Gefährlicher Sommer (Teil 14; 1. Hälfte)

Bild von Annelie Kelch
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... an der Themse grünem Wasser
Fallen plötzlich Leute um!
Es ist weder Pest noch Cholera
Doch es heißt: Macheath geht um ...

... wo ist Alfons Glite, der Fuhrherr?
Kommt das je ans Sonnenlicht?
Wer es immer wissen könnte
Mackie Messer weiß es nicht ...
(Bertolt Brecht, „Die Moriat von Mackie Messer“)

Macheath

Konny stand an der Pforte neben der makellos geschnittenen Buchsbaumhecke vor Tante Selmas Einfamilienhaus und hielt bereits Ausschau nach mir. Die Hausfassade ist mit modernen roten Klin­kersteinen verkleidet; aber das Reetdach passt hervorragend dazu. Ein breiter Weg aus schneeweißem Kies, der unter den Schuhsohlen knirscht wie Opa im Mittagsschlaf mit seinen Dritten, führt inmitten von gepflegten Rasenflächen direkt zur Eingangstür. Du warst noch nie dort, liebe Christine, deshalb beschreibe ich dir alles so gut ich kann, damit du ein ungefähres Bild vor Augen hast.
Ich dachte mal wieder an Gewitterstürme und hielt Ausschau nach einem Blitzableiter. Konny schob mich ungeduldig auf die dreistufige Treppe zu, die von zwei dekorativen Pflanzkübeln, darin Sonnenblumen lachten, eingerahmt war.
„Komm, Katja! Ich zeige dir mein Zimmer“, rief Kora, die im Hauseingang stand. Ich stieg die vier Marmorstufen hinauf und wurde von einer unsichtba­ren, knochigen Hand in den dunklen, nach Bratkartoffeln duftenden Korridor gezogen: Hannes! Sein Blick war wieder mal unergründlich.
„Ist dir mein Vater begegnet?“, fragte er aufgeregt. „Äh ... ja, Hannes, gerade eben, weshalb fragst du?“
„Nur so. Hat er dir irgendwas über mich erzählt?“
„Nein, kein einziges Wort.“
Hannes atmete tief durch und verzog sich in den ersten Stock.
Tante Selma tauchte in der Küchentür auf und sagte freundlich: „Komm doch rein, Katja. Wenn es dich nicht stört, dass an keinem Fenster Gardinen hängen!? Ich bin leider noch nicht dazu gekommen, sie wieder aufzuhängen. Bist du meinem Bruder noch begegnet? Er hat mit uns zu Mittag gegessen.“
„Ja, ich glaube, Herr Kröger hat es mir gegenüber erwähnt“, sagte ich.
„Du kannst ruhig ‚Axel' zu ihm sagen. Manche begrüßen ihn sogar mit ‚Herr Gutsinspektor Kröger'. Das mag er überhaupt nicht.“
„Machen Sie sich keinen Kopf wegen der Gardinen! Wenn es weiter nichts ist“, wich ich aus. Das Gutsinspektor-Thema war mir nicht geheuer, Christine. Und Gardinen haben mich noch nie interessiert, wie du dir gewiss denken kannst.
„Unsere Zimmer liegen oben, Katja! Komm mit!“ Kora hatte es eilig. Sie schien außerordentlich erpicht darauf zu sein, mir ihre Mädchenkammer zu zeigen, und ich tat so, als sei ich riesig gespannt darauf, was ich bewundern sollte.
Es stand unter dem Fenster und war nahezu paradiesisch gestaltet: das schönste Aquarium, dass ich je in meinem Leben gesehen habe.
„Koras ganzer Stolz“, klärte Konny mich lächelnd auf.
„Prachtvoll“, gab ich neidlos zu. Der Kies­grund war reichlich mit Quarzsand be­deckt und darüber verstreut lagen glän­zend rote Granitsteine im hohen Becken. Aus einem Terracotta-Topf, der von buschigen Tausendblatt-Pflanzen umrankt war, kam ein Schwarm „Black Mollys“ hervorge­schossen, und zwischen smaragdgrünen Lilien tummelten sich farbenfrohe „Guppys“.
„Das da ist ein ‚Gelber Schmetterlingsbunt­barsch'. Onkel Axel hat ihn mir aus einer Lübecker Zoohandlung mitgebracht. Aber ich glaube fast, dass er sich sehr einsam fühlt“, sagte Kora und deutete be­sorgt auf einen Fisch mit goldfarbenem Körper und rotem Maul.
„Die Grotte dort hinten habe ich ge­baut.“ Konny zeigte auf ein paar blau glitzernde Styroporblöcke, aus denen künstliche Farne ragten. Am Eingang der Grotte stand ein kleiner, rotweiß gestreifter Leuchtturm.
