Bon-Bon - Page 5

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hinter dem Stuhle des Philosophen an, als er gerade das Wort αὐλος niederschrieb.

Nun gab ich schleunigst dem Lambda einen Nasenstüber mit meinem Finger, so daß es auf dem Kopfe stand. Der Satz steht also jetzt folgendermaßen da: ὁ νους ἐστιν αὐγος und dieser Satz ist, wie dir bekannt sein wird, die Grunddoktrin seiner metaphysischen Schriften.«

»Waren Sie jemals in Rom?« fragte der Restaurateur, als er seine zweite Flasche Champagner austrank und für eine genügende Zufuhr von Chambertin sorgte.

»Nur einmal, Herr Bon-Bon, nur ein einziges Mal,« sprach der Teufel in einem Tone, als sagte er etwas Auswendiggelerntes her. »In früheren Zeiten herrschte dort fünf Jahre lang Anarchie. Während dieser Zeit war die Republik aller ihrer Beamten beraubt und hatte keine Oberleitung außer der der Volkstribunen, denen aber keinerlei Exekutivmacht zuband; damals, Herr Bon-Bon, damals war ich zum einzigen Male in Rom, und so kann ich keinerlei irdische Verbindung mit den dortigen Philosophen haben.« Ils écrivaient sur la philosophie (Cicero, Lucretius, Seneca), mais c'était la philosophie grecque. – Concorcet.

»Wie denken Sie über – wie denken Sie über – hup! – Epikur?«

»Was ich über wen denke?« rief der Teufel im Tone höchstens Erstaunens. »Es fällt Ihnen doch wohl kaum bei, Epikur irgendwie zu tadeln. Was ich über Epikur denke. Meinen Sie mich damit, Herr? – Ich bin Epikur. Ich bin derselbe Philosoph, der jene hundert Abhandlungen erfaßte, die Diogenes Laertes bewahrte.«

»Das ist eine Lüge.« schrie der Metaphysiker, denn der Wein war ihm ein wenig zu Kopfe gestiegen.

»Sehr gut! – sehr gut, mein Herr! – wirklich sehr gut, mein Herr.« sagte Seine Majestät offenbar ungeheuer geschmeichelt.

»Das ist eine Lüge.« wiederholte der Restaurateur gebieterisch; »das ist eine – hup! – eine Lüge.«

»Gut, gut, wie du willst!« sagte der Teufel in beschwichtigendem Tone, und Bon-Bon, der Seine Majestät in der einen Streitfrage geschlagen hatte, hielt es für seine Pflicht, eine zweite Flasche Chambertin zu beendigen.

»Wie ich schon gesagt habe,« fuhr der Besucher fort – »wie ich schon vorhin bemerkt habe, finden sich einige sehr outrierte Begriffe in Ihrem Buche, Herr Bon-Bon. Was zum Beispiel wollen Sie mit all dem Schwindel betreffs der Seele sagen? Aber, bitte, was ist die Seele?«

»Die – hup! – Seele«, antwortete der Metaphysiker, indem er sich auf sein Manuskript bezog, »ist unzweifelhaft – – –«

»Nein, mein Herr.«

»Ganz zweifellos – – –«

»Nein, mein Herr.« »Unbestreitbar – – –«

»Nein, mein Herr.«

»Erwiesenermaßen – – –«

»Nein, mein Herr.«

»Unstreitig – – –«

»Nein, mein Herr.«

»Hup! – – –«

»Nein, mein Herr.«

»Und ohne jede Frage ein – – –«

»Nein, mein Herr, die Seele ist nichts dergleichen.«

(Hier nahm der Philosoph, indem seine Augen Blitze schossen, die Gelegenheit wahr, auf einen Schlag seiner dritten Flasche Chambertin ein Ende zu bereiten.)

»Dann – hup! – bitte, mein Herr, – was – was ist sie?«

»Gehört nicht hierher, Herr Bon-Bon,« antwortete Seine Majestät in tiefem Nachdenken. »Ich habe einige sehr schlechte, aber auch einige recht gute Seelen genossen – das heißt gekannt.« Dabei leckte er sich die Lippen, und seine Hand berührte unbewußt den Band in seiner Tasche, worauf er in einen heftigen Niesanfall ausbrach.

