Als die Götter noch vierbeinige Ameisen waren – 9. Lebensformen

Bild von Alf Glocker
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„Lassen wir es gedeihen!“ Dieser Wahlspruch setzte sich schließlich bei den Göttern durch und durch. Und sie erzitterten in allen Gliedern! Gedanken flogen hin und her. YY-999-ZRG meinte etwas schwarzhumorig: Dann lasst uns einen Alptraum bauen. Und EJKB-000-FS warf ein: Aufschlussreich wird wenigstens alles sein – ich hoffe nur, daß wir uns nicht allzu sehr schuldig machen. Die Stadt am Na – dem größten Fluss des Götterplaneten – ließ durch ihren Botschafter verkünden: Wir sind dabei, können aber nicht unbedingt von Begeisterung sprechen … egal, es ist entschieden!
Und wieder drehte sich das Schöpfungskarussell, in atemberaubender Geschwindigkeit, durch die virtuellen und die reellen Zeitzonen und bald darauf ließ es auch schon wieder erkennen, wozu es imstande war. Würmer und Käfer bevölkerten die Erde, Termiten, Ameisen und Arthropoden stiegen mit auf, konnten jedoch auch diesmal nicht bis zur Spitze durchdringen, denn jetzt waren die Reptilien an der Reihe. Schlangen entwickelten Beine, aber nicht acht oder sechs, sondern nur vier, und schließlich setzten sich Exemplare mit Riesenwuchs durch, die alles Lebendige deutlich dominierten.
Zwischen ihren Beinen wieselten 170 Millionen Jahre lang wenig vielversprechende Lebewesen herum, die genug damit zu tun hatten, den gewaltigen Füßen der Riesen auszuweichen, oder den scharfen Zähnen der kleinen Raptoren zu entkommen. Meistens schafften sie es nicht, denn die anderen waren entweder sehr viel stärker oder sehr viel schneller als sie (ihre Lungen waren nicht dafür geeignet, längere Sprints zu gewährleisten). Ihr Vorteil war lediglich eine enorme Fortpflanzungsrate und ihre Angewohnheit, die Jungen von Unterschlupf zu Unterschlupf transportieren zu wollen.
Die Götter (die einmal vierbeinige Ameisen gewesen waren) beobachteten genau was vor sich ging. Sie bereisten die Zukunft der Saurier und stellten fest, daß sich zu ihren Lebenszeiten nicht nur Kontinente verschoben und sich Gebirge auftürmten und wieder versanken, sondern auch, wie sich aus kleinen Organismen und großen Pflanzen etwas bildete, das später als sogenannte „Bodenschätze“ Verwendung finden würde. Aber von wem stand noch nicht ganz sicher fest. Zweibeinige Laufechsen wurden auf Herz und Nieren geprüft! Man analysierte ihr Schädelvolumen und ihre Nervenverknüpfungen in diesem Steuerappart „Gehirn“, den man gerade eben schon so nennen konnte.
Gegenüber den intelligenten Maschinen der Götter waren diese winzigen „Denkgeräte“ zwar unbedingt „Bio“, aber immer noch reichlich unfähig. Was würde sich daraus machen lassen? Analysen ergaben, daß ihnen praktisch jede Anlage zur Empathie fehlte und sich auch in fernerer Zukunft wohl auch keine herausbilden konnte. Der Denker 33-PLG-13 warf zwar ein, daß der Nestbautrieb doch auch eine Art Empathie-Vermögen darstellte, aber das ließen weder die Gesandten der Städte noch die maßgeblichen Philosophen gelten. Da müsste schon mehr kommen als diese doch (von allen zugegeben) furchterregenden Trampeltiere.
Der Gedanke an einen medizinischen Eingriff kam auf, scheiterte jedoch mehrmals im Hohen Rat, wie auch vor den Denkern, nach Inaugenscheinnahme eines Beispielmodels, das der Imaginationsgenerator hergestellt hatte. Es zeigte ein den Göttern nicht ganz unähnliches Geschöpf, ohne Ohren, mit sehr hoher Stirn und kleiner, ebenmäßiger Nase, sowie großen, dunklen Augen, doch erste Tests mit diesen Prototypen ergaben nur sehr mangelhafte Werte in Sachen Vorstellungskraft. Dafür waren sie mit einem geradezu mörderischen Fortpflanzungsinstinkt ausgestattet.
Auch weitere Versuche mit natürlich gewachsenen Exemplaren ergaben immer dasselbe Bild: Die Echsen ähnelten den Göttern zwar ein ganz klein wenig, schienen aber eben gerade zur Staatenbildung völlig ungeeignet. Die Staatenbildung jedoch ist ein für soziale Gefüge absolut notwendiges Ereignis, solange es nicht von hinterlistigen oder instinktgesteuerten Brachialkreaturen missbraucht werden kann. Der Zentralcomputer fing wieder zu rechnen an und spielte Millionen Szenarien durch, die – genau genommen – immer nur ein Resultat ergaben: Wie es die Götter auch anstellen mochten … ihr Plan, ein auf sich selbst gestütztes Individuum zu erschaffen, welches logisch, gefühlsbetont und phantasievoll agieren wie auch reagieren konnte, war außerhalb jeder Reichweite lebendigen Geistes auf dieser Erde!
Negativ beeindruckt von den Misserfolgen der höchsten aller Wissenschaften (der Kreationsmechanik) wandte sich der Großteil der Denker und Planer von den ursprünglichen Träumen ab. Sie seien einfach zu hochfliegend, meinten die Mitglieder aller beteiligter Gremien, aber einer stimmte dem schon wieder nicht zu. Vordenker 1, VR-00-00-69, machte stichhaltige Einwände geltend: Wenn wir es nicht schaffen, ein solches „Komplettwesen“ zu erzeugen, dann werden wir im Feuer dieses Universums verglühen – auch wenn bis dahin noch Milliarden Jahre vergehen sollten! Also bitte keine Allgemeinplätze wie „Nach uns die Sintflut“. Dafür war die Götterzivilisation dann doch zu hoch entwickelt. Mit dummem Geschwätz würde sie sich nicht zufriedengeben wollen.
„Es gibt, im vorliegenden Fall, nur eine Lösung“, dachte Vordenker 2, VR-DD8C-56 eifrig mit, „wir brauchen einen Himmelskörper mit passender Zerstörungskraft!“
„Richtig“, gab VR-00-00-69 erstaunt zurück, „dann können wir zusätzlich unbemerkt für die späteren Generationen unserer Kinder ans Werk gehen und alles vernichten, was den Auserwählten schaden könnte."
„Dann muss aber auch künstlich verhindert werden, daß sie, bei der Wucht unseres Angriffs, aus Versehen aussterben!“, warfen die Abgesandten der Städte ein. „Fragen wir unsere Techniker, was wir herbeirufen können!“

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Kommentare

05. Sep 2020

Auch ich weich Riesen-Füßen aus -
Sonst kickt mich Krause aus dem Haus ...

LG Axel

05. Sep 2020

Der Zauberlehrling scheint am Werke,
die "Götter", die er rief, ward er nicht mehr los...

LG Monika

05. Sep 2020

...und sie nicht ihn,
Krause hin, Ameisen her...

LG Alf