Höhlenwanderung. Oder Höllentrip ?

Bild von Rusalka
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Ein Wort zieht meine Schritte geradezu magisch an: Höhle, Cave, Mağarası - gleich in welcher Sprache. Das Wort weckt Erinnerungen an ein Abenteuer, das ich vor einigen Jahren im Schweizer Jura erleben durfte. Hobby-Speläologen hatten mich eingeladen mit ihnen eine gut erforschte Höhle zu begehen.

Der Eingang der Höhle befindet sich in 1400 Metern Höhe, verborgen hinter allerlei Buschwerk. Wir taten es beiseite, zwängten unsere Körper durch einen schmalen Felsenspalt und sahen uns in einer riesigen, kuppelförmigen Halle wieder. Von irgendwoher drang Tageslicht ein. Ich blickte mich um, suchte einen Einlass in den Wänden, durch den es weiterginge. Nichts, kein Spalt, kein Durchgang, nacktes Felsgestein rundum. Einige Felsen ragten locker verteilt aus dem Boden.

Jean-Pierre, der Ortskundige, unser Führer, bat um Aufmerksamkeit. Es gab erste Informationen und Instruktionen:

"Die Höhle ist gut vermessen. Sie ist mehr als einen Kilometer lang. Wir werden uns heute allerdings auf 300 Meter beschränken. "Die Temperatur liegt bei 18 Grad, die Luftfeuchtigkeit konstant bei 90%."

" ...und hütet Euch vor Steinschlägen," gab er uns abschließend mit auf den Weg.

Unsere Gruppe zählte fünf Personen, zwei Frauen, drei Männer. Zwei kannten die Grotte, zwei hatten Erfahrungen in anderen Höhlen gesammelt. Ich war der einzige Frischling; sah aber mit meinem verwaschenen Schlatz (einem strapazierfähigen Overall), den Jean-Pierre mir geliehen hatte und meinen Handschuhen (ebenfalls eine Leihgabe) wie ein alter Hase aus. Mehr Schein als Sein, wie ich gerne zugebe.

Den Steinschlaghelm mit festsitzender Stirnlampe hatte unser Führer mir vor der Abfahrt angepasst. Jetzt war es Zeit ihn aufzusetzen.

Jean-Pierre führte uns durch die Halle an den Rand eines dunklen Loches im Boden - in der Speläologensprache 'Kamin' genannt. Diesen finstern Kamin hieß es hinab zu steigen, um die tieferen Regionen der Höhle zu erreichen. Unsere Helmlampen spendeten fokussiertes Licht.

Jean-Pierre ging voran, oder besser: rutschte, und demonstrierte, wie wir einen trockenen Kamin auch ohne Seil bewältigen können: die Beine, je nach Körperlänge, mehr oder weniger angewinkelt, gegen die vordere, den Rücken gegen die hintere Wand gestemmt. So glitten wir, luftig sitzend, Tippelschritt für Tippelschritt, in gesichertem Abstand - erst wenn einer unten angekommen war, begab sich der Nächste in den Kamin -, den gut sechs Meter tiefen Schacht hinunter. Das Schwierigste für mich war, den Körper in die Ausgangsposition zu bringen, ohne den Kamin hinabzustürzen. Wieder festen Boden unter den Füssen zittern mir die Knie.

Diese sechs glatten Meter sollte ich auf dem Rückweg wieder hinauf ? Ganz ohne Seil ?

Erst als alle Gruppenmitglieder am Ende des Kamins angekommen waren setzten wir unseren Weg fort. Meist gebeugt, manchmal auf allen Vieren, bisweilen bäuchlings, schlurften, krabbelten, rutschten wir durch die Tunnel, die die Natur vor abertausend Jahren gegraben hatte. Jean-Pierre voran, ein weiterer Hobby-Speläologe, Michel, bildete den Schwanz unserer Menschenschlange.

Ich hatte die Tour unbedingt mitmachen wollen und deshalb verschwiegen, dass ich, vor nicht allzu langer Zeit, von einem schweren, und nachfolgend zwei weniger schweren Bandscheibenvorfällen heimgesucht worden war.

Wenn mir hier unten nun etwas zustieße ? Kam es mir in den Sinn, während ich bäuchlings durch einen körperengen Tunnel robbte, oder mich an vorstehenden Felsen nach vorn zog. Ich verjagte diesen abscheulichen Gedanken sofort wieder - und dies sooft er sich in den nächsten Stunden in Vordergrund zu drängen wagte.

Plötzlich konnten wir aufrecht stehen. Jean-Pierre wies nach oben. Über unseren Köpfen öffnete sich ein finsterer Schlund. In den sollten wir hineinkriechen. Er verschränkte die Hände, so dass wir sie als Leiter benutzen konnten, um die ersten Mauervorsprünge zu erreichen. Michel kletterte voran. Es war entsetzlich eng. Besser nicht zu tief einatmen. Wir klammerten uns an kleinen Felsvorsprüngen fest und versuchten mit unseren Gummistiefeln festen Tritt zu finden.

