehmen Sie ruhig Einiges mit“, sagt der Herr, „in den Sommerferien wird nicht so viel geholt.“

Er setzt sich neben mich, sein Rücken täte ihm weh, so in dieser Haltung. Er ist echt ziemlich nett. Und plötzlich steht Dalle vor mir – sein richtiger Name fällt mir nicht mehr ein, grinst mich an, dich kenn ich doch. Eine Jugendbekanntschaft. Er und seine Frau bringen Bücher von ihrer Mutter und ihrer Schwester mit – zum Beispiel „Die Hexe“ von Wolfgang Lohmeyer. Hat man auch schon mal gehört. Ich schnappe es mir, weil der nette Herr erzählt, dass das ein historischer Roman sei. Hab ich mir schon gedacht. Aber aus berufenem Munde hört sich das ganz anders an. Er ist nämlich einer der Ehrenamtlichen, die hier Ordnung halten.
Ein Blick auf meine Schätze. Das tote schwarze Auge auf dem Cover des weißen Hais. Oft stehen verfilmte Titel hier. Karl May zur Stunde auch, zweites Regal von oben. Wir unterhalten uns darüber, dass man gute Bücher mehrfach lesen kann und dass sie einen jedesmal anders berühren. Manche finde man auch fade mit den Jahren. Da zeige sich, dass man gereift ist.

Der Herr verabschiedet sich und wünscht mir frohes Stöbern, eine Aufforderung, der ich gerne nachkomme. Da entdecke ich einen schönen schwarzen Buchrücken mit roter Hochglanzbeschichtung. Rätsel der Menschheit, Gottgütiger, ich kann ja nicht einmal mein eigenes Leben enträtseln. Ein Kapitel heißt „Die Alchimie“, da ist es um mich geschehen. Ich werde es in der Hand tragen müssen, in meinem Minirucksack sind bereits Handy und Geldbeutel, sowieso ist das Format zu groß. Riesig. Und schwer, das Buch.
„Das hier ist eine Bücherwürmin“, sagt ein älterer Herr, der soeben mit seiner Frau eintrifft. Er setzt sich neben mich, sie bleibt stehen, und wir unterhalten uns über das volle Regal und darüber, dass im Sommer wenig los ist hier. Kann ich nicht behaupten - bei drei Gesprächen mit fünf netten Leuten in einer Viertelstunde. Seine Augen seien so schlecht geworden und die Buchstaben immer so klein, erzählt der Herr. Er würde gerne mehr lesen.

Ein weißer Hund mit einem großen schwarzen Fleck um das linke Auge kommt vorbei – ein Anblick, der mich amüsiert. Der Herr neben mir steht auf, weil seine Frau sich anschickt weiterzugehen.
„Bleib doch noch und ruh dich aus, ich geh schon mal vor“, sagt sie.
„Nein, ich möchte doch mit dir gehen“, sagt er, mit Betonung auf „mit dir“.
In solchen Momenten überlege ich mir, dass es richtig ist, nicht nur die Bücher, sondern auch die Menschen zu lieben, wenngleich beides – je nach Exemplar - manchmal schwer ist, keine Frage.

Als ich mich zum Gehen entschließe, sehe ich noch ein kleines, klobiges Buch mit der Aufschrift „Mexikanische Küche“, weshalb ich mich seit heute glückliche Besitzerin eines Salsarezeptes nennen darf, und siehe da, echte Salsa sieht so ganz anders aus als die in den Gläsern im Supermarkt. Mmmmmh.

Beim Zuschieben des Glasfensters treten zwei Männer ans Regal, einer beginnt zu stöbern. Ich jetzt aber wirklich weiter zum Zeltcafé, man will ja auch mal ankommen. Wie immer amüsiere ich mich über den Pfandchip mit dem Blinzel-Hologramm, den man mir zu meiner Flasche Radler reicht. Das dritte auffällige Auge heute. Das fällt mir aber erst jetzt beim Schreiben auf.

Und noch etwas: Der nette Herr hat mir erzählt, dass das Interesse an wissenschaftlicher und anderer Fachliteratur groß sei. Das ist gut. Denn Belletristik habe ich nur wenig zu bieten – die sammle ich ja selber – in Erwartung eines halbwegs vollständigen Kanons der Klassiker (meiner selbst definierten, wohlgemerkt), die ich mir einst als Rentnerin auf meiner Chaiselongue genehmigen werde.
„Das können Sie vergessen“, sagte der Herr. „Ich hatte das auch gedacht. Aber wenn es dann soweit ist, haben Sie dazu keine Zeit mehr.“
Oder schlechte Augen. Womit wir wieder bei den Augen wären, die jetzt die Überschrift dieses Beitrags zieren. Dabei hatte ich mir extra als Blickfang das schöne Wort „Glemsbalkonsommersonntagnachmittagsgepräche“ ausgedacht. Wer’s fehlerfrei aussprechen kann, bekommt ein Buch umsonst, alle anderen ebenfalls. Solange der Vorrat reicht.

Der Ditzinger (bei Stuttgart) Glemsbalkon ist bei jedem Wetter rund um die Uhr geöffnet und befindet sich zwischen der Glemsbrücke Bauernstraße und der Fußgängerbrücke zum Schulzentrum Glemsaue

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Kommentare

13. Dez 2018

Schade, dass Ditzingen so weit...
LG haben es auch so weit, aber sind dir schnell nah.
Uwe