„Den Gleichen habe ich Hause“, sagte ich. „Er ist mindestens tausendmal so groß wie sein kleiner Bruder hier und ein hervorragender Blitzableiter.“
„Wir schlafen gleich nebenan, damit Kora nichts passiert, Katja.“
Hannes öffnete eine kleine Tür neben Koras Schreibtisch. An der Wand lehnte eine gelber Hula-Hoop-Reifen. Er erinnerte mich an Zuhaus; meiner war grün.
„Weshalb ist die Tür offen?“, fauchte Kora. „Ich hab sie doch gestern Abend abgeschlossen.“
„Weil ich vielleicht auch einen Schlüssel habe, Cousinchen, denk mal an. Und i c h war es übrigens, der sie heute Morgen geöffnet hat“, sagte Hannes mit einem Grienen, das schelmisch rüberkommen sollte, aber gründlich misslang.
„Du bist hier nur zu Gast und hast kein Recht, irgendwelche Türen auf- oder abzu­schließen“, empörte sich Kora.
„Reg dich wieder ab, Kora. Hannes meint es doch nur gut“, versuchte Konny sie zu beschwichtigen.
„Was für ein Unsinn“, ärgerte sich Kora. „Hier im Dorf wurde noch nie irgendwo eingebrochen. Hannes will sich doch nur wieder wichtig machen.“
Wir schwiegen eine „betretene Weile“.
„Schau mal dort oben, Kora! Was für eine fette Riesenspinne!“, lenkte Hannes leicht betreten von seinem Armleuchter-Image ab. Er zeigte auf die niedrige Decke über der Zimmertür.
„Iiiigittigitt!“, stöhnte Kora. „Auch das noch! Nichts wie weg mit dem blöden Vieh!“
Konny war ins gegenüberliegende Badezimmer gerannt und kam mit einem Stück Klopapier zurück. Er kletterte auf einen Stuhl, reckte sich zur weißen Zimmerdecke und hob seinen Arm. Ich sah die arme kleine Spinne (so fett war die gar nicht) in Todesfurcht zusammenzucken, als Konnys Schatten auf sie fiel.
Konny schlug zu. „Mist, ich wollte sie nicht töten, aber sie machte Anstalten, das Weite zu suchen“, sagte er und hielt das zusammengepresste Klopapier wie eine Trophäe in der Hand.
„Ja, ja, das sagen alle Insektenmörder“, spottete Hannes.
„Mensch, Konny, die hatte Beine ... mindestens so lang wie die Dietrich.“ Hannes zog einen Kussmund und schmatzte in Richtung Spinne.
„Es kribbelt überall“, stöhnte Klara und rieb sich die Arme. „Ich hab das Gefühl, als krabbelten diese scheußlichen Beine überall auf meiner Haut herum.“
„Lasst uns jetzt losfahren“, sagte Hannes. „Katja, du kannst Tante Selmas Fahrrad nehmen, das ist viel besser als Lenis.“
„Klasse, danke“, freute ich mich und dachte: auf ein Neues, obwohl mir nicht ganz geheuer, geschweige denn wohl bei der Sache war.
Hannes und Konny holten die Räder aus dem Keller, wir schwangen uns auf die Sättel und radelten haargenau dieselben Wege entlang wie beim letzten Mal. Kora war blendender Laune und ließ sich nicht mal davon beeindrucken, als Hannes aufge­regt verkündete, gleich tauche ein Wild­schwein auf, weil es im Un­terholz geraschelt hätte. Mir kam der schwarz gekleidete Typ mit der Maske in den Sinn, und prompt lief mir ein unangenehmer Schauer über den Rücken.
„Was machen wir morgen?“, fragte Konny und sah uns der Reihe nach an.
„Dasselbe wie heute, falls nicht einen von uns vorher der Schlag trifft“, sagte Hannes und winkte

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Kommentare

22. Aug 2017

Auch die Spannung stieg nach oben -
Dein Text ist weiterhin zu loben!
(Unten links - die grüne Krause -
Sorgt für Knatsch bei mir im Hause ...)

LG Axel

22. Aug 2017

Dank, Axel, dir, für deinen Kommentar,
auch ich dacht' bei dem Saurier an Krause gar.
Doch lasse deinen Kopf nicht hängen,
sollt' Krause dich auch arg bedrängen.

LG Annelie

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