Casanovas Heimfahrt - Page 8

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nicht zehn. Ein Bettler bin ich, Amalia.« – »Auch für hunderttausend bekämst du Marcolina nicht. Was kann ihr am Reichtum liegen? Sie liebt die Bücher, den Himmel, die Wiesen, die Schmetterlinge und die Spiele mit Kindern... Und mit ihrem kleinen Erbteil hat sie mehr als sie bedarf.« – »Oh, wär' ich ein Fürst!« rief Casanova, ein wenig deklamierend, wie es zuweilen seine Art war, gerade wenn ihn eine echte Leidenschaft durchwühlte. »Hätt' ich die Macht, Menschen ins Gefängnis werfen, hinrichten zu lassen... Aber ich bin nichts. Ein Bettler – und ein Lügner dazu. Ich bettle bei den hohen Herrn in Venedig um ein Amt, um ein Stück Brot, um Heimat! Was ist aus mir geworden? Ekelt dich nicht vor mir, Amalia?« – »Ich liebe dich, Casanova!« – »So verschaffe sie mir, Amalia! Es steht bei dir, ich weiß es. Sag' ihr, was du willst. Sag' ihr, daß ich euch gedroht habe. Daß du mir zutraust, ich könnte euch das Dach über dem Hause anzünden! Sag' ihr, ich wär' ein Narr, ein gefährlicher Narr, aus dem Irrenhaus entsprungen, aber die Umarmung einer Jungfrau könnte mich wieder gesund machen. Ja, das sag' ihr.« – »Sie glaubt nicht an Wunder.« – »Wie? Nicht an Wunder? So glaubt sie auch nicht an Gott. Um so besser! Ich bin gut angeschrieben beim Erzbischof von Mailand! Sag' ihr das! Ich kann sie verderben! Euch alle kann ich verderben. Das ist wahr, Amalia! Was sind es für Bücher, die sie liest? Gewiß sind auch solche darunter, die die Kirche verboten hat. Laß sie mich sehen. Ich will eine Liste zusammenstellen. Ein Wort von mir...« – »Schweige, Casanova! Dort kommt sie. Verrate dich nicht! Nimm deine Augen in acht! Nie, Casanova, nie, höre wohl, was ich sage, nie hab' ich ein reineres Wesen gekannt. Ahnte sie, was ich eben habe hören müssen, sie erschiene sich wie beschmutzt; und du würdest sie, solang du hier bist, mit keinem Blick mehr zu sehen bekommen. Sprich mit ihr. Ja, sprich mit ihr – du wirst sehen, du wirst mich um Verzeihung bitten.«