Er fuhr fort:

»Die Seele von Cratinus – leidlich; Aristophanes – pikant; Plato – köstlich; nicht dein Plato ist hier gemeint, sondern der Lustspieldichter gleichen Namens; bei deinem Plato würde dem Zerberus selbst übel geworden sein – pfui. Also weiter! Naevius, Andronicus, Plautus, Terenz. Dann Lucilius, Catull, Naso, Quintus Flaccus – das gute Quintchen. wie ich ihn nannte, als er zu meiner Belustigung ein Faeculare vortrug, während ich ihn in bester Laune auf einer Gabel briet. Aber es fehlt diesen Römern an Aroma. Ein fetter Grieche ist ein Duzend von ihnen wert, hält sich außerdem vorzüglich,was man aber von den Quiriten nicht behaupten kann. Jetzt probieren wir deinen Sauternes.«

Als die Sache nun so weit gediehen war, hatte sich Bon-Bon zum nil admirari durchgerungen und ließ es sich angelegen sein, die geforderten Flaschen herüberzureichen. Zugleich aber drang ein merkwürdiges, im Raume deutlich vernehmbares Geräusch an sein Ohr, das wie Schwanzwedeln klang. Trotzdem nun der Philosoph dies Benehmen Seiner Majestät höchst unschicklich fand, so gab er sich doch den Anschein, als achte er nicht darauf, gab nur dem Hunde einen Fußstoß und befahl ihm, sich ruhig zu verhalten.

»Ich habe gefunden, daß Horaz und Aristoteles sich im Geschmacke ziemlich ähnlich waren; – Sie wissen, ich liebe Abwechslung. Terenz und Menander konnte ich kaum unterscheiden. Naso entpuppte sich zu meiner Verwunderung als ein anders zubereiteter Nicander. Virgil hatte einen starken Beigeschmack nach Theokrit. Martial erinnerte mich lebhaft an Archilochus, Titus Livius war ganz und gar derselbe wie Polybius.«

»Hup!« – antwortete Bon-Bon, und Seine Majestät fuhr fort:

»Doch meine ganze Neigung, so weit ich überhaupt eine besitze, gehört den Philosophen, aber, Herr Bon-Bon – das eine ist zu beachten: nicht jeder Teuf – – will sagen nicht jeder Mann ist imstande, einen Philosophen richtig auszuwählen. Die Langen taugen nichts; und die Besten werden durch die Einwirkung der Galle etwas ranzig, wenn sie nicht sorgsam ausgeschält werden.«

»Ausgeschält?«

»Ich meine damit natürlich, aus dem Leichnam herausgenommen.«

»Was ist Ihre Ansicht über die – hup! – Ärzte?«

»Erwähnen Sie die nicht! – brr.« – (Hier würgte der Ekel Seine Majestät heftig.) »Ich habe nur ein einzigesmal einen gekostet – diesen elenden Hippokrates. – Er roch nach asa foetida – brr! brr! brr! – ich erwischte einen scheußlichen Schnupfen, als ich ihn im Styx abwusch, und nachher hing er mir die Cholera an.«

»Dieser – hup! – Lump.« stieß Bon-Bon hervor, »diese – hup! – Mißgeburt einer Pillenschachtel.« – und der Philosoph vergoß eine Träne.

»Schließlich,« fuhr der Besucher fort, »schließlich, wenn ein Teuf ... wenn ein Mann leben will, muß er mehr als ein oder zwei Talente haben; und bei uns gilt ein fettes Gesicht als Zeichen diplomatischer Veranlagung.«

»Wieso?«

»Es geht uns manchmal äußerst schlecht mit der Ernährung. Du mußt wissen, daß in einem so drückend heißen Klima, wie das meine ist, oft keine Möglichkeit besteht, einen Geist länger als zwei bis drei Stunden am Leben zu erhalten; nach dem Tode aber – riechen sie – du verstehst doch, nicht? – wenigstens wenn sie nicht augenblicklich eingepökelt werden (und eingepökelter Geist schmeckt nicht gut). Es besteht immer die Gefahr der Verwesung, wenn die Seelen uns auf dem gewöhnlichen Wege zugesandt werden.«

»Hup! – hup! – heiliger Gott. wie richten Sie es denn ein?«

In diesem Moment hob die eiserne Lampe mit verdoppelter Gewalt hin- und herzuschwingen an, und der Teufel fuhr halb von seinem Sitze auf. Bald jedoch faßte er sich wieder, stieß einen leisen Seufzer aus und sprachmit leiser Stimme: »Ich will dir etwas sagen, Pierre Bon-Bon, wir dürfen keine Verwünschungen mehr laut werden lassen.«

Der Wirt stürzte wieder einen Humpen voll hinab, um dadurch seine Einwilligung und sein volles Verständnis auszudrücken, und der Besucher fuhr fort:

»Nun also, man kann sich auf verschiedene Weise einrichten. Die meisten von den Unsrigen verschmachten, einige begnügen sich mit Eingepökeltem; ich meinerseits ziehe es vor, die Geister vivente corpore zu kaufen; ich finde, auf diese Art halten sie sich sehr gut.«

