Schnicksenpogo

Bild von Ria Klug
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Es ist doch wirklich zum Heulen. Nie checke ich rechtzeitig, wenn die Heinis von der Gewerbeaufsicht aufkreuzen. 
Mit einem Satz auf die glitschige Mülltonne und dann über die Mauer in den zweiten Hof, ohne Jacke, ohne Tasche, noch nicht mal ordentliche Schuhe an. Natürlich schlag ich mir  das Schienbein an. Verdammte Pest.
Wenn es wenigstens ein warmer April wäre. Stattdessen friere ich mir hier den Arsch ab und es könnte jederzeit wieder anfangen zu schütten.
Wohin hat sich Naila bloß verkrochen? Sie arbeitet auch ohne Papiere. Vielleicht hat sie den Warnruf nicht mitbekommen, sie spricht ja kaum Deutsch. Wenn sie sich nicht irgendwo verstecken konnte, ist sie einkassiert worden. Dann kriegen die Tom auch an den Eiern, aber für Naila geht das schlechter aus. Die wird bestimmt verknackt und nach Pakistan abgeschoben. 
Ein ekelhafter Pissegestank ist das hier, aber ich traue mich nicht aus der dunklen Ecke raus.
Garantiert will mir Tom nachher wieder die Zeit, die ich hier vor mich hin schlottere, von der Gage abziehen.
Tom ist ein verdammter Geizkragen. Was der alles anstellt, damit er mit möglichst wenig Aufwand den Fraß für seine Gäste zusammen pantschen kann, ist Legende. Eines Abends finde ich ihn sicher erstickt an einem seiner Gammelfleisch–Chilis vor, das ihm von brechdurchfallgeplagten Gästen in den Hals gestopft wurde.
Ich hätte kein Mitleid mit ihm, für den Fünfer Stundenlohn, den er mir für die Sklavenarbeit in seinem Fettloch von Küche zahlt, kann ich mir das nicht leisten.
Aber was soll ich machen, immerhin ist es der Job, den ich dringend brauche, schwarz und cash. Das Arbeitsamt hat mir den Geldhahn abgedreht, weil ich mich ohne Abmelden für vier Wochen nach Übersee verdrückt hatte. Nach allem, was dort passierte, bin ich gerade eben noch um die U-Haft drumrum gekommen. Mein Anwalt meinte, ich sollte die nächste Zeit nicht mehr unangenehm auffallen, sonst fahre ich sicher ein.
Bis dann das Ermittlungsverfahren mit den Zeugen und den Unterlagen aus Brasilien über die Bühne sei, wäre ich in der Zelle verschimmelt.
Toms krächzende Säuferstimme schallt über die Mauer:
»Nel, komm rüber, die sin wech, hörste?«
Tom befürchtet, ich schieb hiern ruhigen Lenz und das Gesindel in seiner Spelunke muss vergeblich auf sein Fressi warten. Im Grunde gehts mir gegen den Strich bei diesem Beschiss mitzumachen. Ich bin sicher keine Heilige, aber das ist ne Nummer zu hart und wenn ich dabei erwischt werde, bin ich doppelt dran.
Für den Rückweg zur Arbeit nehme ich die Seniorenvariante, durch die Durchgänge auf die Straße und über den Vordereingang wieder ins Dungeon. Wer rein will, muss klingeln und kriegt eine Tagesmitgliedschaft. Das Dungeon ist nämlich keine Kneipe, sondern eine Art Klub.
