Helle Eiche

Bild von Susanne Georgi
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Kahl steht sie in kurzen Tagen und langen, langen Nächten

an Zweigen
in eisigem Regen
in gläsernem Eis
unter köstlichem Schnee
winzige Knospen
dunkel

Weht es linder
spürt sie die Sonne
vernimmt sie die Vögel
dehnt Wasser sich und steigt hinauf
in die Zweige
strömt zu den Knospen
die öffnen sich
dem Licht

Nach der Idee ihrer Gestalt
ihrer ersten Zelle Plan

wachsen und teilen sich
wachsen und teilen sich
wachsen und teilen sich

und wachsen
Zellen um Zellen

Aus Luft, Licht und Wasser
bildet sie
wässrig und winzig
Atemporen
Adern
Stengel
Blättchen
noch gefaltet

Die wachsen hell von selbst
entfalten taumelnd sich zum Licht
atmen und trinken
im Sommer
den Tau, den Regen, die Luft
und etwas Salz der Erde
werden zum Laub
gen Himmel
zum herrlichen Kleid
zur atmenden Gestalt

Blatt wird um Blatt
an Zweigen wie Händen
durch Äste wie Arme
des alten Stammes
aus Wurzeln tief

und mit ihnen
wie Fingern
tastend und empfangend
Licht
von Sonnenfingern
im Spiel des Windes

aus Sonnenlicht meeresgleich zaubernd
von Mondlicht beruhigt
trinkt sie Wasser
atmet was verbrannt
aus dem Wind
und reinigt
und wandelt
in neuen Atem
frisches Holz
grünes Leben
der Welt

Aus Regen und Wind
Sonne und Mond und Sternen
werden
das Blätterzelt
der Äste Himmel
das Rindenkleid
der Stamm
Holz fest und doch weich

Kommen Vögel, Tiere, Menschen zu ihr

Ist es genug
wird kühler der Wind
zieht ihr Grün in die Tiefe
wird gelb Blatt um Blatt
und lässt sie sie los
an ihn
und der Freund trägt sie
bringt zur Erde
den Teppich
zu den Wurzeln
zurück
was da war
vergeht in Licht und Tau
Regen, Eis und Schnee
das Jahreskleid

Groß steht sie in kurzen Tagen und langen, langen Nächten
ruht von
Sonne
Regen
Wind
und träumt
von ihnen

seit 1000 Jahren.

Aber was sind 1000 Jahre im großen Lebensplan?

-
Beim Anblick der 1000-jährigen Ivenacker Eiche bei Stavenhagen
im Mai 2021

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