Beutemacher - Page 2

Bild zeigt Thery Trojan
von Thery Trojan

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ihr Name fiel ihm plötzlich ein. Nino ... so hatte sie sich vorgestellt. Irgendwann zwischen Stellung 69 und ihn rittlings halb zu Tode reiten. Auf ihren Nachnamen hatte er schon nicht mehr gehört. Wen interessierte es. Er zitterte vor Kälte, merkte jetzt erst, dass er noch immer unter dem eisigen Wasserstrahl stand, drückte den Hebel runter und langte nach dem Badetuch.

Sein Blick fiel in den Spiegel. Was er sah, war ihm fremd. Ein geiler Typ sollte ihn jetzt von da drüben anschauen. Siegessicher grinsend, Heldenpose, Sixpack, ein Adonis. Einer, der scharenweise Frauen aufriss, die nur zu bereitwillig in sein Bett hüpften, sich vögeln ließen und die er anschließend eiskalt vor die Tür setzte. Der Mann, der ihn aus blutunterlaufenen Augen anstierte, erschreckte ihn, machte ihm Angst. Hohlwangig, grauhäutig, unrasiert, Hängeschultern, schlaffe Haut. Oberkörper und Arme übersät von Flecken, die von grüngelb bis violett reichten. 'Ich bin krank, muss sofort zum Arzt', dachte John panisch, und verkroch sich zitternd in seinen flauschigen Bademantel. Seine Kehle war trocken, kratzig und das Schlucken schmerzte, obwohl in seinem Mund nichts war, was er hätte schlucken können. Es war ein Reflex.

Da, wo eigentlich seine Zunge sein sollte, fühlte er etwas Geschwollenes, Pelziges. Hastig drehte er den Wasserhahn auf. Zu mehr kam er nicht. Etwas krachte mit solcher Gewalt an die Badtür, dass das Holz an der oberen Angel splitterte. Ein krächzender Laut war alles, was John von sich gab. Ein Häufchen Elend stand reglos und spürte, wie ihm die Angst die Augäpfel aus den Höhlen quetschen wollte. Stand und lauschte in die Stille. Eine Stille,  die ihm in ihrer Unheimlichkeit fast den Rest des verbliebenen Verstandes raubte. John schloss die Augen so fest er konnte, zwang sie dahin zurück , wo sie hingehörten. Als er sie wieder öffnete, verlor er sein Vertrauen in sie und in seinen Verstand. Die Tür war makellos. Keine Splitter, kein Riss, ... nichts.

Ein heftiges Schluchzen brach aus ihm heraus. 'Ich bin krank, sehr krank. Muss zum Arzt. Nein, muss anrufen. Er soll kommen. Sofort.' Er öffnete die Badtür, schleppte sich zum Telefon, musste am Schlafzimmer vorbei. Die Tür stand offen. Aus dem Augenwinkel registrierte er eine Bewegung. John machte erstmals die Erfahrung, dass es andere Zeitebenen gab. Er befand sich momentan in einer, deren Atmosphäre aus zähflüssigem Teer bestand, der ein Drehen des Kopfes nur unter Aufbietung allen Willens und der noch vorhandenen Kräfte möglich machte, dessen Hitze seine Eingeweide schrumpfen ließ.

Was er aus dem Augenwinkel gesehen hatte, war nichts, was er sehen wollte. Dann spie ihn die andere Ebene wieder aus und er sah .... die Unscheinbare auf seinem Bett hocken, sah, wie sie mit schmalen Lippen einen hässlichen Schmollmund kreierte und hörte ein: "Na endlich, ich dachte schon, du liebst mich nicht mehr." Ihr albernes Gegacker tat seinen Ohren weh. "Verschwinde", keuchte John, "mach, dass du raus kommst!" Die Frau auf seinem Bett sah ihn nachsichtig lächelnd an. "John, Liebling, geht es dir nicht gut? Komm her, leg dich zu mir, dann sorge ich dafür, dass dir nichts mehr fehlt." Wäre es dem Mann nur ein bisschen besser gegangen, hätte er sie in diesem Moment geschlagen. Mit seinen Fäusten. Hätte sie aus seinem Bett gezerrt und zur Tür hinaus getreten. Ekel stieg in ihm hoch. Ekel und unbändiger Hass. Beides zusammen wäre gefährlich für die Frau gewesen, würde er sich nicht so sterbenskrank fühlen. Gedanklich schlug John die Frau auf seinem Bett gerade tot. "Was hast du Schlampe mir eingeflößt?", war alles, was er noch rausbrachte, dann gaben seine Beine unter ihm nach.

