Das Lehmpferd

Bild von Karl Hausruck
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Das Lehmpferd

Atiat El-Abnoudi gelingt es in den wenigen Einstellungen ihres Kurzfilms ‘das Lehmpferd’, den sie in einem ägyptischen Dorf in zweijähriger Drehzeit mit sparsamsten Mitteln während ihrer Freizeit hergestellt hat, die Totalität des gesellschaftlichen Prozesses anhand einer Lehmziegelproduktion darzustellen.

Erstens. Der Lehm wird von Arbeitern in Körbe gefüllt und in eine etwa halbmeterhohe Ummauerung von 20 Metern Durchmesser geschüttet.

Zweitens. Dort wird der Lehm von einem am Zügel links herum im Kreise laufenden Pferd weich getreten.

Drittens. Der durchgetretene Lehm wird von Hand in Holzformen gefüllt, die obere Fläche mit einem Brettchen glattgestrichen.

Viertens. Das Pferd wird alle drei Stunden durch ein anderes abgelöst, so schwer ist die Arbeit im Lehmbrei. Man sieht dem abgelösten Pferd die Schwere der Arbeit an, es geht nur noch mühsam und schwankend.

Fünftens. Die zum Trocknen ausgelegten Ziegel werden mehrmals und mit schnellen Handgriffen gewendet.

Sechstens. Die getrockneten Ziegel werden zu Pyramiden auf Quadratmeter große Bretter gestapelt und von Frauen auf dem Kopf zu den Lagerplätzen getragen. Die ganze Fabrik ist von mannshohen Wänden abgelagerter Ziegel umschlossen.

Siebentens. Eine Ziegellast beträgt 40 Pfund. Die Frauen tragen 135 Lasten pro Tag. Bis vor kurzem bekamen sie 5 Piaster pro Tag. Nachdem sie gestreikt hatten, bekommen sie heute 25 Piaster! Ein ungeheurer Fortschritt für sie. Sie sind stolz auf den Erfolg, haben einen Begriff von Solidarität erfahren. Sie sind hoffnungsvoll, werden schließlich gewinnen.

Achtens. Das Lehmpferd wird wieder einmal abgelöst. Es sieht wirklich schlecht aus, ein echter Schock nach den fast glücklichen Gesichtern der Frauen. Beinahe zusammenbrechend schleppt sich das Lehmpferd zur Wassertränke. Keiner kümmert sich um das Lehmpferd.

Der Film zeigt einerseits die Totalität der Ausbeutung unter dem Organisationsmittel Kapital - alles Irdische ist in den Produktionsprozeß eingeschlossen, Mensch, Tier, Pflanze, Bodenschätze. Er führt dem Zuschauer aber auch vor Augen, wie erst recht hoffnungslos die Existenz der Zurückbleibenden wird, wenn diejenigen, die in der Lage sind, den Kampf aufzunehmen, bei diesem Kampf die Totalität des gesellschaftlichen Prozesses, das heißt die absolute Solidarität mit allen Beteiligten, außer Acht lassen - siehe Menschheitsmarsch, divide et impera. Seit Jahrtausenden befreien sich unterprivilegierte Schichten und vergessen das Lehmpferd - die kaputten Typen, die Hoffnungslosen ausgrenzend. Sie überlassen das Lehmpferd seinem Schicksal, ja tragen zu seiner verschärften Ausbeutung durch ihr eigenes Aufrücken bei.

Vielleicht meint der Film mit den sich erfolgreich wehrenden Arbeiterinnen auch nur die aufsteigende Industriearbeiterschaft in den fortgeschrittenen Ländern und mit dem Lehmpferd die hoffnungslos und immer mehr allein gelassenen, ums nackte Überleben ringenden Massen der dritten Welt. Oder der Film ist ohne jede theoretische Überlegung entstanden durch nichts als das Erleben und die Anschauung der Wirklichkeit in einer ägyptischen Lehmziegelfabrik. Wie dem auch sei, der Film zeigt die Totalität der vom Menschen organisierten Welt beispielhaft und allgemeingültig zugleich und der Zuschauer erkennt spontan durch Anschauung das Übel des schrittweisen Veränderns, das die Hoffnungslosen im Stich läßt. Diejenigen, die den bestehenden Verhältnissen wenigstens noch soweit zugehören, daß sie von gleicher Herkunft wie die Machthaber sind - im engeren Sinn durchaus rassistisch gemeint - können auf einen relativen Erfolg ihres Kampfes hoffen. Wenn sie dabei nicht auch eine neue Totalität begründen, lassen sie Tiere, Pflanzen und diejenigen Menschen, die nicht an der Herrenrasse teilhaben, im Stich. Sie weihen sie der Verzweiflung und dem Untergang.

Solidarität muß vom Anfang an total sein, wenn sie nicht heuchlerisch sein soll. Sie darf sich auf kein zunächst Erreichbares einlassen wie: zuerst einmal die Industrien von der Ausbeutung befreien, die den Herrschenden am wichtigsten sind und wo die Arbeiter die stärksten Positionen haben, wo der Streik weh tut.

Nein, Solidarität muß vom Anfang an total und radikal sein, mit allem Belebten und Unbelebten dieser Erde. Tierschutz, Naturschutz, Umweltschutz sind da nur anmaßende, Verachtung und Versklavung der Natur implizierende Worthülsen, wenn sie als solche auch in noch so degenerierter Form Widerschein sind der Sonne Solidarität, deren Feuer eine junge ägyptische Filmschaffende dem Betrachter in 10 Minuten Bildern nicht weniger tief beibringt als Karl Marx dem Leser in seinem Lebenswerk.

Der Film ist ein Anschauungswerk zum Imperialismus. Aus der unterdrückten Klasse befreien sich die den Herrschenden nächststehenden Schichten, die Arbeiteraristokratien der Metropolen, und werden so ein Teil des Unterdrückungsapparates gegen die Zurückbleibenden. Alles Übel kommt von der Trennung des Befreiungskampfes von der Totalität allen Unterdrücktens, der Individualisierung, der Gruppenbildung in der Befreiung gegenüber einem total gesellschaftlichen, ja kosmischen Prozeß.

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