Drei Oscars für den Chef - Die Story - Page 5

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übertreffen.

Die drohende Übernahme der eigenen Firma durch den Wettbewerb ist hervorragend dazu geeignet, Mitarbeiter wachzurütteln. Es lässt sich relativ leicht vermitteln, dass man seine Haut so teuer wie möglich verkaufen will und den neuen Chefs seine Leistungsfähigkeit zeigen muss. Selbst wenn die Übernahme dann überhaupt nicht zustande kommt, tragen die Anstrengungen Früchte und kommen der Performance zugute. In ähnlicher Weise wirkt es, mit Outsourcing und Produktionsverlagerung zu drohen, wie das Beispiel Volkswagen belegt.

Ein schlechtes Betriebsklima, niedrige Motivation oder zu geringe Mitarbeiterzufriedenheit werden zwar häufig angeführt, wenn ich mich in Unternehmen umhöre, taugen aber in der Regel nicht als Aufhänger für tiefgehende Wandlungsprozesse. Sie können höchstens zu kosmetischen Änderungen führen, sofern die Firma sich das leisten will oder kann. Ist aber erst einmal ein realistischer Anlass für Veränderung gegeben, stehen Betriebsklima, Motivation und Zufriedenheit immer mit auf der Agenda.

Alle Geschichten haben eines gemeinsam: Es sind fast ausnahmslos Leidensgeschichten. Doch kennen Sie einen erfolgreichen Film, in dem die Helden kein bisschen leiden, wo es für die Figuren keinerlei Konflikte zu lösen und nicht eine einzige Prüfung zu bestehen gibt? Es dürfte nur wenige geben, und die sind wahrscheinlich sehr langweilig. Schon in Zeichentrickfilmen für Kinder gibt es Konflikte, Leidenswege und schließlich Erleichterung. Es ist nun einmal ganz wesentlich Leidensdruck, der Dynamik erzeugt und Menschen sich bewegen lässt.

Natürlich kann ein Unternehmen auch von einer Vision gepackt werden, statt auf Druck zu reagieren. Aber solche Fälle sind doch eher selten. Und wenn Sie etwa an die New Economy zurückdenken, dann waren derlei Visionen schnell aufgebraucht. Der Missstand ist nun einmal immer näher als die Vision. Kühne Visionen werden außerdem von im Alltag verwurzelten Menschen als Spinnerei empfunden oder als Versuch, ihnen etwas zu verkaufen. Das macht Mitarbeiter schnell misstrauisch.

Wenn Sie Wandel inszenieren wollen, fragen Sie sich besser gleich: Wo sitzt der Schmerz? Suchen Sie nach einer Leidensgeschichte, in der Sie, wenn möglich, den Schmerz noch verstärken können, damit sich die Wahrnehmung schärft und sich Energie aufbaut. Die Vision bringen Sie erst später ins Spiel: Sie ist der Ausweg, der positive Pfad der Veränderung.

Eine Leidensgeschichte muss also her. Diese kann zum Beispiel so aussehen, dass die Zusammenarbeit zwischen zwei Abteilungen nicht oder nur schlecht funktioniert und sich mit der Zeit sogar persönliche Feindschaften entwickelt haben, die das Klima zusätzlich belasten. Irgendwann hat jeder jedem etwas heimzuzahlen. Darunter leiden die Beteiligten und sorgen sich schließlich sogar um ihre Arbeitsplätze, weil die Umstände zu mangelhaften Leistungen führen. Die Leidensgeschichte ist also die gegenwärtige Situation mit all ihren kleinen Geschichten. Führen Sie dies den Beteiligten drastisch genug vor Augen, dann erzeugen Sie Veränderungsdruck, bereiten einen Bewusst-seinswandel vor und leiten so Ihr Vorhaben ein.

Oder: Ein globaler Konzern beabsichtigt, an einem seiner zahlreichen Standorte ein Werk zu schließen. Es ist nur noch nicht klar, an welchem. Also soll im Verlauf des nächsten Jahres ein hartes Benchmarking durchgeführt werden. Das ist die Geschichte. Wenn Sie diese breit genug kommunizieren, ergeben sich bei den Mitarbeitern Resonanzen und Bilder, Vermutungen und Ängste, weil jeder solche Vorgänge vom Hörensagen kennt.

Bei der Inszenierung eines Prozesses zur Gefahrenabwehr kombinieren Sie diese Geschichte dann mit Erzählungen, wie derartige Situationen überwunden werden können. Berichten Sie, wie Sie in Ihrer Mana-gementerfahrung eine solche Gefahr schon einmal gemeistert haben oder schlagen Sie einen Erfahrungsaustausch mit einem Unternehmen oder Ex-Managern eines Unternehmens vor, in dem es schon einmal eine ähnliche Situation gegeben hat.