»Aber der Körper! – hup! – der Körper!«

»Der Körper, der Körper – nun was soll die Frage? – Ach! ja! ich verstehe. Nun, der Körper wird durch den Handel gar nicht in Mitleidenschaft gezogen. Ich habe in meinem Leben zahllose Geschäfte dieser Art abgeschlossen, und die andere Partei hat sich nie irgendwie dadurch belästigt gefühlt. Kain, Nimrod, Nero, Caligula, Dionys, Pisistratus und – und tausend andere wußten im späteren Lebensalter nichts davon, was es heißt, eine Seele zu haben; trotzdem waren diese Männer eine Zierde der Gesellschaft. Und dann A ..., den Sie so gut kennen wie ich? Ist er nicht im Vollbesitze seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten? Wer schreibt ein scharfsinnigeres Epigramm? Wer urteilt geistreicher? Wer – aber halt! sein Pakt steht ja in meinem Taschenbuche.«

Mit diesen Worten zog er eine flache Brieftasche aus rotem Leder aus seiner Tasche und entnahm ihr eine Anzahl Papiere. Bon-Bon gelang es, auf dem einen oder anderen einige unzusammenhängende Silben zu erspähen: »Machi ..., Maza ..., Robesp ...« – dann auch ganze Worte: »Caligula, George, Elisabeth.« Seine Majestätsuchte einen schmalen Pergamentstreifen heraus und las laut die folgenden Worte vor:

»In Anerkennung gewisser geistiger Gaben, auf deren Aufzählung hier einzugehen nicht nötig ist, außerdem in Anerkennung von eintausend Louis d'or trete ich hiermit dem Inhaber dieses Paktes alle meine Rechte, Titel, und Pertinenzien an dem Schatten ab, der sich meine Seele nennt. (gezeichnet) A .....«Wer? Arouet.(Nun nannte Seine Majestät einen Namen. Ich fühle mich nicht berechtigt, ihn in klarerer Weise anzudeuten.)

»Ein gewandter Bursche,« fuhr jener fort; »aber, wie du, lieber Bon-Bon, war er gründlich über die Seele im Irrtum. Du lieber Gott, die Seele ein Schatten. Die Seele ein Schatten! Ha! ha! ha! – he! he! he! – hu! hu! hu! Stell dir nur einmal einen frikassierten Schatten vor!«

»Man stelle sich – hup! – einen frikassierten Schatten vor!« rief unser Held, dessen Geisteskräfte durch die tiefsinnigen Reden Seiner Majestät aufs äußerste angefeuerte wurden. »Man stelle – hup.–sich einen frikassierten Schatten vor. Nun, hol mich der Teufel! – hup! – hm! Als ob ich solch ein – hup! – Einfaltspinsel wäre! Meine Seele, Herr – hm!«

»Ihre Seele, Herr Bon-Bon?«

»Ja! mein Herr – hup! – meine Seele ist – –«

»Was, mein Herr?«

»Kein Schatten, zum Teufel nochmal!«

»Wollten Sie vielleicht behaupten – – –«

»Ja, mein Herr, meine Seele ist – hup! – hm! – ja, mein Herr.«

»Hatten Sie nicht die Absicht, zu erklären – – –«

»Meine Seele ist – hup! – besonders geeignet für – hup! – ein – – –«

»Was, mein Herr?«

»Stew.«

»Ha!«

»Soufflee.«

»Oh.«

»Frikassee.«

»In der Tat.«

»Ragout und Frikandeau – und nun paß auf, mein guter Bursch. Ich werde es dir zukommen lassen – hup! ein Handel.« Er klopfte Seine Majestät auf den Rücken.

»Ausgeschlossen«, sagte letztere ruhig, und damit erhob sie sich. Der Metaphysiker starrte sie an.

»Für den Augenblick bin ich genügend versehen,« sagte Seine Majestät.

»Hu – up! – wa–as?« sprach der Philosoph.

»Momentan ohne Pekunia.«

»Was?«

»Außerdem wäre es meinerseits sehr schofel – – –«

»Mein Herr.«

»Vorteil ziehen zu wollen – von – – –«

»Hup.«

»Ihrer gegenwärtigen widerlichen und unschicklichen Verfassung.«

Der Besucher verbeugte sich und zog sich zurück – wie er dies bewerkstelligte, konnte nicht genau festgestellt werden –, der Metaphysik aber machte eine Anstrengung, eine Flasche nach »dem Schurken« zu schleudern, die dünne Kette, die vom Plafond herabhing, riß auseinander, und der Philosoph wurde durch die herabstürzende Lampe zu Boden gestreckt.

Veröffentlicht / Quelle: 
Edgar Allan Poe, Gesamtausgabe der Dichtungen und Erzählungen, Propyläen Verlag, Berlin 1922, S. 21-44

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