Strandgut

Bild von Ria Klug
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»Wat heb ji secht wo kümmt de wech?« Stirnrunzelnd schüttelt der stoppelbärtige Gnom den Feuerlöscher. Das dumpfe Tschack-tschack klingt merkwürdig, so als ob Sand darin wäre. Nach etlichen Jahren Urlaub an der Nordseeküste versteht Torsten Hantsch das meiste: »Heute morgen am Kniepsand. Da lag allerhand nach dem Sturm gestern. Der sieht doch noch wie neu aus, aber vielleicht ist Wasser oder Sand drin? Den könnte ich zu Hause gut gebrauchen, wenn Sie den in Ordnung bringen können. Das ist doch sicher viel günstiger als neu kaufen, oder?« »Dat kummt darup an, mol kieken. Prüfen kostet 25, neu kostet der 79. Aber wenn was binnen is, isser vielleicht in Dutt. Aber vielleicht is dat Pulver nur verklumpt«, brummelt der Gnom und rümpft seine grobporige Nase, die fast so rot leuchtet wie sein Arbeitsanzug. Er wendet Hantsch die Rückenaufschrift 'Dietrichsen Brandschutz' zu und packt den Löscher auf die Werkbank.

Hantsch schaut sich mäßig interessiert im Lieferwagen mit all den Werkzeugen und Löschern in verschiedenen Größen um. Wenn der sich noch machen lässt, bringe ich den ins Hotel, dann gehe ich ins Strandcafé Mittagessen, überlegt er. Da gibt es einen schönen Blick über das Meer, das sich heute ruppig und blaugrau unter den wild dahin jagenden Wolkenfetzen sträubt. Hantsch liebt diese Tage im Frühherbst, wenn nach Stürmen der Himmel wie blankgewaschen wirkt und nur noch eine energische Brise übrig geblieben ist, in der die Möwen segeln. Später Mittagschlafen oder weiter in der zerlesenen Ausgabe vom 'Schimmelreiter' schmökern. Dann einen Spaziergang und Kaffee, oder umgekehrt ... Noch zwei Tage Urlaub.

Hantsch ist alleinstehend. Deswegen kann und muss er seinen Tagesablauf immer gründlich planen. Ein unbeweibter Einzelgänger ist er weniger aus Neigung, denn vielmehr aus Menschenscheu, die sich besonders dem anderen Geschlecht gegenüber in unbeholfener Verlegenheit niederschlägt. Er blickt nach draußen in den Tonnenhafen, wo die Masten der Boote wackeln, Schnüre und Seile blinkernd anschlagen. Viel Betrieb ist nicht mehr, er hat den Mann vom Löscherdienst gerade noch erwischt, als der abhauen wollte. »Nee, oder? Det glööf ik nich«, schnauft der Gnom. Er hat den Löscher geöffnet und schüttet den Inhalt auf die Werkbank. Eine ganze Reihe von Plastikbeuteln mit hellem Inhalt häuft sich auf. »Ist das Löschmittel? Warum ist das in Päckchen?« Hantsch blickt über die rotgewandete Schulter und wundert sich. »Nee Macker, dat is wat anners. Do heb ji n'dicken Fisch ant Land trocken«, erwidert der Gnom und mustert Hantsch von schräg unten. Den irritiert die plötzliche duzende Vertraulichkeit des Eingeborenen. »Und, was meinen Sie ist es dann?« Der Gnom ignoriert die indignierte Betonung der Anrede. »Dat, mein Guter, ist Koks, do wett' ik mit die. Bestimmt sechs Kilo, sovöhl Pulver hört nämlich do rin.« »Äh, Koks? Aber das da ist doch weiß, also …, oder...« »Na Koks, Schnee, Stoff, Mann, bist du doof?« Der Gnom mustert Hantsch mit hochgezogenen Brauen. »Also, hören Sie mal, Herr ... Jensen«, liest Hantsch vom Namensschild der Brusttasche, »ich verbitte mir diesen Ton. Mit solchen Dingen kenne ich mich nicht aus. Es handelt sich also um Rauschgift, richtig? Dann werden wir die Polizei rufen.«