Klappe eins, die Vierte: Nah am Geschehen werden Sie fündig

Wie gehen Sie nun konkret vor, um „Ihre“ Story zu finden? Ganz einfach: Indem Sie Ihren goldenen Käfig verlassen und versuchen, so nah wie möglich an die Prozesse und die Menschen heranzukommen. Starregisseur Fitzgerald hat es richtig gemacht. Er hat sich bequemt, sein Fünf-Sterne-Hotel zu verlassen und dem Volk aufs Maul zu schauen. Er hat mit Bekannten und Fremden gleichermaßen intensiv kommuniziert und schließlich noch Medienberichte herangezogen, um ein größeres Stimmungsbild zu bekommen. Dann hatte er eine Idee.

Mich erstaunt immer wieder, wie Führungskräfte sich völlig in ihrer eigenen Erlebniswelt einmauern können und den wichtigen Kontakt nach außen irgendwann verlieren. Wenn die Realität sie dann schlagartig wieder einholt, ist es im Extremfall schon zu spät.

Mitte der Achtzigerjahre habe ich das bei einem kleinen deutschen Lederwarenhersteller besonders drastisch erlebt. Als dessen Chef sich im Frühjahr 1986 bequemte, einmal höchstpersönlich die Fachmesse „Semaine de Cuir“ in Paris zu besuchen, war er schockiert: Indische, pakistanische und türkische Unternehmen produzierten inzwischen Lederwaren in einer mit seinen Produkten absolut vergleichbaren Qualität – bloß zu viel niedrigeren Preisen. Diese Entwicklung war überhaupt nicht bei ihm angekommen. Kein Wunder, dass seine Kunden, die Einkäufer des Handels, sich umorientierten.

Die notwendige Reaktion konnte jetzt nur noch radikaler Abbau heißen. Am Ende stand die Schließung des Unternehmens, sämtliche Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region fielen weg. Wer war daran schuld? Die „Globalisierung“ oder das Management? Die Fakten waren lange klar, aber sie wurden nicht wahrgenommen, weil der Chef sein Schneckenhaus nicht verlassen hatte. In seiner kleinen Welt hatte er zwar Zugang zu allen Informationen – und hätte es heute dank Internet und Kennzahlsystemen mehr denn je – sah aber den Wald vor lauter Bäumen nicht. Erst die direkte Konfrontation mit der Konkurrenz machte die Lage für ihn spürbar. Aber da war es schon zu spät.

Die Überflutung mit Fakten und die allgemeine Arbeitsüberlastung hindert viele Führungskräfte daran, nahe genug an eine Sache heranzugehen, sich auf dem Markt umzuschauen und ein Gefühl für die Dinge zu bekommen, über die sie entscheiden. Dabei ist dieses Gefühl unverzichtbar, weil Entscheidungen zu maximal 30 % rational und im Übrigen emotional getroffen werden.

Um Ihre Geschichte zu finden, ist es also nötig, nahe genug am Geschehen zu sein. Beschäftigen Sie sich nicht nur mit Zahlen, Daten und Fakten, sondern nehmen Sie sich Zeit, zum Beispiel mit Außendienstlern zu sprechen. Oder besser noch: Besuchen Sie persönlich Ihre Kunden. Gehen Sie einmal auf eine Fachmesse, nicht um einen Termin nach dem anderen zu bewältigen, sondern um die Produkte, mit denen Sie zu tun haben, zu beobachten, anzufassen und auf sich wirken zu lassen.

Und dann fangen Sie an, mit Ihren Mitarbeitern intensiv zu kommunizieren, um herauszufinden, was die Leidensgeschichte ist. Verschieben Sie Verwaltungsaufgaben ruhig einmal oder versuchen Sie, Routinetätigkeiten zu delegieren, denn für diese Kommunikation brauchen Sie ein wenig Zeit. Ans Ziel kommen Sie nämlich nur indirekt.

Menschen schreiben ihre Ängste oder das, was sie bewegt, nicht an die Wandzeitung. Sie müssen aber herausfinden, was Ihre Mitarbeiter umtreibt. Also müssen Sie Fragen stellen. Wenn Sie das zu direkt tun, werden Sie keine Antworten bekommen, weil das nötige Vertrauen fehlt. Auch hegen Mitarbeiter Skepsis gegenüber Fragebögen, die außerdem keine Zwischentöne erkennen lassen und alle Informationen auf der körpersprachlichen Ebene ausblenden.