Nur nicht steckenbleiben. Enge Passagen sind die empfindlichsten und furchtbarsten Hindernisse in einer Höhle. Der Helm kann sich verhaken, oder die Stiefel.

Einer nach dem anderen - von den Vorangegangenen hilfreich gezogen - hieften wir uns bäuchlings in eine wunderschöne "Kapelle" hinein, wie Speläologen solch kleine, separaten Höhlen nennen. Die Kompakteren unter uns, darunter Jean-Pierre, hatten keine Chance die einzigartige Formationen aus Stalakiten und Stalagmiten zu sehen, die im Licht unserer Helmlampen erhaben aufleuchteten.

Ich weiß nicht was beängstigender war, durch die Enge hinauf-, oder kurze Zeit später mit zu großen Gummistiefeln, blindlings, die fünf Meter unfallfrei wieder hinunterzusteigen. Zwar war ich passionierte Bergwanderin, hatte aber nie an einer Kletterwand geübt, oder in einer Seilschaft Erfahrung sammeln können. Zudem war ich gute 20 Jahre älter als die Anderen. Das ist eine Feststellung, kein Katzenjammer.

Weiter ging es durch enge Tunnel, breite Gänge, über schmale Simse, bis wir in einer geräumigen Höhle vor einem wenigstens fünfzehn Meter breiten Schlammbecken standen. Es gab keine andere Möglichkeit, keinen Weg außen herum, keine Simse oben drüber, wir mussten hindurch. Grund weshalb wir Gummistiefel, statt der sonst üblichen Bergstiefel hatten tragen sollen.

"Durchquert das Becken zügig, damit ihr nicht stecken bleibt," riet unser Führer.

Jean- Pierre, ein sportlicher Mann, Mitte Dreißig mit kräftiger Beinmuskulatur, stapfte voran, ich hinterher. Schon beim ersten Schritt bedauerte ich mir Gummistiefel geliehen, statt passende gekauft zu haben. Sie waren ein bis zwei Nummern zu groß und viel zu breit. Ich verlor sie bei jedem Schritt.

Jedes Mal, wenn ich in den schweren Modder aus Lehm, Sand und Erde trat, umschloss er die Stiefel als wären sie sein Eigentum. Ich stellte die Zehen auf, um mehr Kraft zu haben - unnütz. Es war, als steckte ich in Yetis Pantinen.

Jeder Schritt wurde zur Qual. Die Anderen, hinter mir, mussten warten, was gefährlich war. Ich fand's grauenvoll und wäre vor Scham am liebsten im Schlamm versunken.

Jean-Pierre motzte (auf französisch):

"Ich habe doch gesagt, du sollst Dir "passende" Gummistiefel kaufen."

Für dies eine Mal ..., hatte ich gedacht.

Zwei-, dreimal konnte ich die Stiefel gerade noch mit aller Kraft herausziehen, bevor - die Mitte des Beckens war fast erreicht - das Unglück passierte: Schlamm schwappte über den Stiefelrand. Beim Versuch vorwärts zu kommen glitschte das rechtes Bein heraus. Ich stolperte auf dem unebenen Boden nach vorn und konnte mich gerade noch abstützen - bis zu den Ellenbogen im Schlamm. Durch meine Beine hindurch, sah ich den Stiefel lautlos im Schlick versinken.

Wie sollte ich ohne Schuhwerk weitergehen ? Schoss es mir durch den Kopf.

Jean-Pierre, der inzwischen das Ufer erreicht hatte, brüllte meinen Nachfolger, Michel, an, den Stiefel zu suchen. Der wühlte mit beiden Armen im Schlick, und - fand ihn. Grâce à Dieu. Jemand fluchte halblaut - ich verstand es trotzdem. Andere grummelten leise vor sich hin. Auch ich fluchte - innerlich - über meine Sparsamkeit. (Oder wäre nicht 'Geiz' der passendere Ausdruck ?)

Ich dankte Michel. Stand wie ein Flamingo auf einem Bein - nur nicht so elegant - leerte schnell den Stiefel, der als solcher nicht mehr zu erkennen war, wischte ihn so gut es ging mit der Hand aus und zog ihn an. Dann tat ich wie mir geheißen: ich machte einen möglichst großen Schritt, um aus de Mitte des Beckens herauszukommen, wobei ich auf dem unebenen Grund fast das Gleichgewicht verlor, hätte Michel mich nicht von hinten gepackt. Jetzt versuchte ich mein linkes Bein herauszuziehen, das sich inzwischen weit hinter meinem Körperschwerpunkt befand. Unmöglich. Der Stiefel, ebenfalls voller Schlick, bewegte sich keinen Millimeter.
Michel, inzwischen selbst in Schwierigkeiten, beugte sich vor, half, am Rand zerrend, Stiefel mit Bein herauszuholen. Ich half vom Fuß her mit, so gut es ging. Bis der linke Stiefel heraus war, war der rechte schon wieder voller Schlick. Wir ächzten und stöhnten vor Anstrengung.

