Die 1.000.000 Pfundnote - Page 6

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wo er die meinige fassen und freundschaftlich schütteln wollte, stockte er plötzlich und sagte mit verlegener Miene:

»Ich bitte sehr um Vergebung, ich glaubte Sie zu kennen.«

»Nun, du kennst mich auch, alter Junge.«

»Nein! Bist du der – das –«

»Das große Westentaschentier? Jawohl, gewiß. Du darfst mich getrost bei meinem Spottnamen nennen, ich bin schon daran gewöhnt.«

»Na, na, na, diese Überraschung! Ein oder zweimal war mir dein Name in Verbindung mit dieser Bezeichnung zu Gesicht gekommen, aber es kam mir nie dabei in den Sinn, daß du der fragliche Henry Adams sein könntest. Es ist doch noch kein halbes Jahr her, daß du in San Francisco auf Hopkins Kontor gebüffelt und, um dir einen Nebenverdienst zu verschaffen, ganze Nächte lang mit mir an der Ordnung und Richtigstellung der Bücher und Geschäftsberichte der Gould- und Curry-Extension-Gruben gearbeitet hast. Und jetzt soll ich mir vorstellen, daß du hier in London als vielfacher Millionär und kolossale Berühmtheit herumläufst! Es ist ja das reinste Märchen aus Tausend und eine Nacht. Mensch, ich kann es gar nicht fassen, nicht begreifen – laß mich nur erst wieder etwas zu mir kommen.«

»Wahrhaftig, Lloyd, es geht mir kein Haar besser als dir. Es ist mir selbst unfaßlich.«

»Bei Gott, wirklich ganz unerhört! Heute ist es gerade drei Monate her, daß wir zusammen nach dem Miners-Restaurant gingen.«

»Nein, nach dem What-Cheer.«

»Richtig, jawohl, nach dem What-Cheer. Da ließen wir uns um zwei Uhr morgens ein Kotelett und eine Tasse Kaffee geben, nachdem wir sechs Stunden zusammen über den Büchern der Extension geschwitzt hatten. Damals wollte ich dich überreden, mit mir nach London zu kommen und machte mich verbindlich, dir Urlaub auszuwirken und dich völlig frei zu halten, versprach dir auch noch etwas extra für den Fall, daß es mir gelänge, die Kuxe an den Mann zu bringen. Aber da wolltest du nichts von der Sache wissen. Du meintest, dabei komme doch nichts heraus, und du konntest doch nicht aufs Ungewisse deine ganze Stellung aufgeben, um dann vielleicht nach Jahr und Tag wieder von vorne anfangen zu müssen. Und nun bist du doch hier. Welch eine merkwürdige Geschichte ist das doch! Was hat dich denn hierher verschlagen, und wodurch in aller Welt hast du dich so kolossal herausgebracht?«

»Ach, das kam ganz zufällig. Es ist eine lange Geschichte – ein ganzer Roman kann man sagen. Ich erzähle dir alles, aber nicht jetzt.«

»Wann denn?«

»Ende dieses Monats.«

»Das sind ja noch über vierzehn Tage. Das heißt doch der menschlichen Neugierde zuviel zumuten. Sage lieber, in einer Woche.«

»Das geht nicht. Den Grund wirst du schon noch erfahren. Nun, wie steht es denn mit den Geschäften?«

Mit einem Male war der heitere Ausdruck in seinen Mienen wie weggeblasen, und mit einem Seufzer erwiderte er: »Du hattest ganz recht mit deiner Prophezeiung, ganz recht. Wäre ich doch nicht hierher gekommen. Ich mag gar nicht davon reden.«

»Doch, doch. Wenn wir hier fertig sind, mußt du mit mir nach Hause kommen und mir alles erzählen.«

»Wie, darf ich? Ist das dein Ernst?« Dabei wurden ihm die Augen feucht.

