Casanovas Heimfahrt - Page 30

Bild zeigt Arthur Schnitzler
von Arthur Schnitzler

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Art, wie jener mit dem Kopf nickte. Er stieg aus und eilte weiter, den Augen des Kutschers bald entschwindend, bis ans verschlossene Tor, daran vorüber, die Mauer entlang bis zu der Ecke, wo sie im rechten Winkel nach oben bog, und nahm nun den Weg durch die Weinberge, den er, nachdem er ihn schon zweimal im Tagesschein gegangen, leicht zu finden wußte. Er hielt sich der Mauer nahe und folgte ihr auch, als sie nun, etwa auf der mittleren Höhe des Hügels, wieder im rechten Winkel umbog. Hier ging er auf weichem Wiesengrund, im Dunkel der verhängten Nacht weiter, und mußte nur achtgeben, daß er die Gartentür nicht verfehlte. Er tastete längs der glatten steinernen Umfassung, bis seine Finger das rauhe Holz spürten; worauf er die Türe auch in ihrem schmalen Umriß deutlich wahrzunehmen vermochte. Er steckte den Schlüssel in das rasch gefundene Schloß, öffnete, trat in den Garten und sperrte hinter sich wieder zu. Er sah das Haus mit dem Turm jenseits der Wiese in unwahrscheinlicher Entfernung und in einer ebenso unwahrscheinlichen Höhe aufragen. Eine Weile stand er ruhig; er sah um sich; denn was für andre Augen noch undurchdringliche Finsternis gewesen wäre, war für die seinen nur tiefe Dämmerung. Er wagte es, statt in der Allee, deren Kies seinen nackten Füßen weh tat, auf der Wiese weiterzugehen, die den Ton seiner Schritte verschlang. Er glaubte zu schweben; so leicht war sein Gang. – War mir anders zumute, dachte er, zur Zeit, da ich als Dreißigjähriger solche Wege ging? Fühl' ich nicht wie damals alle Gluten des Verlangens und alle Säfte der Jugend durch meine Adern kreisen? Bin ich nicht heute Casanova, wie ich's damals war?... Und da ich Casanova bin, warum sollte an mir das klägliche Gesetz nicht zuschanden werden, dem andre unterworfen sind, und das Altern heißt! Und immer kühner werdend, fragte er sich: Warum schleich' ich in einer Maske zu Marcolina? Ist Casanova nicht mehr als Lorenzi, auch wenn er um dreißig Jahre älter ist? Und wäre sie nicht das Weib, dies Unbegreifliche zu begreifen?... War es nötig, eine kleine Schurkerei zu begehen und einen andern zu einer etwas größern zu verleiten? Wäre man nicht mit etwas Geduld zum gleichen Ziel gekommen? Lorenzi ist morgen fort, ich wäre geblieben... Fünf Tage... drei – und sie hätte mir gehört – wissend mir gehört. – Er stand an die Wand des Hauses gedrückt, neben Marcolinens Fenster, das noch fest verschlossen war, und seine Gedanken flogen weiter. Ist es denn zu spät dazu?... Ich könnte wiederkommen – morgen, übermorgen... und begänne das Werk der Verführung – als ehrlicher Mann sozusagen. Die heutige Nacht wäre ein Vorschuß auf die künftigen. Ja Marcolina müßte nicht einmal erfahren, daß ich heute dagewesen bin – oder erst später – viel später.

Das Fenster war noch immer fest geschlossen; auch dahinter rührte sich nichts. Es fehlten wohl noch ein paar Minuten auf Mitternacht. Sollte er sich irgendwie bemerkbar machen? Leise ans Fenster klopfen? Da nichts dergleichen ausgemacht war, hätte es vielleicht doch in Marcolina einen Verdacht werfen können. Also warten. Lange konnte es nicht mehr dauern. Der Gedanke, daß sie ihn sofort erkennen, den Betrug durchschauen konnte, eh' er vollzogen war, kam ihm, nicht zum erstenmal, doch ebenso flüchtig und als die natürliche verstandesmäßige Erwägung einer entfernten, ins Unwahrscheinliche verschwimmenden Möglichkeit, nicht als eine ernstliche Befürchtung. Ein etwas lächerliches Abenteuer fiel ihm ein, das nun zwanzig Jahre zurücklag; das mit der häßlichen Alten in Solothurn, mit der er eine köstliche Nacht verbracht hatte, in der Meinung, eine angebetete schöne junge Frau zu besitzen – und die ihn überdies tags darauf in einem unverschämten Brief ob seines ihr höchst erwünschten, von ihr mit infamer List geförderten Irrtums verhöhnt hatte. Er schüttelte sich in der Erinnerung vor Ekel. Gerade daran hätte er jetzt lieber nicht denken sollen, und er verjagte das abscheuliche Bild. – Nun, war es nicht endlich Mitternacht? Wie lange sollte er noch hier stehen an die Mauer gedrückt, fröstelnd in der Kühle der Nacht? Oder gar vergeblich warten? Der Geprellte sein – trotz allem? – Zweitausend Dukaten für nichts? Und Lorenzi mit ihr hinter dem Vorhang? Seiner spottend? – Unwillkürlich faßte er den Degen etwas fester, den er unter dem Mantel an seinen nackten Leib gepreßt hielt. Von einem Kerl wie Lorenzi mußte man am Ende auch der peinlichsten Überraschung gewärtig sein. – Aber dann... In diesem Augenblick hörte er ein leises knackendes Geräusch, – er wußte, daß nun das Gitter von Marcolinens Fenster sich zurückschob, gleich darauf öffneten sich beide Flügel weit, während der Vorhang noch zugezogen blieb. Casanova hielt sich ein paar Sekunden regungslos, bis von unsichtbarer Hand gerafft der Vorhang sich nach der einen Seite hob; das war für Casanova ein Zeichen, sich über die Brüstung ins Zimmer zu schwingen und sofort Fenster und Gitter hinter sich zu schließen. Der geraffte Vorhang war über seinen Schultern wieder gesunken, so daß er genötigt war, darunter hervorzukriechen, und nun wäre er in völliger Finsternis dagestanden, wenn nicht aus der Tiefe des Gemachs, in unbegreiflicher Entfernung, wie von seinem eignen Blick erweckt, ein mattes Schimmern ihm den Weg gewiesen hätte. Nur drei Schritt – und sehnsüchtige Arme breiteten sich nach ihm aus; er ließ den Degen aus der Hand, den Mantel von seinen Schultern gleiten und sank in sein Glück.

An Marcolinens seufzendem Vergehen, an den Tränen der Seligkeit, die er ihr von den Wangen küßte, an der immer wieder erneuten Glut, mit der sie seine Zärtlichkeiten empfing, erkannte er bald, daß sie seine Entzückungen teilte, die ihm als höhere, ja von neuer, andrer Art erschienen, als er jemals genossen. Lust ward zur Andacht, tiefster Rausch ward Wachsein ohnegleichen; hier endlich war, die er schon so oft, töricht genug zu erleben geglaubt, und die er noch niemals wirklich erlebt hatte – Erfüllung war an Marcolinens Herzen. Er hielt die Frau in seinen Armen, an die er sich verschwenden durfte, um sich unerschöpflich zu fühlen: – an deren Brüsten der Augenblick des letzten Hingegebenseins und des neuen Verlangens in einen einzigen von ungeahnter Seelenwonne zusammenfloß. War

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Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998
Prosa in Kategorie: 
Thema / Klassifikation: 
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