Hantsch kramt nach seinem Telefon. Jensen macht große Augen. »Tööv doch mol«, sagt er hastig, »du weißt wohl nich woveel dat wert ist. Dat sünd mindestens, tööv mal, dat sünd ... ähm ...« »Das interessiert mich nicht. Und das Du verbitte ich mir auch.« Hantsch hat sein Telefon gefunden. Umständlich schaltet er es ein. »Aber tööv doch mol. Dat sünd bestimmt 350000 Euro. Dafür muss unsereins bannig lang Krabben pulen.« Hantsch zögert, aber nur kurz. Dann gibt er den Pincode ein. Piep, Aku schwach, mehr passiert nicht. Seufzend steckt er
es wieder ein. »Rufen Sie die Polizei oder geben Sie mir ihr Telefon.« »Nee! Auf keinen Fall ...eh, ik heff keen Handy bi mi.« Jensen hebt beschwörend die Hände. »Dann muss ich es zur Polizei bringen. Wo finde ich die?« Jensen klappt den Mund auf. Dann spielt jedoch ein leicht
verschlagenes Grinsen um seine Lippen. »Dat kann ik doch moken. Ik fohr hen, dann musste dat schwore Ding nich schleppen, dat deit ja nich nödig.« Er stopft die Beutel zurück in den Behälter. Hantsch gefällt diese Wendung nicht, er kommt aber nicht sofort darauf, was ihn stört. Erst als alles eingepackt ist und Jensen den roten Stahlbehälter in einen leeren Karton schiebt und ins Regal zu den anderen Löschern steckt, regt sich sein Widerstand. »Ich komme am besten mit. Schließlich habe ich das Objekt gefunden und mitgebracht. Sicherlich wird meine Zeugenaussage benötigt.« Jensen windet sich. Er hebt bedauernd die Schultern und zeigt Hantsch die offenen Hände zum Zeichen seiner Aufrichtigkeit. »Dat tut mich traurich, aber ik dörv keenen mitnehm, dat hätt mien Scheff verbodn. Wenn Se mie seegen wo Se wohn,
kannik dat de Polizei vertellen. Die kommen dann schon, wennse wat wölln. Ährlich, Herr Dokter, ik mook dat schon. Könnense mie glööven. Ik will dat ook nich beholen, do hemse Recht, is tau gefährlich, nich?« »Aber ...« Hantsch möchte gerne einhaken, nur Jensen lässt ihn nicht: »Verbodn is dat ja ook. Un wenn die Kinners dat inne Finger kriegen, nee.«

Fast hätte Hantsch vor Unwillen mit dem Fuß aufgestampft. Auf keinen Fall will er Jensen mit dem Rauschgift abziehen lassen. Leider fällt ihm kein brauchbares Argument ein, nur: Ichwillaber! Von der Notwendigkeit einer Erwiderung bleibt Hantsch jedoch verschont. Schnelle Schritte nähern sich und eine Frauenstimme ertönt: »Petter, hallo Petter, bist du da drin?« Eine schlanke, mittelblonde Frau taucht am Wagenheck auf. Sie pustet einige verirrte Haarsträhnen aus ihrem segelgebräunten Gesicht, stemmt die Fäuste in die Hüften und sagt mit einem Schlangenlächeln: »Hallo Petter. Oh, wen haben wir denn da? Du hast Besuch. Wer ist denn dein Freund?« »Ich bin nicht ...« »Kundschaft!« Jensen schneidet Hantsch das Wort ab. Der sackt noch weiter in sich zusammen, als er es ohnehin schon beim Anblick der Frau tat. Hantsch ist zwar groß, über einsneunzig, lässt aber seit eh und je die Schultern hängen. Zusammengefaltet vom Leben, so sieht das aus. Aber wenn ihm Frauen gegenübertreten, hat er immer noch Kompressionsreserven. Sie sind ihm unheimlich. Dauernd hat er das Gefühl, sie wollten etwas von ihm. Aber nie versteht er, was es sein könnte. Um seine Kolleginnen auf dem Gartenbauamt schlägt er deshalb nach Möglichkeit immer einen Bogen. Zum Glück wendet sich die Blonde Jensen zu: »Das war heftig gestern. Wir habens nicht mehr rechtzeitig zurück geschafft. Ein paar Brecher sind übers Deck. Hat einiges Kleinholz gegeben.« »Jo«, brummelt Petter, »aber wat treibt ihr euch auch draußen rum. Langeweile?« »Nein, das Geschäft, Termine, es musste sein. Ich dachte, wir schaffens noch. Aber was ich dich fragen wollte: Unser
Löscher ist über Bord gegangen. Wenn den jemand findet und hier abgibt, sagst du mir Bescheid?« Sie klappert bettelnd mit den Augendeckeln. »Es ist ein Viktoria P6J Doppelplus. Vielleicht findet der sich ja, dann müssten wir keinen Neuen kaufen. Wird schon teuer genug mit den Reparaturen. Vom Wind her könnte der gut auf Amrum gelandet sein. Wenn er natürlich südlich vorbei getrieben wurde, finden wir ihn kaum noch. Drück uns mal die Daumen.« »Ich habe heute ... Au.« Hantsch verstummt und reibt sich das Schienbein. »Tschulligung«, grummelt Jensen. »Watn Heckmeck wegen son ollen Löscher. Ik heff doch jede Menge, mach dir auch n'guten Preis.«