Marcolina, mit den Kindern, kam heran; diese liefen an ihr vorbei, ins Haus, sie selber aber, wie um dem Gast eine Höflichkeit zu erweisen, blieb vor ihm stehn, während Amalia, wie mit Absicht, sich entfernte. Und nun war es Casanova in der Tat, als wehte es ihm von diesen blassen, halb geöffneten Lippen, dieser glatten, von dunkelblondem, nun aufgestecktem Haar umrahmten Stirn wie ein Hauch von Herbheit und Keuschheit entgegen; – was er selten einer Frau, was er auch ihr gegenüber früher im geschlossnen Raum nicht verspürt – eine Art von Andacht, von Hingegebenheit ohne jedes Verlangen, floß durch seine Seele. Und mit Zurückhaltung, ja in einem Ton von Ehrerbietung, wie man sie Höhergebornen gegenüber an den Tag zu legen liebt, und der ihr schmeicheln mußte, stellte er die Frage an sie, ob sie die kommenden Abendstunden wieder dem Studium zu widmen beabsichtige. Sie erwiderte, daß sie auf dem Land überhaupt nicht regelmäßig zu arbeiten pflegte, doch könne sie's nicht hindern, daß gewisse mathematische Probleme, mit denen sie sich eben beschäftigte, ihr auch in den Ruhestunden nachgingen, wie es ihr eben jetzt begegnet sei, während sie auf der Wiese gelegen war und zum Himmel aufgesehn hatte. Doch als Casanova, durch ihre Freundlichkeit ermutigt, sich scherzend erkundigte, was denn dies für ein hohes und dabei so zudringliches Problem gewesen sei, entgegnete sie etwas spöttisch, es habe keineswegs das allergeringste mit jener berühmten Kabbala zu tun, in der der Chevalier von Seingalt, wie man sich erzähle, Bedeutendes leiste, und so würde er kaum viel damit anzufangen wissen. Es ärgerte ihn, daß sie von der Kabbala mit so unverhohlener Ablehnung sprach, und obwohl ihm selbst, in den freilich seltnen Stunden innerer Einkehr, bewußt war, daß jener eigentümlichen Mystik der Zahlen, die man Kabbala nennt, keinerlei Sinn und keine Berechtigung zukäme, daß sie in der Natur gewissermaßen gar nicht vorhanden, nur von Gaunern und Spaßmachern – welche Rolle er abwechselnd, aber immer mit Überlegenheit gespielt – zur Nasführung von Leichtgläubigen und Toren benutzt würde, so versuchte er jetzt doch gegen seine eigne bessre Überzeugung Marcolina gegenüber die Kabbala als vollgültige und ernsthafte Wissenschaft zu verteidigen. Er sprach von der göttlichen Natur der Siebenzahl, die sich so schon in der Heiligen Schrift angedeutet fände, von der tiefsinnig-prophetischen Bedeutung der Zahlenpyramiden, die er selbst nach einem neuen System aufzubauen gelehrt hatte, und von dem häufigen Eintreffen seiner auf diesem System beruhenden Voraussagen. Hatte er nicht erst vor wenigen Jahren in Amsterdam den Bankier Hope durch den Aufbau einer solchen Zahlenpyramide veranlaßt, die Versicherung eines schon verloren geglaubten Handelsschiffes zu übernehmen und ihn dadurch zweimalhunderttausend Goldgulden verdienen lassen? Noch immer war er so geschickt im Vortrag seiner schwindelhaft geistreichen Theorien, daß er auch diesmal, wie es ihm oft geschah, an all das Unsinnige zu glauben begann, das er vortrug, und sogar mit der Behauptung zu schließen sich getraute, die Kabbala stelle nicht so sehr einen Zweig als vielmehr die metaphysische Vollendung der Mathematik vor. Marcolina, die ihm bisher sehr aufmerksam und anscheinend ganz ernsthaft zugehört hatte, schaute nun plötzlich mit einem halb bedauernden, halb spitzbübischen Blick zu ihm auf und sagte: »Es liegt Ihnen daran, mein werter Herr Casanova« (sie schien ihn jetzt mit Absicht nicht »Chevalier« zu nennen), »mir eine ausgesuchte Probe von Ihrem weltbekannten Unterhaltungstalent zu geben, wofür ich Ihnen aufrichtig dankbar bin. Aber Sie wissen natürlich so gut wie ich, daß die Kabbala nicht nur nichts mit der Mathematik zu tun hat, sondern geradezu eine Versündigung an ihrem eigentlichen Wesen bedeutet; und sich zu ihr nicht anders verhält als das verworrene oder lügenhafte Geschwätz der Sophisten zu den klaren und hohen Lehren des Plato und des Aristoteles.« – »Immerhin«, erwiderte Casanova rasch, »werden Sie mir zugeben müssen, schöne und gelehrte Marcolina, daß auch die Sophisten keineswegs durchaus als so verächtliche und törichte Gesellen zu gelten haben, wie man nach Ihrem allzu strengen Urteil annehmen müßte. So wird man – um nur ein Beispiel aus der Gegenwart anzuführen – Herrn Voltaire seiner ganzen Denk- und

Veröffentlicht / Quelle: 
Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, 1998

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