Casanovas Heimfahrt - Page 26

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In der Kastanienallee, die vom Hause zum Tore führte, holte er Lorenzi ein und sagte in leichtem Tone: »Würden Sie mir erlauben, Herr Leutnant Lorenzi, mich Ihrem Spaziergang anzuschließen?« Lorenzi, ohne ihn anzusehen, erwiderte in einem hochmütigen, seiner Lage kaum ganz angemessenen Tone: »Wie's beliebt, Herr Chevalier; aber ich fürchte, Sie werden in mir keinen unterhaltenden Gesellschafter finden.« – »Sie, Leutnant Lorenzi, vielleicht einen um so unterhaltenderen in mir«, sagte Casanova, »und wenn Sie einverstanden sind, nehmen wir den Weg über die Weinberge, wo wir ungestört plaudern können.« Sie bogen von der Fahrstraße auf denselben Pfad ein, den, die Gartenmauer entlang, Casanova tags vorher mit Olivo gegangen war. »Sie vermuten ganz richtig«, so setzte Casanova ein, »daß ich gesonnen bin, Ihnen die Summe Geldes anzubieten, die Sie dem Marchese schuldig sind; nicht leihweise, denn das – Sie werden mir verzeihen – hielte ich für ein allzu riskantes Geschäft, sondern als – freilich geringen Gegenwert für eine Gefälligkeit, die Sie mir zu erweisen vielleicht imstande wären.« – »Ich höre«, sagte Lorenzi kalt. – »Ehe ich mich weiter äußere«, erwiderte Casanova im selben Tone, »bin ich genötigt, eine Bedingung zu stellen, von deren Annahme durch Sie ich die Fortsetzung dieser Unterhaltung abhängig mache.« – »Nennen Sie Ihre Bedingung.« – »Ich verlange Ihr Ehrenwort, daß Sie mich anhören, ohne mich zu unterbrechen, auch wenn das, was ich Ihnen zu sagen habe, Ihr Befremden oder Ihr Mißfallen oder gar Ihre Empörung erregen sollte. Es steht vollkommen bei Ihnen, Herr Leutnant Lorenzi, ob Sie nachher meinen Vorschlag annehmen wollen, über dessen Ungewöhnlichkeit ich mich keiner Täuschung hingebe, oder nicht; aber die Antwort, die ich von Ihnen erwarte, ist nur ein Ja oder Nein; und wie immer sie ausfallen sollte, – von dem, was hier verhandelt wurde, zwischen zwei Ehrenmännern, die vielleicht beide zugleich Verlorene sind, wird niemals eine Menschenseele erfahren.« – »Ich bin bereit, Ihren Vorschlag zu hören.« – »Und nehmen meine Vorbedingung an?« – »Ich werde Sie nicht unterbrechen.« – »Und werden kein andres Wort erwidern als Ja oder Nein?« – »Kein andres als Ja oder Nein.« – »Gut denn«, sagte Casanova. Und während sie langsam hügelaufwärts stiegen, zwischen den Rebenstöcken, unter einem schwülen Spätnachmittagshimmel, begann Casanova: »Lassen Sie uns die Angelegenheit nach den Gesetzen der Logik behandeln, so werden wir einander am besten verstehen. Es besteht offenbar keine Möglichkeit für Sie, sich das Geld, das Sie dem Marchese schuldig sind, bis zu der von ihm festgesetzten Frist zu verschaffen; und für den Fall, daß Sie es ihm nicht zahlen sollten, auch darüber kann kein Zweifel sein, ist er fest entschlossen, Sie zu vernichten. Da er mehr von Ihnen weiß (hier wagte sich Casanova weiter vor als er mußte, doch er liebte solche kleine nicht ganz ungefährliche Abenteuer auf einem im übrigen vorgezeichneten Weg), als er uns heute verraten hat, sind Sie tatsächlich völlig in der Gewalt dieses Schurken, und Ihr Schicksal als Offizier, als Edelmann wäre besiegelt. Das ist die eine Seite der Sache. Dagegen sind Sie gerettet, sobald Sie Ihre Schuld bezahlt und die – irgendwie in Ihren Besitz gelangten Ringe wieder in Händen haben; – und gerettet sein: das heißt für Sie in diesem Fall nicht weniger, als daß Ihnen ein Dasein wieder gehört, mit dem Sie schon so gut wie abgeschlossen hatten, und zwar, da Sie jung, schön und kühn sind, ein Dasein voll Glanz, Glück und Ruhm. Eine solche Aussicht scheint mir herrlich genug, besonders wenn auf der andern Seite nichts winkt als ein ruhmloser, ja schimpflicher Untergang, um ihr zuliebe ein Vorurteil aufzuopfern, das man persönlich eigentlich niemals besaß. Ich weiß es, Lorenzi«, setzte er rasch hinzu, als sei er einer Entgegnung gewärtig und wollte ihr zuvorkommen, »Sie haben gar keine Vorurteile, so wenig als ich sie habe oder jemals hatte; und was ich von Ihnen zu verlangen willens bin, ist nichts andres, als was ich selbst an Ihrer Stelle unter den gleichen Umständen zu erfüllen mich keinen Augenblick besonnen hätte, – wie ich mich auch tatsächlich nie gescheut habe, wenn es das Schicksal oder auch nur meine Laune so forderte, eine Schurkerei zu begehen oder vielmehr das, was die Narren dieser Erde so zu nennen pflegen. Dafür war ich aber auch, gleich Ihnen, Lorenzi, in jeder Stunde bereit, mein Leben für weniger als nichts aufs Spiel zu setzen, und das macht alles wieder wett. Ich bin es auch jetzt – für den Fall, daß Ihnen mein Vorschlag nicht gefiele. Wir sind aus gleichem Stoff gemacht, Lorenzi, sind Brüder im Geiste, und so dürfen sich unsre Seelen ohne falsche Scham, stolz und nackt, gegenüberstehen. Hier sind meine zweitausend Dukaten – vielmehr die Ihren – wenn Sie es ermöglichen, daß ich die heutige Nacht an Ihrer Stelle mit Marcolina verbringe. Wir wollen nicht stehenbleiben, Lorenzi, wir wollen weiterspazieren.«

