Der Hunger ist keine Tante - Teil 5

Bild von Lena Kelm
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Zu Mittag gibt es das nationale Gericht Beschbarmak. „Wann wollen wir denn weiter?“, frage ich meinen Bruder. „Wir müssen hier zum Essen bleiben. Wir können nicht weg. Sie haben extra einen Hammel für Ehrengäste geschlachtet.“ Ich kenne die ungeschriebenen Gesetze. Die Kasachen sind ein außerordentlich gastfreundliches Volk. Als Gast wird man zu jeder Tages- und Nachtzeit zu Dastarchan, zur gedeckten Tafel, geladen. Ich weiß, dass sie meinen Bruder genauso jederzeit besuchen, das ist so üblich und Ausdruck ihrer Freundschaft.
Mein Mann und ich schließen uns den Badminton-Spielern an. Die Kinder willigen sofort freudig ein. Lustig und schnell vergeht die Zeit beim Spielen. Die Bewegung macht hungrig. Und unsere Nasen reizt der Duft der aromatischen Brühe. Es ist höchste Zeit, etwas zu essen. Trotz der Hitze sind wir bereit, den kleinen Baran zu verschlingen.
Endlich ist es so weit. Wir waschen uns draußen unter einer Vorrichtung aus Eimer und Aluminium-Pumpe Hände und Gesicht. Ich erhasche mit einem Seitenblick, wie die Frau die getrockneten Nudelteig-Fladen in zwei Zentimeter große Quadrate schneidet, in den Kessel taucht, nachdem sie das Fleisch mit der Schaumkelle herausholte. Nun muss es schnell gehen: das Essen soll dampfend auf den Tisch kommen und heiß gegessen werden.
Als wir in die Jurte eintreten, sitzen zwei ältere Personen am Tisch, Wachid stellt sie uns als seine Eltern vor, sie leben mit seinem jüngeren Bruder in der Jurte nebenan. Wir lassen uns neben Lisa nieder, die zu Willis Rechten sitzt. Uns folgen der Gastgeber und seine Frau. Sie sitzen neben ihren Eltern. Zwischen uns und Wachids Frau lassen sich die kichernden Kinder nieder. Sie ähneln sich alle. Die Schilderung der Platzordnung ergibt einen Sinn. Wie bei Tschechow: das Gewehr an der Wand – erwähnt im ersten Akt – muss im letzten Akt schießen.

- Fortsetzung folgt –

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