Die Sonne brannte unerbittlich, setzte Brandblase um Brandblase auf seine Haut.  Er wollte weinen, doch da waren keine Tränen mehr, er wollte schreien, doch seine Stimmbänder waren verdorrt. Ein nackter Mann, der auf allen Vieren über einen Wüstenplanet kroch, irgendwo in einem Sonnensystem, das die Menschheit nicht einmal erahnte. Wenn er es schaffen würde ihn ein Mal zu umrunden, würde er leben. Er hatte vergessen woher er das wusste, aber er wusste es. Also kroch er. Schob verbissen und störrisch ein Knie vor das andere. Er kicherte bei dem Gedanken, dass ihn jemand so sehen könnte. Ein heißes Staubkorn in den unermesslichen Weiten des Alls, und er mitten drauf, den nackten blasenübersäten Arsch Richtung Mutter Sonne, auf allen Vieren. 

Da wurde es dunkel. "Ja, liebe Sonne, bedecke dein Antlitz und weine. Weine um mich", flüsterte der Gepeinigte und sah, wie der Sand sich vor ihm erhob, höher und höher, sich auftürmte, eine himmelhohe Wand, wispernd und zischend. "Du bist mein", konnte er hören, dann brach sie auf ihn hernieder, drang in Augen die nie sahen, Ohren die nie hörten, einen Mund, der vor ewigen Zeiten viel sprach, ohne je etwas zu sagen.

Konvulsivischer Kampf gegen sauerstoffarme Lungenflügel. John gewann und bäumte sich nach Luft ringend auf. Weit kam er nicht, aber er konnte wieder atmen. Etwas rammte ihn in die Matratze. Seine Lenden schienen zerbröseln zu wollen, sein Penis brannte, als wäre er gehäutet worden. Sie ritt ihn. Saß auf ihm und schien ihn zu Tode reiten zu wollen. Die Schleier hoben sich und was seine Augen dem Gehirn zur Verarbeitung schickten, ließ ihn sich zurück in seinen Todestraum wünschen. Dort wollte er sterben. Bereitwillig und dankbar.

Was auf ihm saß, hatte nichts Menschliches, und John flehte einen für ihn bis dahin nicht existenten Gott an, schrie stumm nach den schützenden Armen einer Mutter. Ein Wesen mit schuppigen Hängebrüsten, Reißzähnen und tentakeligen Fingern grinste ihn, grünen Geifer sabbernd, an. Etwas sagte ihm, dass es kein Fiebertraum war, und die Erkenntnis war so gewaltig, dass selbst die Angst daran erstickte. "Wer bist du, WAS bist du?"  brach es aus dem geschüttelten Körper. Das Ungeheur warf vergnüglich kreischend den grausigen Kopf in den Nacken. Dann beugte es sich herab, ganz nah an Johns Gesicht und zischte: "Ich sagte es dir, ... ich bin Nino.

Nino Mead." Eine schleimige Zunge fuhr fast zärtlich über Johns Gesicht. Auch der Ekel war erstickt. "Was willst du von mir?" Das bestialische Geschöpf begann sich vor seinen Augen zu verwandeln. Wurde wieder Menschlich, doch die Gesichtszüge standen nicht still. Waberten und wogten, verwandelten sich sekündlich neu. Momente die reichten, um John erkennen zu lassen. Und begreifen. Gesichter aus seinem Leben. Viele Gesichter und deren Besitzer hätten nicht viel Gutes über ihn zu berichten. Gesichter von Frauen hauptsächlich, auch Mädchen und immer wieder seiner Mutter. Weinende, geschlagene, bittende, verzweifelte Gesichter. "Du hast mich gerufen, begreifst du jetzt, John?" Er starrte in all ihre Gesichter. Hatte nichts mehr zu sagen. So wie er noch nie etwas zu sagen hatte.

Noch einmal verwandelte sich das Ungeheur. Zurück in sich selbst. "Manchmal brauche auch ich einen Spielgefährten. Einen besonders schönen. Und am liebsten einen ganz bösen Jungen. Und deshalb bin ich hier." Noch während es sprach, fuhren fette Tentakel durch Johns Haar, hielten an seinem Hinterkopf still. Die übrigen fassten ihn liebevoll am Kinn. John schloss die Augen, wollte nicht sehen, wie sich monströse Lippen den seinen näherten. Er spürte einen Kuss und wusste, dass er das Letzte war, was er in diesem Leben spüren würde. Dann brach mit einem hässlichen Geräusch sein Genick.

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