Sie gingen in den Feldern, unter den niedrigen Obstbäumen, zwischen denen die Rebenranken beerenbeladen sich hinschlangen; und Casanova sprach ohne Pause weiter. »Antworten Sie mir noch nicht, Lorenzi, denn ich bin noch nicht zu Ende. Mein Ansinnen wäre natürlich – nicht etwa frevelhaft, aber aussichts- und daher sinnlos, wenn Sie die Absicht hätten, Marcolina zu Ihrer Gattin zu machen, oder wenn Marcolina selbst ihre Hoffnungen und Wünsche in dieser Richtung schweifen ließe. Aber ebenso, wie die vergangene Liebesnacht Ihre erste war (er sprach auch diese seine Vermutung wie eine unbezweifelbare Gewißheit aus), ebenso war die kommende aller menschlichen Berechnung nach, ja auch nach Ihrer eigenen und Marcolinens Voraussicht bestimmt, Ihre letzte zu sein – auf sehr lange Zeit – wahrscheinlich auf immer; und ich bin völlig überzeugt, daß Marcolina selbst, um ihren Geliebten vor dem sicheren Untergange zu bewahren, einfach auf seinen Wunsch hin, ohne Zögern bereit wäre, diese eine Nacht seinem Retter zu gewähren. Denn auch sie ist Philosophin und daher von Vorurteilen so frei wie wir beide. Aber so gewiß ich bin, daß sie diese Probe bestünde, es liegt keineswegs in meiner Absicht, daß sie ihr auferlegt werde. Denn eine Willenlose, eine innerlich Widerstrebende zu besitzen, das ist etwas, das gerade in diesem Falle meinen Ansprüchen nicht genügen

Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998

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