So ging es bis in den flacheren Teil: rechter Stiefel vor, Michel zerrt am linken; linker Stiefel vor, Michel zerrt am rechten. Fünfzehn Meter können unendlich sein. Am Ufer ließ ich mich fallen. Die Gesichter meiner Kameraden sprachen Bände.

Den Rest der Grotte bewältigten wir ohne größere Schwierigkeiten und außergewöhnliche Ereignisse in der gewohnten Weise. Michel und besonders ich sahen aus, als hätten wir an 'Schlammkämpfen' teilgenommen.

Nach einer gerobbten Ewigkeit, während der ich überlegte, ob ich nicht Überreste von genetischem Material eines Wurmes in mir trug, ging es leicht bergauf. Je höher wir kamen desto modriger roch es. (Ich dachte an eine Freundin, die täglich Erde aß. Physiognomie und Statur hatten in der Tat etwas von einem Wurm - fand ich.)

Helligkeit blitze über unseren Köpfen, die nicht aus unseren Lampen stammte. Einer nach dem anderen verschwand aus meinem Blickfeld, bis auch ich meinen Helm durch einen Spalt schob. Die Halle. Wir waren tatsächlich wieder an unseren Ausgangspunkt gelangt - durch einen winzigen Spalt zwischen Wand und Boden. Gut versteckt hinter einem Felsen.

Drei Stunden waren wir unterwegs gewesen. Wir beglückwünschten uns gegenseitig. Ich entschuldigte mich für meine Dummheit, und dafür die Gruppe aufgehalten und in Schwierigkeit gebracht zu haben. Statt mich anzumotzen gab's Schulterklopfen. Das ich, in meinem Alter - ich blickte auf die Fünfzig - eine solche Tour überhaupt gewagt hätte.

Erst jetzt traute ich mich von meinen lädierten Bandscheiben zu erzählen und meinen Gefühlen während ich im Schlamm feststeckte. Es wurde viel gelacht.

Wir verließen die Grotte. Strahlende Vorfrühlingssonne begrüßte uns vom blauen Himmel. Ich atmete tief und befreit die frische Luft ein und fand, ich gehörte 'auf', nicht 'unter' die Berge - und schon gar nicht in Schlammbäder. Irgendeine Verwandtschaft mit der Gattung der Helminthen schloss ich kategorisch aus.

Wir holten saubere Sachen aus dem Auto. Jean Pierre führte uns zu einem eiskalten Gebirgsbach, in dem wir uns und unsere Stiefel reinigen und an dessen Ufer wir uns umziehen konnten, bevor wir den Heimweg antraten.

Der nächste Morgen. Aufwachen. Aufstehen. Mein durch Bergwandern trainierter Körper signalisierte: keine außergewöhnlichen Vorkommnisse.

Die Schmerzen begannen sanft gegen Mittag, wurden schlimmer am Abend, unerträglich am darauffolgenden Morgen und steigerten sich die nächsten vier Wochen ins Unermessliche. Meinen Orthopäden konsultierte ich nicht. Ich wäre mir wie ein Schulkind vorgekommen, das seinem Lehrer den Unsinn beichten muss, den es verbockt hat.

Jeden Tag spürte ich einen neuen Muskel - erstaunlich, wieviele es davon gibt - der sich weigerte Dienst zu tun, während ich zum Dienst mußte. Auch meine Wirbelsäule protestierte. Unkorrekt: jeder einzelne Wirbel, jede Bandscheibe, jedes Band, jeder Nerv rebellierte, angeführt vom Ischias. Ich fand, mein Gang ähnelte dem von John Wayne: breitbeinig, staksig. Nicht vor unbändiger Kraft, sondern bodenloser Schwäche.
Sechs Wochen und viele Tabletten später war es überstanden. Mein Gang war wieder der meine.

Habe ich mein Abenteuer bedauert ?
Nicht nicht eine schmerzhafte Sekunde lang.

Heute lebe ich wenige Schritte von der Damlataş Mağarası entfernt, einer überschaubaren Höhle, deren Eingang vom Strand leicht zu erreichen ist. Nicht ein finsterer Kamin sondern eine beleuchtete Treppe führt die Besucher die Tiefe. Sie hat zwar keine Kapellen, dafür aber kleine Grotten zu bieten. Statt die Gesundheit zu ruinieren ist sie ihr dienlich, wie ich am eigenem Leib erfahren konnte. Die Temperatur liegt konstant bei 20-23 Grad und die Luftfeuchtigkeit bei 90%. Wofür geschädigte Bronchien dankbar sind.

Von einer weiteren Höhle, in zumutbarer Entfernung, habe ich erst vor kurzem gehört: hoch oben im Taurusgebirge soll die zweitgrößte Tropfsteinhöhle der Türkei liegen. 360 Meter lang, mit einem unterirdischen See ...

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