»Auch ein guter Preis ist noch Geldausgabe. Ach, es wär schön, wenn wir den wiederbekämen.« In ihrer Stimme liegt soviel Sehnsucht, als ginge es um ein Paar neue Schuhe. »Komm, Maddelehne, ihr habt doch wirklich Zaster genuch. Aber ich bin ja nich so: Hier hab ich einen P6J Doppelplus. Der hat ne Schramme, is aber neu. Schenk ich dir. Und dann muß ich los, is schon spät.« Jensen zerrt einen Karton hervor und stellt ihn der Frau vor die Füße. Der Karton ist noch originalverschlossen und unbeschädigt. Sie verzieht unwillig den Mund. »Aber ich habe doch heute Morg... Aua.« Wieder brummt Jensen eine Entschuldigung. Die Frau betrachtet erst ihn, dann Hantsch. »Was macht ihr da? Sie wollen mir doch irgendwas erzählen, nicht wahr?« Unter ihrer direkten Ansprache sackt Hantsch noch ein Stückchen in sich zusammen. Aus seinem Hemdkragen steigt Röte. Er stottert. »Heute morgen, da war ..., da war, also ich spazierte, ganz früh, war ich wach, da am ..., am ...« »Hatt er mir alles schon vertellt ...«, sagt Jensen laut. »Du bist mal still.« Die Blonde bringt Jensen mit einem messerscharfen Blick zum Verstummen. Mit seidenweicher Stimme fragt sie Hantsch: »Nun, erzähl mal. Wie heißt du eigentlich?« »Ich? Also, ja, Hantsch. Da war ein Feuerlöscher, also der lag da, und ich, also, der ist jetzt da im Regal. Aber da, da ..., da ist was drin.« Ihre Augen brennen Löcher.

Hantsch spürt, wie alles an ihm schrumpelt. Wirklich alles. »Ach, was du nicht sagst: Da ist was drin. Ja was denn?« Ihre Stimme umschleicht Hantsch wie ein Rudel Wölfe kurz vorm Zuschnappen. »Rauschgift. Das hat Herr Jensen ...« Die Rechte der Blonden taucht in ihre sportive Umhängetasche und fördert eine vernickelte Pistole ans Licht. »Ihr habt es also beide gesehen. Gut. Nein, nicht gut. Was mache ich jetzt mit euch? Am besten fragen wir Katelbeck. Wir fahren nach Nebel. Jetzt sofort.« »Nee, nimm den ollen Löscher mit und gut. Ich muß ...« »Halt die Klappe Petter, dir trau ich nicht. Du bleibst hier hinten drin. Hantsch, du fährst. Hast doch einen Führerschein, oder? Nimm Petters Jacke, dann fallen wir nicht so auf. Petter, Schlüssel und Jacke.« Hantsch wagt keinen Widerspruch. Er zwängt sich in die Jacke, während die Blonde Jensen einschließt. Sie muß Hantsch helfen, weil er den Fahrersitz nicht zurückschieben kann. Mit der Pistole im Schoß befiehlt sie Abfahren.

Hantsch saß seit der Fahrprüfung nicht mehr am Steuer und das war kurz nach dem Abitur. Außerdem ist die rote Jacke so eng und kurz, dass er seine Arme wie bei Playmobil abwinkeln muss. Nach zweimal Abwürgen bringt er den Wagen ins Rollen, aber holperig, als wären die Räder oval. »Was machst du denn? Kannst du nicht fahren? Los, reiß dich zusammen, jetzt geradeaus, dann Richtung Nebel. Gib Gas.« Hantsch gehorcht. Der Lieferwagen macht einen Satz und bohrt sich krachend in die Flanke des grünweißen Polizeiwagen, der von rechts kommend langsam am Hafenbecken entlangrollt.

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