Um an die Geschichte heranzukommen, müssen Sie komplex kommunizieren, mit den Leuten über ihre Alltagssituation reden, dar-über, was sie freut und ärgert, wie sie mit ihrer Umgebung auskommen und welche Tätigkeit sie gerade konkret verrichten. Alles das erfahren Sie nur in informellen Gesprächen.

Dabei sollten Sie akzeptieren, dass die meisten Leute Dinge nicht direkt sagen. Es gibt trotzdem Wege, an die tieferen Schichten heranzu-kommen. Erinnern Sie sich an die Filme mit Inspector Columbo, gespielt von Peter Falk? Der verknautschte Leinwandermittler verwickelte seine Verdächtigen in scheinbar belanglosen Smalltalk, achtete dabei aber auf die Zwischentöne, bildete Hypothesen, suchte nach deren Bestätigung und fand so schließlich die Spur zum Täter.

Die beste Art, mit Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen und von ihnen Informationen zu erhalten, ist, ihnen erst einmal selbst etwas zu erzählen. Kommunikation darf keine Einbahnstraße sein. Ich erfahre immer sehr viel, wenn ich zunächst davon berichte, was ich in einem anderen Unternehmen oder in einer anderen Abteilung, früher oder in anderen Zusammenhängen, selbst erlebt habe. Je lockerer und beiläufiger, desto besser.

Sie können natürlich auch über die neuesten Zahlen sprechen – eigentlich über alles Mögliche, bei dem Sie einen Wissensvorsprung besitzen. Dabei achten Sie auf Resonanzen, auf sprachliche und körpersprachliche Signale, die Ihnen zeigen, dass Ihr Gesprächspartner von einem Thema emotional betroffen ist. So finden Sie irgendwann die richtige Spur. Angenehmer Nebeneffekt: Durch diese Art der Kommunikation bauen Sie persönliches Vertrauen auf, das Sie während des gesamten Veränderungsprozesses brauchen werden. Vor allem, wenn es einmal schwierig wird. Und das ist garantiert.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen noch einen besonderen Tipp zum Auffinden der richtigen Geschichte ans Herz legen: Reden Sie mit dem Betriebsrat. Manche Manager irritiert im ersten Moment, dass ich mich mit Betriebsräten und Gewerkschaftern unterhalte. Ich tue das aber nicht, um mich mit deren Zielen solidarisch zu erklären, sondern weil der Betriebsrat im Unternehmen eine Nachrichtenbörse von unschätzbarem Wert ist.

Beim Betriebsrat wird sich ausgeheult, hier weiß man, was an der Basis wirklich Sache ist. Und die meisten Gewerkschafter sind so positiv über-rascht, wenn jemand aus dem Management oder ein von der Unternehmensleitung beauftragter Berater sich für sie und ihre Arbeit interessiert, dass sie mit der Wahrheit nicht lange hinter dem Berg halten.

Haben Sie Ihre Story gefunden? Dann bitten Sie andere um ihre Meinung. Sie sollten dabei immer betonen, dass Sie selbst noch nachdenken und sich noch nicht für ein Vorhaben entschieden haben. Die Wahrscheinlichkeit, die richtige Geschichte gefunden zu haben, erhöht sich, wenn Sie diese erzählen. Erhalten Sie von vielen unterschiedlichen Interessengruppen – Management, Mitarbeiter verschiedener Abteilungen, Betriebsrat usw. – positive Resonanz, können Sie Ihrer Sache ziemlich sicher sein.

Es gibt Fälle, in denen man in einem Veränderungsprozess mehrere Ge-schichten braucht. Um das zu erkennen, bleiben Sie einfach immer im Kommunikationskontakt. Dann bekommen Sie mit, wenn Geschichten schwächer werden, und können Sie durch stärker wirkende ersetzen.

Parallel zur Geschichtensuche entwickeln Sie immer schon Ideen für die Umsetzung, spielen erste Szenarien durch, was Sie aus Ihrer Geschichte machen wollen. Die Geschichte und ihre mögliche Inszenierung werden sich in Ihren Gedanken immer wieder überschneiden. Daher ist es ein fließender Übergang, wenn Sie irgendwann beginnen, Ziele zu definieren und über Prozesse nachzudenken. Bildlich gesprochen: Sie beginnen, das Drehbuch für Ihr Veränderungsvorhaben zu schreiben. Davon handelt die nächste Klappe.

Leseprobe aus dem Sachbuch Drei Oscars für den Chef, 2006.

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