Drinnen ist es so finster wie im Elefantenarsch. Das liegt hauptsächlich an der Unmenge schwarzer Farbe, mit der hier alles, was sich nicht wehren konnte, angeschmiert ist. Mit den ganzen Eisengittern, Ketten, Haken und Ösen könnte man einen Schrottler glücklich machen. So was wird für einen SM–Club als passend empfunden, ist aber neben der sparsamen Beleuchtung und den bescheuerten Feen–in–Bondage–Bildern nichts als Heterophantasielosigkeit. Das gilt auch für die komische Musik, die hier immerzu leiert und die Aufmachung der Gäste, an denen ich mich vorbei drängeln muss. Kerle in schwarzen Lederhosen und schwarzem Rüschenhemd, die Tussen in Korsetts, Halterlosen, Netzgedöns, auch alles in Schwarz, die Arschbacken hängen traurig links und rechts vom String herunter. Selten sehen mal welche anders aus und noch seltener lassen sich die Typen von ihren Frauen öffentlich versohlen. Das bringen die einfach nicht, obwohl sie danach sabbern.
»Mach hinne, ik brauch fünf Chilis, dreimal Käsenachos, dreimal Börja mit Pommes.«
Tom wedelt mit einem Zettel rum, so gut es beim Zapfen geht. Er hat wie immer eine Kippe im Mundwinkel, beim Sprechen verstreut er Asche auf alles in seiner Reichweite.
Er sieht aus wie ein versoffener Bestattungsunternehmer, mit diesem dämlichen Zylinder, den er nie abnimmt. Niemand soll seine Halbglatze sehen, vor allem die jungen Hüpfer nicht, die er zu seiner Leibspeise erkoren hat. Könnte ja seine Chancen schmälern. Er schleppt ständig welche ab, weiß der Himmel, wie er das schafft. Noch nicht mal mit der Kneifzange würde ich diese schwammige Made anpacken. Für ihn zu arbeiten ist schon schlimm genug. Gut, ich stehe sowieso auf Frauen, also bin ich kein Maßstab.
»Wattn mit dir, brauchstn Arschtritt? Hast nu jenuch Pause jemacht.«
»Jaja, ist ja gut.«
Ich drücke mich an ihm vorbei und mache mich an die Arbeit. Naila kratzt schon wieder Teller ab.
»Wo hast du gesteckt oder haben die dich erwischt?«
Sie grinst mich an. Dazu muss sie den Kopf in den Nacken legen, ihre Nase reicht gerade bis zu meinem Brustbein.
»Ich in Schrank.«
»Wo? Hier ist doch nirgends Platz.«
»Bei Theke.«
Sie zeigt in Richtung Tür. Vielleicht hat ihr Tom dort ein Fach freigeräumt. Käfighaltung sieht ihm ähnlich.
»Nel, wo bleibt dit Essen? Mach hinne.«
»Essen? Hier ist der Kleister.«
»Quatsch nich so vülle, jib her.«
Irgendwann klatsch ich ihm den Chilitopf in die Fresse, wenn er sie in die Durchreiche steckt. Ich schiebe ihm die fünf Teller hin und schmeiße noch schnell ein paar Brotscheiben in die Körbchen. Dafür kriegen wir eine frische Ladung abgeschlabbertes Geschirr.
»Nachos«, rufe ich raus und knalle die Schalen hin. Mein T– Shirt klebt wieder am Rücken, zwischen meinen Brüsten kitzeln die Schweißtropfen.
Erst gegen eins wird es in der Küche ruhiger und wir können einen Gang zurück schalten. Ich trockne meine Hände ab und stelle mich hinter die Theke, wo ich mir ein Bier zapfe. An den Tischen ist kaum noch was los, aber der Laden ist verwinkelt, dazu gibt es noch Räume im Keller. Sicher stecken überall noch welche, die sich den Rest geben. Swantje kommt mit ihrem Tablett. Das ist das Einzige an ihr, wodurch sie sich von den Gästen unterscheidet. Außer vielleicht noch ihre jugendliche Knackigkeit. Immer wenn sie in Sichtweite kommt, stiert Tom auf ihre Busenkonsole, die von der Corsage hübsch inszeniert wird. Anschließend macht er Größenvergleiche zwischen ihr und mir. 
»Zwei Wasser, dreimal Apfelschorle, alles groß, Weißwein, zwei kleine Pils und einmal Feierabend bitte«, sagt sie

Veröffentlicht / Quelle: 
Schnicksenpogo [Broschiert]; Fhl Verlag Leipzig; Auflage: 1 (13. Januar 2012)

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