Flüchtige Begegnung 2

Wie betäubt atmete sie seinen Geruch ein. Der Mann hatte den trügerischen Zauber einer flüchtigen Erscheinung, eines Schattens, von der Abenddämmerung hervorgebracht, den eine einzige unbedachte Bewegung, ein Atemzug nur, zerstört hätte. Alles um sie herum war plötzlich verschwunden. Da war nur dieser schwere betörende Geruch, der sie an die Trockenzeit in Afrika erinnerte, nach der Hitze des Tages, wenn die Glut der Sonne die rote Erde zu Staub verbrannt hatte. Betäubt vom Geruch seines Körpers, fand sie sich an jenem Ort wieder, in Erinnerungen, die mit der Zeit nur noch vage Gestalt annahmen. Diese Zeit lag hinter ihr. Eine ferne Woge gab ihr etwas Kostbares zurück, ein Gefühl, das sie erkannte. Abwartend stand er da. Der Mann sagte kein Wort. Um sie herum verschwamm alles in einer Unschärfe. Die in Wellenmustern gesetzten Pflastersteine waren verschwunden. Vor ihr lag ein roter Sandweg, weit ausgreifende Mangobäume im goldenen Abendlicht, ein Baobab streckte die Arme nach ihr aus. „Nein“, sagte sie laut wie aus einem Traum erwachend und schob ihn von sich fort. Sie ging weiter und bog in die Allee ein.

Von weitem sah sie schon Ibrahim auf sich zukommen. Der Mann folgte ihr und stellte sich stumm neben sie. Sie verschmolzen in der Dämmerung zu einer dunklen Gestalt. Ibrahims Miene schien undurchdringlich, sein Gang war verhalten und verlangsamte sich. Nie hatte sie ihn so verschlossen gesehen. Er musterte sie beide ernst und blieb einige Meter vor ihnen stehen. Etwas lief schief, fühlte sie, war unwiderruflich verpatzt. Sie hatte sich auf das Wiedersehen mit Ibrahim gefreut, sich wieder und wieder vorgestellt, wie sie mit einem offenen Lachen aufeinander zugingen, sich in die Arme fielen. Was ging sie dieser Cap Verdianer an? Sie atmete tief durch und löste sich beinahe ruckartig aus dem schattigen Halbdunkel und ging direkt auf Ibrahim zu. Hölzern standen sich die Männer gegenüber und taxierten sich.

„Hilf mir diesen Typ loszuwerden“, sagte sie zu Ibrahim. Hörte er sie überhaupt? Sie vernahm nur ihren eigenen Atem. Die Männer schienen wie erstarrt. Eine leichte Hilflosigkeit stieg in ihr auf. Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, sagte Ibrahim tonlos: „Geh, sie ist meine Frau.“ Der Cap Verdianer zuckte zusammen, rührte sich aber nicht vom Fleck. Warum passierte ihr das? In Portugal wähnte sie sich sicher, in Afrika hatte sie sicher und entschieden gehandelt. Hatte sie ihr Instinkt verlassen und die Konfrontation herausgefordert, überlegte sie erstaunt.

Ibrahim trat steif einen Schritt auf den Cap Verdianer zu. Beunruhigt schaute sie von einem zum anderen. Nur wenige Autos fuhren vorbei, die Strasse war unbelebt. Vom Hafen flammten Lichter auf. Entschlossen trat sie auf Ibrahim zu und zog ihn am Arm mit sich fort. Als sie unbemerkt über die Schulter zurückblickte, stand der Cap Verdianer immer noch unbewegt an der Straßenecke da.

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