»Jawohl, ich will die ganze Geschichte hören, Wort für Wort.«

»Ach, wie beglückt bin ich, daß ich endlich wieder bei einem menschlichen Wesen in Blick und Wort einem Interesse für meine Angelegenheiten begegnen darf nach allem, was ich durchgemacht habe. Lieber Gott! Auf den Knien möchte ich dir dafür danken!«

Mit einem warmen Druck meiner Hand sprang er auf und sah in fröhlichster Stimmung der Mahlzeit entgegen – aus der jedoch nichts wurde. Nein, es ging wie es stets geht bei der verkehrten, widerwärtigen englischen Sitte – man war nicht imstande, sich über die Rangordnung zu einigen und so gab es keine Mahlzeit. Wenn ein Engländer zum Diner eingeladen wird, so ißt er sich jedesmal vorher zu Hause satt, ein Fremder dagegen, der von keiner Seite gewarnt wird, geht ahnungslos in die Falle. Diesmal freilich kam niemand zu Schaden, wir hatten alle bereits zu Hause gespeist, dem einzigen Neuling unter uns, Hastings, hatte der Gesandte gleich bei der Einladung gesagt, daß er getreu dem Landesbrauche für ein Gastmahl keine Vorsorge habe treffen lassen. Trotzdem setzte man sich nun, um den Schein zu wahren, ein jeder Herr mit einer Dame am Arm, nach dem Speisesaal in Bewegung; allein dabei ging der Streit bereits an. Der Herzog beanspruchte den Vortritt sowie den Platz oben an der Tafel, indem er einem Gesandten, der nur ein Volk, nicht einen Monarchen vertrete, an Rang vorgehe. Demgegenüber machte ich meine Rechte geltend, ohne einen Fußbreit nachzugeben. Die Zeitungen wiesen mir im Personalbericht den Platz vor allen Herzögen an, die nicht dem königlichen Hause angehörten, demnach sei es ganz in der Ordnung, daß mir vor diesem Herzog der Vorrang gebühre. Mit allem Hin- und Herreden, worin wir unser Möglichstes leisteten, kam die Sache natürlich nicht zum Austrag. Endlich war mein Gegner so unbedachtsam, Geburt und Ahnen ins Feld zu führen; da übertrumpfte ich ihn jedoch mit dem Hinweis darauf, daß ich, wie schon mein Name zeigt, in gerader Linie von Adam abstamme, während aus dem seinigen zusammen mit seiner normannischen Abkunft klar hervorgehe, daß er nur in der Seitenlinie mit dem Stammvater des Menschengeschlechts verwandt sei. So bewegte sich denn der Zug nach dem Salon zurück, wo wir gruppenweise herumstehend eine bescheidene Erfrischung – bestehend in einem Teller voll Sardinen und ein paar Erdbeeren – einnahmen. Dabei wurde es mit der Heiligkeit der Rangordnung etwas weniger streng genommen; die beiden Höchststehenden losten miteinander, indem sie ein Geldstück in die Luft warfen. Der Gewinner machte sich darauf zuerst über seine Erdbeeren her, wahrend der Verlierende den Schilling einsteckte. So ging es dann weiter bei allen nach der Reihe. Nach der Erfrischung brachte man Spieltische und wir spielten sämtlich Cribbage, um sechs Pence die Partie. In England spielt man nämlich niemals zum bloßen Vergnügen. Man will durchaus gewinnen oder verlieren – ob das eine oder das andere, ist gleichgültig – außerdem verzichtet man lieber ganz.

Der Abend verfloß allerliebst, wenigstens uns beiden, Miß Langham und mir. Ich war so bezaubert von dem holden Geschöpf, daß ich nicht imstande war, meine Trümpfe zu zählen, wenn es über zwei Sequenzen hinausging; und wenn

Veröffentlicht / Quelle: 
Mark Twain, Die 1.000.000 Pfundnote und andere humoristische Erzählungen und Skizzen, Max Hesse Verlag, Leipzig

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