Die schizo-selige Welt

Bild zeigt Alf Glocker
von Alf Glocker

Man sieht eine Bühne - sie ist riesig! Ihr Vorhang bedeckt die Welt. In ihr gibt es Wirtshäuser, ganz unten, am Boden sind sie verstreut. Die Menschen treffen sich dort, aber ein paar von ihnen sind nackt. Sie sind den Kalkulationen ausgesetzt, welche von den Passanten verbreitet werden, damit die Fahrpläne nicht aus dem Takt geraten. Die Ziel-Taxis in der Luft sehen wie Fische aus. Wenn sie gerufen werden, blinken sie kurz auf und stoßen zu den vermeintlichen Kunden herab. Doch während ihres Rücksturzes zur Erde verwandeln sie sich in grell-orangefarbene Drachen und können somit nicht mehr bestiegen werden. Die Furcht vor ihnen ist einfach zu groß!

Die Nackten versuchen in den Wirtshäusern untereinander zu kommunizieren, aber das Wachpersonal ist aufmerksam. Es hütet den Sklavenmarkt. Dort ist es nicht erlaubt, Tacheles zu reden, denn der riesige Bühnenvorhang deckt, wie frisch gefallener Schnee den ausgestreuten Schmutz gnädig zu. Die Lautsprecheranlagen tun ein Übriges: überall verkünden sie frohe Feste. Doch die Nackten zittern. Sie hören das Gras wachsen und spüren die Kälte, die von hinter dem riesigen Bühnenvorhang in die Landschaft weht. Sie möchten gerne wissen woher er weht – doch sie werden getröstet werden ... die Totengräber haben Hochkonjunktur!

Zwischendurch sieht man rote Gestalten mit Bockshörnern auf dem Kopf und einem langen feurigen Schwanz zwischen den Besuchern des Theaters herumwimmeln. Sie bewegen sich nahe an der Lichtgeschwindigkeit, um nicht gesehen zu werden, aber sie können es sich nicht verkneifen, vereinzelt Menschen anzusprechen. Sie fragen sie nach ihrem Weg und wenn die Menschen sagen „du schickst mich zur Hölle“, dann sind sie hochzufrieden und steigen zum Himmel auf, dorthin, wo die Fischtaxis patrouillieren. Vor den Nackten haben sie Angst. Sie sollen von den Roten verkleidet werden. So steht es in der Verkehrsordnung!

Unbemerkt von allen, außer von den gehörnten Gestalten, erfüllt ein gefährliches Rauschen die dünne Luft über den fernen Bergen. Kinder spüren instinktiv, daß ihre Zeit langsam kommt, die Alten ziehen sich in den Schmollwinkel zurück und Tiere beginnen zu winseln, als stünde ihnen ein Ende bevor – eines mit Schrecken. Schrittweise verändert sich die Surrealität: hämisch grinsende Gesichter sind nun an der Tagesordnung. Die Fahrpläne können plötzlich von allen gelesen werden ... Zeile für Zeile taucht unter den Ausläufern des Bühnenvorhangs auf und dann ist er da: der Tag der Wahrheit. Mit einem Zischen reißt sich der Bühnenvorhang beiseite.

Die bislang vereinzelten Explosionen, die auf den Brettern, die die Welt bedeuten und sich von Horizont zu Horizont spannen, vereinigen sich zu einem gewaltigen Feuerwerk. Aber das Feuerwerk ist kein Lichterzauber am Himmel, sondern es findet auf dem Boden (der Tatsachen ) statt. Die Raketen zerreißen zuerst die Leiber der Nackten, deren Suche nach Hintergründen auf einmal beendet ist, dann kommen die einfachen Bürger an die Reihe – nur die mit Überlichtgeschwindigkeit herum flitzenden Bocksgestalten belieben verschont. Sie gehen jetzt ganz normal schnell zu Werke, um das Spiel zu vollenden.

Ohne Vorhang sieht die Erde nun trostlos aus! Doch immer noch verkünden die Lautsprecher monoton, es seien frohe Feste im Gang und man solle sich kollektiv an den Tänzen beteiligen. Die roten Gestalten mit den langen Schwänzen seien in Wirklichkeit nur verkleidete Heilsbringer, die, von oben gesandt, das Beste für eine Menschheit wollten, die nirgendwo vorkommt. Inzwischen sind die Kinder gestorben und die Frauen in Einrichtungen untergebracht, wo sie keinen Schaden mehr anrichten können, sondern sinnvollen Tätigkeiten nachgehen müssen: Sie gebären die Zukunft aus blauen Stunden für eine selige Welt!

*

Klingende Kassen

So mancher lebt in einer surrealen Welt,
die er für ganz normal gewöhnlich hält -
er tummelt sich in seltsam-geilen Pfründen,
ohne je den tiefen Sinn dafür zu finden.

Denn eine Moderichtung hält für ihn parat,
was er als wahrheitsnah und echt empfindet.
Und diese macht er, gar nicht streng privat,
zum Sein, in dem er Glücksgefühle gründet.

So schwelgt er in der Redlichkeit der Sinne,
die ihm nichts Falsches gaukeln, doch er irrt.
Dann spinnt er höflich weiter, hält nicht inne
und ist am Ende schließlich voll verwirrt.

Auf andre übertragen sieht er seine Witze
als weltfremd an und lächelt weise drüber.
Denn was ER denkt, hält er für Geistesblitze,
was ihn verstört, das hat er reichlich über.

Er wandelt alle Wege unbewusst und blöde.
Nichts kann ihn aus der Seelenruhe bringen!
Doch die Gedankenwelt, die seine, ist so öde:
nichts ist ihm klar, er hört nur Kassen klingen!

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